Axel Helbig
Schwarzes Konfetti eines Eulenspiegel
Günter Bruno Fuchs (1928 – 1977)
Der hier vorgestellte Text von Axel Helbig ist dem Essay-Band „Annäherung an das Unsagbare“ (2006) entnommen. Helbig selbst bezeichnet die Textsammlung auch als „Auszug aus der Biografie eines Lesers“.
Günter Bruno Fuchs, jener „dicke Mann“, dessen Bauch von den Kindern „der große Berg Bimbula“ genannt wird, jener, dem es gegeben ist, nach dem Genuß von „zehn Litern Himmelsbier“ das Kreuzberger Viertel Berlins fliegend zu verlassen, ist ein direkter Nachfahre Till Eulenspiegels. Er kommt uns mit Märchen daher und Kinderträumen, mit Steckbriefen und Gelöbnissen, mit „Mahnmalen für Irre und Mahnworten für Generäle“. Er ist verspielt, kauzig und angriffslistig. Er ist der Vater des verjagten Clowns und anderer friedlicher Störenfriede. Er ist der große Unordentliche in einer ordentlichen Zeit. „Die Krähen haben ein Pfandhaus eröffnet“, sagt er, „sie geben den heruritergekornmenen Nächten Kredit“. Oder: „Die Obrigkeit warf ihr letztes Auge auf uns. Nun ist sie vollends blind.“ Im Gedicht „Der Irre ist gestorben“ heißt es:
„Im Wartesaal, wenn die Züge
Verspätung hatten,
erzählte er Märchen aus Tausend-
und einer Nacht.
Er verstand es nie,
richtig zu grüßen. Auf guten Tag
sagte er immer: Vielleicht.
Man weiß: er zog seinen Hut
vor den Hunden.
Seine Königskrone aus Zeitungspapier
trugen die Kinder nach Hause.
Der Fünfzeiler im Ortsteil
der Zeitung schloß mit den Worten: Es war
seine letzte Nacht,
als er im Park auf den Baum stieg.
Gerüchte gehen, er habe vergessen
sich festzuhalten,
als er den Friedensappell
an die Welt sprach.“
Günter Bruno Fuchs wird mit vierzehn Jahren Flakhelfer und mit sechzehn Soldat. Als der 17jährige, entlassen aus belgischer Kriegsgefangenschaft, 1945 das Haus seiner Mutter zerbombt vorfindet, bestimmt die Not ihn zum Überlebenskünstler u. a. als Hilfsarbeiter, Kunststudent, Clown in einem Wanderzirkus, Zechenarbeiter im Ruhrgebiet, Journalist und schließlich als freier Autor.
In der Erzählung „Polizeistunde“ beschreibt Fuchs das traumatische Volkssturm-Fronterlebnis eines 14jährigen Schülers, der angesichts der Schrecken des Krieges einer Geistesstörung verfällt und, von Feldpolizisten als Deserteur verfolgt, tödlich verwundet wird. Dieselben Polizisten wachen nach dem Tod des Schülers, im einsetzenden Nachkriegschaos, über die Einhaltung der Polizeistunde.
„Ich versuche einen Text aufzuspüren, der sich wehrt, der auf einem Flugblatt stehen kann“, sagt Fuchs und daß er „prüfe, ob das Ergebnis brauchbar ist für den Vortrag, ob es abschwört der guten Miene zum bösen Spiel und vor allem intakt genug ist, zwischen den herrschenden Ideologien sein eigenes Denken behaupten zu können.“ Insoweit ist Fuchs auch ein politischer Dichter, der sich betroffen zeigt und der konkret auf die sich in der Gesellschaft vollziehenden Entwicklungen reagiert. In einigen seiner Gedichte setzt er in einer Art Collagen-Technik die Sprache der Warenwelt und die Sprache der Politik, Werbetexte und Slogans vom Wohlfahrts- und Ordnungsstaat, verfremdend nebeneinander, um das Degenerierte und Verfälschende jener Sprachwelten offenbar werden zu lassen. Charakteristisch für Fuchs ist die Verbindung von verdeckter Zeitkritik und Sprachspiel, von Anklage und Phantastik, wobei das Märchenhaft-Phantastische bei ihm schwarz eingefärbt ist. Im Gedicht „Legitimation“ beschreibt Fuchs seinen Ort:
„Ich wohne hinter den Schritten
des Polizisten, der meinen Paß kontrolliert.
Ich wohne im Keller einer mittelgroßen
Ruine, im Altersheim
für den pensionierten Wind.
Ich wohne im pendelnden Käfig
eines Papageis, der alle Gesetzbücher
auswendig lernt.
Meine Behausung
am Platz für öffentliche Unordnung
ist der brennende Zirkus –
meine Grüße
gehen auf Händen zu dir hinüber,
meine Grüße
sind die letzten Akrobaten
unter der brennenden Kuppel.“
Wie seine Ahnen Peter Hille und Paul Scheerbart bleibt auch Günter Bruno Fuchs zeitlebens ein Außenseiter des Literaturbetriebes. Einladungen der Gruppe 47 schlägt er regelmäßig aus.
Axel Helbig 21.07.2006
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