Jens Wonneberger
Die Pflaumenallee
Enragiertheit im Konjunktiv
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Jens Wonneberger
Die Pflaumenallee
Roman
Steidl Verlag, Göttingen 2006
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Jens Wonnebergers fünfter Roman ist ein sprachgewaltiges Buch und zugleich eine große Einsamkeitsmetapher. Mit einem von der ersten bis zur letzten Zeile durchgehaltenen Sprachfluss zieht Wonneberger den Leser immer tiefer in die Erzählung hinein. Man erliegt – wie bei den Büchern Joseph Roths – geradezu einem Sog, dem man sich forthin nur schwer entziehen kann. Solche Lektüren kann man nur in einem Zug absolvieren.
Berichtet wird von den abendlichen Treffs zweier Kindheitsfreunde, die, ehemals gemeinsam auf dem Lande aufgewachsen, sich nach Jahren in der Großstadt wieder treffen. Der eine, Bergheimer, hat bei einem Eisenbahnunglück ein Bein verloren, sein Widerpart, der namenlose Ich- Erzähler, macht gerade eine Trennungskrise durch. Beiden gemeinsam ist ein Grundgefühl von Frustration und scheinbarer Desillusionierung.
Der Titel des Romans Die Pflaumenallee nimmt Bezug auf einen Kindheitsritus: „wie eine Horde frühreifer Dorfältester hätten (die jugendlichen Freunde) auf der Bank an der Pflaumenallee gehockt und sie für den Nabel der Welt gehalten“, sagt Bergheimer. Auch nach ihrer Wiederbegegnung in der Stadt treffen sich die beiden, um sich auf (zumeist der Dresdner Neustadt zuzuordnenden) wechselnden Bänken, über „das Eigentliche“ des Lebens auszutauschen. „Wachstum, Wachstum, er höre immer nur Wachstum“, wirft Bergheimer dabei dem Ich-Erzähler entgegen, „der Turm zu Babel sei im Vergleich zu unserem Klotzen nichts als eine mickrige Kleckerburg. Wir könnten uns nicht damit herausreden, nur Komparsen in diesem Spiel zu sein, wir seien die Rädelsführer dieses Wahnsinns, unser durch nichts zu erschütternder Warenfetischismus werde uns vielleicht noch einige Orgasmen bescheren, aber er produziere auch immer neuen Wohlstandsmüll, und der werde uns irgendwann langsam aber sicher auffressen.“ Bei Bier, Wein und Himbeergeist werden die wechselnden Bänke zur Bühne von Bergheimers Enragiertheit. Diese im Konjunktiv gehaltenen Berichte sind Nörgelprosa ersten Ranges. Etwa, wenn Bergheimer die Institution der Statistik hinterfragt: „Nicht umsonst werde ja der Satz, nach dem man nur den Statistiken trauen könne, die man selbst gefälscht habe, als geflügeltes Wort bezeichnet. Natürlich müsse man auch allen geflügelten Worten misstrauen, man sage ja auch, dass die Zeit alle Wunden heile, was natürlich völliger Blödsinn sei … Die einzige Statistik jedenfalls, die ihn wirklich interessiere, sei eine Statistik über die aus Statistiken allzu leichtfertig gezogenen Fehlschlüsse, aber eine solche Statistik gebe es natürlich nicht, da passten die Statistiker schon auf.“ Man denkt zuweilen an Thomas Bernhard, dessen Metier der Schimpfrhetorik Wonneberger mit Begabung streift. Allerdings wird sehr bald klar, worin der Unterschied zwischen Bernhard und Wonneberger besteht: Wonneberger ist kein Zerschmetterer, sein Roman keine vernichtende Vergrausungstirade, Die Pflaumenallee kein sich auswachsender Anti-Heimat-Komplex. Die von Jens Wonnerberger mit großem Einfühlungsvermögen komponierten Suaden Bergheimers zeugen von der Verzweiflung eines Gescheiterten, zugleich aber von dessen Menschlichkeit und der Kraft eines in allem Scheitern ungebrochen gebliebenen Außenseiters, der sich – gegen den Trend der Gesellschaft – nicht vereinnahmen und verkrümmen lassen will.
Der ohnehin gewählte konjunktivische Berichtsstil des Ich-Erzählers mündet oft in Möglichkeitsphantasien der beiden Hauptgestalten, Phantasien von einer glücklicheren Welt, in der sie Anerkennung finden und als Menschen akzeptiert werden könnten. „Die Vorstellung, die junge Frau könne ans Fenster treten und ihr langes schwarzes Haar kämmen, gefiel mir“, beschreibt der Ich-Erzähler einen Tagtraum: „Mit langen lasziven Bewegungen kämmte sie ihr Rapunzelhaar, und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie es nun mit der gleichen Geste aufreizender Trägheit aus dem Fenster herabgelassen hätte.“ Man denkt an Emmanuel Bove und dessen Roman Meine Freunde. An Bove erinnert auch ein anderer Vorzug von Wonnerbergers Prosa: die Gabe der genauen Beschreibung, das Vermögen, präzise Kontrastaufnahmen in den Text zu streuen. Etwa wenn er über einen Spielplatzwärter schreibt: „Es dauerte lange, bis er eine leere Zigarettenschachtel oder einen zerplatzten Luftballon zwischen den Klauen fixiert hatte und dann mit einer merkwürdigen Verrenkung aus dem für diesen Zweck viel zu langen Greifer über dem Müllsack wieder freigab. Den Schlüsselbund hatte er in der Tasche seiner Jogginghose verstaut, die dadurch an einer Seite nach unten gerutscht war, über dem Gummi wölbte sich das Fett seiner Hüften.“
Dem Roman ist durch den anfänglichen Widerwillen des Ich-Erzählers, sich auf die enragierten Suaden Bergheimers einzulassen, ein Spannungsbogen eigen, der sich nach und nach auflöst: „… ich erinnerte mich all der Tiraden und weinerlichen Lamentos, denen ich schweigend und verstört zugehört hatte und vor denen ich doch am liebsten davongelaufen wäre, weil ich in ihnen immer wieder auch meine eigenen Gedanken erkannt hatte. Die Wahrheit, sagte ich, ist manchmal schwer zu ertragen.“ Im zweiten Teil des Romans ist es der Ich-Erzähler, der durch seinen Lebensbericht um die Freundschaft Bergheimers wirbt.
Mit diesem Sprachkunstwerk steht Jens Wonneberger in der ersten Reihe der deutschen Erzähler. Ich erwarte sein nächstes Buch mit Ungeduld.
Jens Wonneberger, 1960 in Großröhrsdorf geboren, studierte Bauingenieurswesen in Dresden. Seit 1992 arbeitet er als Schriftsteller, Journalist und Kritiker. Jens Wonneberger lebt in Dresden.
Autor und Buch bei Steidl
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