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Nachrichten aus dem irischen Ägypten

Zum Siebzigsten des Dichters Seamus Heaney

Seamus Heaney | Ausgewählte Gedichte
Seamus Heaney
Ausgewählte Gedichte
Carl Hanser 1995
Es ist ein eher mediterranes Bild, das sich mir aus den Gedichten des irischen Nobelpreisträgers Seamus Heaney am deutlichsten eingeprägt hat: „...und die Sonne stand / wie ein abkühlendes / Blech an der Wand.“ Man ist geneigt, dabei eher an die Provence zu denken, denn an Belfast, Dublin oder den irischen Norden: die Grafschaft Derry, aus welcher der Dichter stammt, jene Landschaft der Torfstecher, in der, wie es so schön heißt, „der Jungsteinzeitweizen träumt“.

In Heaneys Band „Norden“, mit dem ich schon früh Bekanntschaft machte, denn das Büchlein mit den einfühlsamen Nachdichtungen von Richard Pietraß war, zu einem Spottpreis, auch als DDR-Reclam-Ausgabe erschienen, begegnete mir statt eines südlichen Sonnenanbeters zunächst ein lyrischer Archäologe mit genauem Blick, der sich, behende, so stellte ich mir das vor, durch eine Art irisches Ägypten bewegte. Denn da waren, zwischen Heidekraut versteckt, Moorköniginnen und andere Torfleichen zu entdecken, nicht zuletzt jene arme Sünderin aus dem Gedicht „Punishment“ (Bestrafung), die des Dichters „Knochenträume“ erst so richtig blühen ließ: „Kleine Ehebrecherin / bevor sie dich straften / warst du flachshaarig / unterernährt und dein / Teergesicht war schön“. Von „lederfester Schönheit“ sind die Toten in den Gedichten Heaneys, ihr Haar, soweit noch vorhanden, verfilzt von der Zeit. Ein Jungmädchenkopf tritt gar als „exhumierter Kürbis“ ins Bild, das Haar schon „ein nasser Farn“, den die Hand eines irgend Lebenden ihr sanft aus der Stirn streicht. Bei so viel Sprachgewalt erscheint es fast nebensächlich, ob diese Toten in Jütland oder Irland ausgegraben wurden. Der Vollständigkeit halber sei aber erwähnt, daß Heaney sich 1973 eigens auf den Weg nach Arhus in Dänemark machte, um im dortigen Museum die strangulierte Moorleiche besichtigen zu können, die er in seinem Gedicht „The Tollund Man“ (Der Mann von Tollund) zuvor so ausführlich beschrieben hatte.

Lebende und Tote finden in diesen Versen für den Moment des Gedichts zusammen, und man ist irritiert, begeistert oder einfach nur beseelt von der glasklaren Sprache dieses so erdverbundenen Dichters in der Nachfolge eines Robert Frost oder Thomas Hardy. Kein Wolkenreiter der modernen Poesie tritt uns hier entgegen, sondern ein in allen Stilen erprobter Ding- und Wurzelpoet, dem sich „an Daumen und Finger sehr stämmig“ die Feder schmiegt. So ist es denn auch alles andere als zur Schau gestellte Schönheit oder bloß die krude Ästhetik eines Moorleichensammlers, die Heaney seit dem Beginn seines Schreibens umtreibt. Heaney, ein Naturdichter? Ich würde ihn tatsächlich eher einen Dingdichter nennen, der sich vor allem von den Utensilien menschlicher Arbeit beeindruckt zeigt, die er, in vielfältiger Form, in seinem Leben kennengelernt hat.

Denn Heaney wurde, als ältester Sproß einer kinderreichen nordirischen Farmerfamilie, auf dem kleinen Bauerhof Mossbawn zwischen dem katho­lischen Toomebridge und Castle Dawson im protes­tantischen Londonderry geboren. Als Kind darf man ihn sich durch Moor und Wiesen streunend vorstellen, ausgestattet mit einem wachen Sinn fürs Praktische. „Field Work“ (Feldarbeit) hieß auch, ganz handfest, sein fünfter Gedichtband, darin sich zahlreiche Erinnerungen an Farben und Gerüche seiner Kindheit finden. Dichtung hat er einmal als eine Arbeit definiert, in der „unsere Konzentration sich zurückkonzentriert auf uns selber“. Einige seiner Tier­gedichte, sei es „Der Otter“ aus „Field Work“ oder das wunderbare „Bei Ardboe Point“ aus „Door into the Dark“ bezeugen seine Nähe zu Ted Hughes, mit dem er ebenso befreundet war wie mit dessen Frau Sylvia Plath. Auf die „Birthday Letters“ seines Freundes hat Heaney seinerseits mit einem langen Gedicht geantwortet, das voller Bezüge zum „Beowulf“ steckt, jenem epischen Heldengedicht in Stabreimen, das Heaney 1999 neu übersetzte, mit nicht wenig Erfolg übrigens.

Obwohl unfähig, sich der trockenen Sprache der Politik zu bedienen, konnte Seamus Heaney sich freilich nie ganz aus ihr heraushalten. In seinen Essays und, subtiler noch in seinen Gedichten hat er sich zu den Ereignissen in Nordirland geäußert. Seine Gedichte auf „bog people“, etwa jenes auf den oben erwähnten „Tollund Mann“, ein 2000 Jahre altes Hinrichtungsopfer aus der Eisenzeit, lassen sich durchaus im Kontext jüngerer Gewalttaten terroris­tischer Blutrache in Nordirland lesen.

Vor zwei Jahren wurde Heaney für seinen neuesten Band, „District and Circle: Poems“, der renommierte T. S. Eliot-Preis verliehen. Der Titel ver­weist auf die Londoner U-Bahn und die Terroranschläge vom 7. Juli 2005, enthält aber auch eine Reihe von Sonetten auf Heaneys Wahlheimat in den Wicklow Mountains, wo er heute ein Haus bewohnt, in dem gut hundert Jahre vor ihm schon der Dichter John Millington Synge lebte. In einem Gedicht auf Synge, in seinem erten Band „Death of a Naturalist“ von 1966 heißt es: „Da / kommt er jetzt: eine harte Feder / kratzt an seinem Kopf; / die Spitze an einem Salzwind geschärft / und getunkt in die klagende See.“ Von einer harten, klaren Feder zeugen auch Heaneys eigene Gedichte. Am Ostermontag wird er in den Wicklow Mountains seinen siebzigsten Geburts­tag feiern und vielleicht, wie in seinem Gedicht „A Hagging Match“ aus dem neuen Band, noch ein bißchen Holz spalten, bevor die Geburtstagstorte angeschnitten wird.


Gedichte von Seamus Heaney in deutscher Übersetzung sind im Hanser-Verlag und bei Klett-Cotta erschienen.
Volker Sielaff     13.04.2009    
Volker Sielaff
Prosa
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