Angelika Janz
Rückschau Leerstellen
Die Erinnerungen so dicht, daß jede Geschichte einen Film ergäbe, wo immer sie begänne zu erzählen, viele kleine, geschlossene Geschichten vom eigenen Schicksal und von Schicksalen, eine reiche Verschwörung des Gelebten gegen die Askese des Gewollten, und würde sie jetzt anfangen, zu erzählen, hätte sie Stoff reichlich, Sterbens-und nicht Lebensstoff, bis in kleinste Verfaserungen der Ausschmückung gezähmte und gestählte und fließende wie wissenschenkende Erinnerungen, köstliche Klein-und Großodien der Nähe und Abstoßung, des Hellerwerdens im gewalttätigen Dämmer ineinanderstürzender Nächte, lichtschöne Blässen vager Abtastungen zwischen zärtlichen Tonfolgen des Du-und Ichsagens, aromantisch das alles im Platten, Eindimensionalen des Aufschreibens, nicht hast du erinnert, gewollt nichts, geschichtslos du, die du immer festhalten, fixieren wolltest, was bedeutsam schien nicht allein für dich.
Dabei hast du die Leerstellen zu löschen versucht, die heute wieder da sind, genau das andere, Verkehrte, für anders, falsch und fremdbefundene, das hast du heute schrittweise mitzuschleifen, das genau, als Gegenbild, Spiegelschrift in deiner Biografie, Überwinderhinterhalt, das macht dir jetzt zu schaffen.
Die Kontur
Entlang der Vorsichtsgrenze aneinandergerückte Punkte, blühende.
Wissende, wegsuchende EinZeller, Einzeiler, eine Lichtspur nachziehend.
Wie anders ist Wiedererkennbares unterscheidbar von anderem Wiedererkennbarem, wenn nicht in Licht und als Licht?
Der vage gespurte Weg gewinnt um seinen Namen einen Gegenstand – Form, aus der Tiefe allererster Bilder gerissene Einladung: Fahre, reise ihr nach!
Der Flügel muß wissen, wo und wohin es ihn trägt, erst, seit er weiß, wo sein fein gespreiztes Anderssein ans Grobe gestreift ist. Die Welt im Kindsinn hat von ihren Abständen immer nur die Grenze im Notsinn gezogen. Da ist Schwanken und Schaukeln, Flirren und Zerrissenheit vor Wut, gerade das Nichtgesehene markieren zu müssen: Pardon zu geben vorm ich weiß es einfach nicht und nicht was.
So fliegst du.
Vorbei an den gewachsenen Verrichtungen eines sich ständig Wandelnden; dieses Neutrum soll Person sein.
Du, es ist der Mensch ja meistens dieses Das und nicht sein Wer. Lust kam zur Sprache, daß das Allerkleinste und Allerempfindlichste wichtig sei, nichts, als ein Umkreisen von Punkten.
Lust, sie drängte auf Ballung, Verballung der Punkte Volumen.
Im Licht ist das viel Zusammengesetzte flach. Im Licht gilt die hellere Unsichtbarkeit, die an den Rändern fortgesetzte Bewegung des Jasagens zum Eigenen. Wobei das eine ebenso flache Frage schon bejahend stellt und perspektiv beantwortet.
Lust, sie drängte auf Ballung der Punkte, Volumen: Dieses schöne Bild von der Wanderung eines Menschen durch Jahres-und Länderzeiten – im Zwielicht angekommen und aufgenommen immer, bevor er noch seinen Schlafort aufsuchen will. An der eigenen Haut orientiert ist er ohne Gepäck, an eigener Haut der Geruchssinn orientiert – so kommt man überall da an, wo die Luft nach selbanderer Körperlichkeit riecht.
Das Konturgenie ist ein Instinkttierchen, menschlich in Proportionen des Vor-und Hinterhersagenmüssens. Und wenig mehr, damals, das mußt du gelernt haben zu merken, werden die winzig kleinen Pünktchen die Linie versuchen, je dichter sie einander finden angesichts großer Überbrückungsabstände, die angefüllt sind mit Lebensgeschichten, in denen Menschen spielen, die den Überblick über ihr gelebtes Leben nicht wiedergeben können. Dazwischen wälzen sich die Wale, die Bagger, die großen Schiffe in austrocknenden Häfen, im Schlamm versickerter Pegel und Gründe.
Immer steht einer höher, vielleicht auf der Kaimauer, ein Schreiber zum Unglück noch, er geht auf Kieseln in elastischem Schuhwerk, um auf jeden Fall auf Gefahren gefaßt zu bleiben. Er geht die Form ab, irgendeine Form will er gehen, die erst im Nachhinein Bedeutung gewonnen hat. Das Nachhinein ist immer öffentliche Betretbarkeit. Erstmal setzt man Schritt vor Widerstand vor Schritt: wer geht da überhaupt?
Nein, da ist ein Geher auf der Stelle, da kritzelt die Zukunft dunkle Partien, immer linearer die Nähe ins Schwarz.
Der Geher auf der Stelle hat sein Suchen noch nicht unterm Scheitel eingeschrieben.
Der Überdruß bleibt der Kontur Feind. Der Überdruß ist der Schwamm von einem Fisch, der von der Weltmakulatur tot getragen wird.
Der Überdrußgeruch ist reine Natur: das wunschgeladene Spiegelbild. Durch die rückwärtige Fläche des Glases küßt es seine eigene Verhöhnung gegen die Wand, die nichts als Gleichgültigkeit simulieren kann. Mit Worten, Verfügungs-und wieder Fügungsworten.
Wie der Tod ans Gitter gerät, das macht Konturenlesen schön, ist non finito-Genuß wie Lauschen auf das Wälzen von Wildtieren auf Seidenpapieren.
Noch einmal kommt der große Zeichner großspurig und selbstbewußt an, von Dimensionen, Proportionen will er nichts wissen. Er begehrt das arme von ihm immer gestreichelte Wort Leben, diesen Kontinent gemäßigten Scheinens begehrt er wie verrückt. Aber jeder Anlaß für minimale Verrückungen macht ihn wild, zum Wilderer, der von Wildnis nichts weiß, imaginiert das Material unter seinen Händen farbig, des Bleibens und Fliehens ein Mächtiger.
Der Flügel weiß, wo sich der Wetterbericht hinfindet. Im Kindsinn ist immer nur die Grenze ans Grobe gestreift aus dem Notsinn gezogen. Der gewachsenen Verrichtung Wut steht das Hoffen auf Fassung, das einzige, was immer bleibt, solange du Ich sagst, im Wege, der schon weit ins Dusagen führt.
Angelika Janz 1992/1999/2007
Angelika Janz 03.05.2008
|
Angelika Janz
Lyrik
Prosa
|