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Thomas Kunst
Strandkörbe ohne Venedig

Fingernägel im Sand
  Kritik
  Thomas Kunst
Strandkörbe ohne Venedig
Roman
Plöttner Verlag 2009


Dünen, Meer, Geschrei von Möwen – so in etwa stellt man sich ein erstes Bild des Romans Strandkörbe ohne Venedig von Thomas Kunst vor. Der Lektor Bengt Claasen sitzt in Levenhaug an der Nordseeküste an seinem Schreibtisch mit Blick auf das Nachbarhaus. Auf dem Tisch ein Marmeladenglas, gefüllt mit abgekauten Fingernägeln, daneben ein Stapel Blätter.

Die „Nagelsicheln“ sind ein Teil von Lisa, der Enkelin von Frau Botabi, Claasens Nachbarin. Er findet Lisa gut, sie ihn nicht – damit er wenigstens etwas von der jungen Frau hat, sammelt er ihre abgekauten Nägel, die er am Strand findet. Der Stapel Blätter sind seine Arbeit. Claasen ist Außenlektor eines Belletristikverlags, liest eingesandte Manuskripte auf ihre Tauglichkeit. Seine Stimme zählt. Ganz anders als in seinem Privatleben: seine Frau interessiert sich seit einer Afrikareise mehr für ihren Arbeitskollegen als für ihren Mann. Aus Gründen der Vernunft und des Selbstschutz gab Claasen die räumliche Nähe zu ihr auf – „Sie arbeitete seiner Meinung nach zu viel und traf sich zu häufig mit ihren Kollegen“ – und an ihre Stelle trat das Meer und Claasens täglicher Gang dorthin. Den Tag verbringt er mit dem Lesen von Manuskripten, teils routiniert, teils engagiert.

Nach 19 Uhr ist Weintrinkzeit. Da avanciert er zum ungepflegten Alkoholiker, der im Suff fremde Frauen anruft. Mit der Hoffnung auf einen gelingenden Claasen-Monolog und ein „Ja“ von der Gesprächspartnerin. Ja, mit den Frauen hat er ein Problem. Das gibt keiner zu, man spürt es. Gibt der Er-Erzähler dem Protagonisten doch einen leichten Touch von müffelndem Junggesellen, erscheint einem die Frage, warum er keinerlei soziale Kontakte hat schon beantwortet. Wobei, ganz so banal ist es nicht. Claasen hängt einfach zu sehr an den Erinnerungen mit Silje. So oft er auch von attraktiven Frauen abgelenkt wird – Momentaufnahmen mit Silje sind stets präsent in seinem Kopf. Und mit ihr die Musik. Claasen verschenkt Mixtapes, den Frauen am Telefon spielt er seine persönlichen Lieblingshits vor, zu einer Situation gibt es einen Musiktitel. Das Ende vom Lied: keine Musik mehr.

Eingeteilt ist der Roman in drei Kapitel – jedem davon sind drei inhaltlich passende Worte zugeordnet. Es gibt zahlreiche Rückblenden und Vorausblicke, einzelne Erzählpassagen wiederholen sich mehrmals. Die Wiederholungen sorgen für ein Déjà-vu-Gefühl – und können einem auch leicht auf die Nerven gehen. „Gleich kommt die schöne Stelle“, ein Satz, den Claasen am Telefon sagt, wenn er fremde Frauen anruft. Thomas Kunst sorgt weniger für schöne Stellen – eher beginnt man, Mitleid zu haben, könnte immer wieder mit den Schultern zucken: armer Hund, der Claasen. Manchmal bleibt auch ein Schmunzeln nicht aus - Kunst beherrscht das Hervorrufen komischer Momente.

Thomas Kunsts Roman ist beinahe kein Roman, sondern eher ein Projekt – am Ende ein paar persön­liche Notizen, hat man das Gefühl, die Umsetzung war ein Herzenswunsch. Ob das den Leser interessiert …? Wenn man darüber hinweg­sieht, ist es ein Roman, der für sich spricht. Und nach dessen Lesen man ganz schnell an die Nordsee reisen möchte, um zu prüfen, wie sich Fingernägel im Sand finden lassen …

Anna Lischper    29.10.2010    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht    Seite empfehlen  Diese Seite weiterempfehlen

 

 
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