Frank McCourt
Tag und Nacht und auch im Sommer
Die Kinder kommen schon heim
Die Erinnerungen des irischen Erfolgsautors an 30 Jahre als Lehrer an den High Schools von New York
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Frank McCourt
Tag und Nacht und
auch im Sommer
Erinnerungen.
Luchterhand 2006
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Eigentlich schreibt Frank McCourt immer dasselbe Buch. Er ist der Spezialist für Bodenständiges, der mit der unglücklichen irischen katholischen Kindheit. In der Welt der Bücher, so sagt er selbst, ist er „ein Spätzünder, ein Nachzügler, ein Frischling.“ Um zum Studium zugelassen zu werden, fehlte dem Knaben aus armen Verhältnissen zwar der Collegeabschluß, aber die GI-Bill, ein Gesetz aus Zeiten des Zweiten Weltkrieges, ermöglichte dem ehemaligen Soldaten, der 1949 in Bayern stationiert war, trotzdem das Studium. McCourt wurde, auf Umwegen, Lehrer. Dreißig Jahre blieb er das, bis zu seiner Pensionierung, dann schrieb er sein erstes Buch, wurde Pulitzer- Preisträger und kam auf die amerikanischen und europäischen Bestsellerlisten. Das Buch hieß Die Asche meiner Mutter, sechs Millionen Mal wurde es inzwischen verkauft, 1999 von Alan Parker verfilmt. Diesem ersten Band mit Erinnerungen folgte bald ein weiterer, Ein runderherum tolles Land, der mit der Rückkehr des inzwischen 19-jährigen in die USA einsetzte und mit der Überführung der Asche seiner Mutter nach Irland endete. Nun also die Higs School Jahre, der längste Teil seines Lebens.
Für Frank McCourt wurden sie, die New Yorker High Schools, an denen er sein Leben lang Sorgenkinder unterrichtete, im besten Sinne zu seinen „Universitäten“. An einer dieser Schulen in der Bronx von New York ist er heute sogar Ehrendoktor, eine späte Genugtuung. Tage- und Nächtelang hatte er zu lesen und zu korrigieren, Geschichten, Aufsätze, Tagebücher, Abschiedsbriefe, Abhandlungen, Entschuldigungen, Theaterstücke, Essays. Aber vor allem hatte er mit Horden rüpelhafter Schüler fertig zu werden, die genau wußten, wie sie ihn, das Armeleutekind aus den Elendsvierteln von Limerick, zu nehmen hatten. Und er lernte seinerseits, wie man an sie, die vermeintlich Unnahbaren und Unergründlichen, herankommen konnte: „Wenn man blafft oder schnauzt, hat man verspielt. Das kriegen sie andauernd von ihren Eltern und den Schulen im allgemeinen, das Blaffen und Schnauzen.“
Bald weiß er, daß er sich mit ihnen verbünden muß, ohne freilich alles durchgehen zu lassen: „Ich begriff allmählich, daß Lehrer und Schüler gegenüber den Eltern, der Schulverwaltung und der Welt im allgemeinen zusammenhalten mußten.“ Niemand außer seinen Schülern habe in dieser Zeit die geringste Notiz von ihm genommen, sagt McCourt. Die Schüler sind ihm wichtig, bis heute. Auch deshalb wohl dieses Buch. Und weil er, der heute Berühmte, seinen Lesern aus eigener Erfahrung sagen möchte, daß lehren absolut nichts mit jenem „pädagogischen Betrieb“ zu tun hat, wie er ihn, in der Bronx genauso wie in der Stuyvesant High School in Manhatten, „dem Kronjuwel unter den High Schools“, zur Genüge kennenlernte: „Die traurige Wahrheit über die öffentlichen Schulen Amerikas: je weiter man sich vom Klassenzimmer entfernt, um so mehr Geld und berufliches Ansehen heimst man ein. Man erwirbt die Lehrerlaubnis und unterrichtet zwei, drei Jahre. Dann belegt man Kurse in Verwaltung, Schulleitung und Studienberatung, und mit den neuen Befähigungsnachweisen bezieht man ein Büro mit Klimaanlage, Privattoilette, langer Mittagspause, Sekretärinnen.“
Das aber war McCourts Sache nicht. McCourt wollte unterrichten, und zwar auf seine Art. Einer Lehramtsanwärterin wird er später den so simplen wie bodenständigen Rat geben: „Finden Sie heraus, was sie lieben, und tun sie es.“
Das Klassenzimmer als Ort höchster Dramatik. Grandios ist McCourts Schilderung, wie er eines Tages den Schülern seiner Klasse deren selbst- verfasste Entschuldigungen für unerlaubtes Fernbleiben vom Unterricht vorlegt und von ihnen verlangt, nun auch „Eine Entschuldigung von Adam an Eva“ oder wahlweise „Eine Entschuldigung von Eva an Gott“ zu verfassen, womit er bei seinen Schützlingen eine Lawine der Kreativität in Gang setzt.
Oder die Art, wie er sie Grimms Märchen lesen läßt und daran die Frage knüpft: zu starker Tobak für arme Kinderseelen, oder nicht? „Dann sagte Lisa Berg etwas so Bemerkenswertes, daß schlagartig Stille eintrat. Sie sagte, Kinder haben so dunkles, tiefes Zeug im Kopf, daß es unser Fassungsvermögen übersteigt.“ Als wollte McCourt uns mit seinem Buch genau das beweisen.
Ein Kompendium unprätentiös vorgetragener Lebensweisheit, eine mitreißende Galerie der Teenager-Rotznasen ist dieses Buch, in dem eine Fülle weiterer Beispiele des ehemaligen High School Lehrers zu finden ist, die bezeugen, wie es ihm gelang, seine Schüler zu begeistern.
Dabei tritt er nie als der Überlegene auf, im Gegenteil. McCourt, das mag ein Erbe seiner eigenen unglücklichen Kindheit sein, bleibt auch als Lehrer geplagt von Selbstzweifeln. „Was ist Lernen überhaupt?“, fragt er sich. Im Unterricht läßt er Kochrezepte als Lyrik lesen und sogar dazu musizieren. Und ein schlichtes, einfaches Wiegenlied bespricht er vor der Klasse, als handele es sich um ein Gedicht von Eliot? Und wozu das alles, Mister McCourt, fragen ihn seine Schüler. „Um die Furcht in die Ecke zu treiben“, antwortet er. Gemeint ist da auch die Furcht vorm Lernen.
Auch als Lehrer für kreatives Schreiben geht es McCourt darum, seinen Schülern der Selbstzweifel zu nehmen. Jedes Leben habe seine „eigenen Zutaten“, erklärt er ihnen, und man müsse sich diese als Schreibender nur bewußt machen. Es ist die Poetik Frank McCourts selbst, die er da zum Besten gibt. Denn nichts anderes tut der gefeierte Autor seit nunmehr drei Büchern: sein Leben erzählen, möglichst aufrichtig. Keinen Helden aus sich machen. Der Sache bloß auf den Grund gehen und gut. Mit diesem Rezept ist McCourt erfolgreich, dafür lieben ihn seine Leser. Lebenspralle Geschichten, wenig aufwändige Stilistik. In seinen Schreibkursen spricht man über Lebenläufe, Enttäuschungen, Träume, und selten über Satzbau. McCourt umkreist geduldig sein Thema, wiederholt sich manchmal, schlägt Brücken zum Stoff seiner vorhergehenden Bücher. Bei diesem Autor kann man bohrende Selbstzweifel, gesellschaftliches Aufbegehren und jenen typisch irischen Schuß melancholisch gefärbter Ironie in nur wenigen Sätzen dicht beieinander finden. Und wenige beherrschen das besser als er. Am Ende ist es vielleicht tatsächlich immer dasselbe Buch: In Amerika geboren. In Irland aufgewachsen. Zurück nach Amerika. Und dort ein Leben lang zwischen den Stühlen, halb noch Ire, halb doch schon New Yorker.
„Ich probiers“, heißt dann der letzte Satz des neuen Buches, der schon darum eine gewisse Bedeutung für sich beansprucht, weil McCourt ihm ein ganzes Kapitel einräumt, eben das Letzte. Wundern sollte man sich nicht, denn dieser lakonische Zweiwortsatz ist des Schriftstellers Antwort auf die Ermunterung eines seiner Schüler, der meinte, er solle doch ein Buch über das alles schreiben, was er ihnen, den Schülern, so über seine unglückliche Kindheit erzählt habe. Es ist zugleich der literarische Trick, der das Buch strukturiert und die Handlung in Gang hält, denn, so McCourt lakonisch: „Anstatt zu unterrichten, hab ich Geschichten erzählt.“ Irgendwie so wird es ja auch gewesen sein. Ein sympathisch ohnmächtiger Lehrer, der auch mal keine Antwort auf eine Frage weiß: „Andere Lehrer stellen sich jeden Tag vor die Klasse und scheren sich einen Fiedlerfurz darum, was ihre Schüler von ihnen denken. Nur der Lehrstoff zählt. Solche Lehrer sind mächtig.“
Den dritten Band seiner Erinnerungen wollte Frank McCourt schreiben. Es ist ein fast zärtliches Buch über junge Menschen dabei herausgekommen, die man am besten so sein läßt, wie sie eben sind. Dann könnten nicht nur wir Leser, sondern auch der irische Erfolgsautor sich mal ohne Selbstbefragung entspannt zurücklehnen und sagen: „Herrgott noch mal, McCourt, hör auf, die Kinder zu drangsalieren. Halt dich zurück. Laß sie sein, sie kommen schon heim.“
Frank McCourt wurde 1930 in Brooklyn / New York als Kind irischer Einwanderer geboren, wuchs in Irland auf und kehrte 1949 nach Amerika zurück. Dreißig Jahre lang hat er an New Yorker High Schools unterrichtet. Für sein Debüt Die Asche meiner Mutter (1996) erhielt er u.a. den Pulitzerpreis. Frank McCourt lebt in New York und Connecticut.
Leseprobe bei Random House (Luchterhand)
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Volker Sielaff 08.12.2006
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Volker Sielaff
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