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Peter Kapp
Kummersdorf
Vielfalt ist das Wort
Kritik |
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Peter Kapp
Kummersdorf
Erzählung
Edition Thaleia 2011
184 Seiten, 15 €
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Geht es in den Stories Clemens Meyers, vereinfacht ausgedrückt, um Underdogs und in den Erzählbänden Judith Hermanns vorwiegend um Mann-Frau-Beziehungen, stehen in Kummersdorf klassische Short-Storys neben Grotesken und ziselierte Prosastücke neben Kolumnenhaftem. Die Sammlung enthält darüber hinaus Prosa, die sich einer derartigen Zuordnung weitgehend entzieht. So etwa der titelgebende Text, dessen Held, ein ergrauter Journalist, sich für Recherchen nach Kummersdorf begibt – kein Dorf, sondern ein Territorium südlich von Berlin, das Ende des 19. Jahrhunderts zum militärischen Übungsgelände ausgebaut wurde. Die Schilderungen am „Sehnsuchtsort wehrseliger Obernazis“ ließe sich als Mischung aus Milieustudie, Schauer- und Detektivgeschichte beschreiben. Noch weniger kategorisierbar ist der dreiteilige Zyklus Herz. Bewegungen: Ein zwar menschlicher, aber wie vom Mars gefallen wirkender Protagonist bewegt sich durch Szenerien, die zu einem Teil realistisch anmuten, zum anderen Teil an Fantasyliteratur erinnern.
Schmuckstück des Bandes ist eine köstliche Satire mit dem Titel Das große O. Eine vierköpfige Wohngemeinschaft, die den Eindruck einer von Ludwig Wittgenstein gegründeten Sekte erweckt, hat sich dem ehrgeizigen Projekt verschrieben, das Zusammenleben der Menschen durch eine Sprachreform zu revolutionieren. „Sex“ wird zu „Kloschüssel“, „Sprache“ zu das „Das große O“ und für „Schrank“ gibt es den Vorschlag „Eckbecher“. Neben dem Wortschatz wird auch die Grammatik ins Visier genommen. Der Satz „Ich sitze im Sessel“ lautet im neuen großen O: „Schluck faulschnitzt in der Fessel“. Raff, einer der Kommunarden, hat indes bald genug von den „kindischen Spielchen“. Er zieht in die Wohnung einen Stock höher und geht hier quasi den umgekehrten Weg. Statt mit Hilfe einer neuen Sprache die Welt zu verändern, setzt er sich zum Ziel, eine Kunstwelt zu schaffen, in der Sprache keine Rolle spielt, so dass sie auch keine manipulative Kraft entfalten kann. Zu diesem Zweck gestaltet er das Apartment zu einer originalgetreuen Nachbildung der Mondoberfläche um. Sogar die Überreste der ersten Mondlandung sind berücksichtigt: „Die amerikanische Flagge steht übrigens symbolisch für die lächerlichen Versuche des Menschen, seine Sprache zum Mond zu bringen. Gewissermaßen ein Mahnmal für all diejenigen, die ihr Maul nicht halten können.“ – Beide Vorhaben – die Kreation einer neuen Sprache ebenso wie die einer neuen Welt – finden allerdings ihr vorläufiges Ende als Raff, der im Rahmen seines Projekts auch schwere Felsbrocken in die Wohnung geschafft hat, durch die Decke bricht und in der Glasplatte des Wohnzimmertischs einschlägt, auf dem die Kommune mit Fettstift ihre bisherigen Wortneuschöpfungen notiert hat.
Vielfalt ist das Wort, das Peter Kapps Erzählband am besten charakterisiert. Auch auf der sprachlichen Ebene. Während es in der Mehrzahl der Kummersdorf-Texte ein Anliegen des Autors gewesen zu sein scheint, seine Inhalte in ein möglichst unprätentiöses Sprachgewand zu kleiden, offenbaren Passagen wie die folgende einen Enthusiasmus für Rhythmus und Klang: „In der Finsternis ruhen Hände und Herzen. Stummes Pochen hinter zitternden Schläfen. Flatternde Lider, die Augen blind in dieser Nacht.“ Alles in allem präsentiert sich Peter Kapp mit Kummersdorf als ein Autor, von dem noch einiges zu erwarten ist.
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