Biederer Lobgesang und Rumpel-Lyrik
Kommentar von Axel Kutsch
Barack Obama leistet seinen Amtseid ab
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Autorenlesungen finden nicht selten (fast) unter Ausschluß
der Öffentlichkeit statt – vor allem dann, wenn Poesie auf dem
Programm steht. So waren vor einigen Monaten zu einer Lesung
des Welt-Lyrikers Les Murray im Literaturhaus der
Millionenstadt Köln nur 60 Zuhörer gekommen. Bei
Ulrike Draesners Auftritt einige Wochen später waren
es gerade mal 20. Von einem wirklich großen Publikum
können Lyriker meistens nur träumen.
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ungeheuren
Weiten und gigantischen Bauwerke gehen solche Träume
gelegentlich in Erfüllung. Dort dürfen sich Dichter bei
Amtseinführungen von Präsidenten für wenige Minuten
einer Millionenschar von Zuhörern präsentieren.
Über die Qualität ihrer Werke, die sie eigens für
diese feierlichen Momente geschrieben haben,
breitet man am besten den Mantel des Schweigens aus.
Aber immerhin – Lyrik wird nicht zuletzt durch die
Fernsehübertragungen in alle Welt zum Großereignis.
Vielleicht erfährt dabei so mancher Dauerkonsument
von idiotischen Dschungelcamps und lächerlichen
Talentshows sogar, daß es auch nach Goethe
noch Leute gibt, die einen Teil ihrer Lebenszeit
mit dem Verfassen von Gedichten verbringen.
Der jüngste Mega-Auftritt einer Lyrikerin fand
bekanntlich bei der Amtseinführung Barack Obamas
statt. Die Auserwählte heißt Elizabeth Alexander,
ist eine Freundin des neuen US-Präsidenten und
war als Poetin bisher noch wenig bekannt.
Ihr biederer Lobgesang auf den Tag, der immerhin
die schöne Zeile „Wir tragen jeden unserer Vorfahren
auf unseren Zungen“ enthält, bietet ansonsten wenig
Anlaß, von einem originellen Poem zu sprechen.
Und so kann man sich Durs Grünbeins in der
Frankfurter Rundschau geäußerter Meinung,
daß es „ein eher schwaches Amtseinführungs-Gedicht“
und „ein braves Stück Alltagslyrik“ gewesen sei,
nur anschließen.
Daß man historischen Ereignissen auch
mit anderen Versen gerecht werden kann,
hat jener Durs Grünbein erst vor kurzem
anläßlich des Abrisses eines Bauwerks bewiesen,
das einmal zu den Wahrzeichen der DDR
gehörte. Bei Welt Online konnte man staunend
zur Kenntnis nehmen, was er unter dem Titel
Ein letztes Gedicht für den Palast der Republik
mit poetischer Bravour zustande gebracht hat.
Bereits der Einstieg läßt einen fast den Atem
anhalten: „Es gab mal ein Haus in Berlin, / Dort
ging man zum Stasi-Ball hin.“ In der nächsten
Strophe gerät man dann schon in Atemnot:
„Es gab mal ein Haus in Berlin, / Da tanzte
die Honeckerin.“ Und völlig aus dem Häuschen
ist man bei Zeilen wie „Das Haus aber war
ein Palast, / Darin hatte der Stahlwerker Spaß“
oder „Der Stil war Baracken-Barock, / Für manch
Altgenossen ein Schock“. Bewundernswert
auch, wie Grünbein den Glanz des
ehemaligen DDR-Prachtbaus mit den folgenden
Reimen eingefangen hat: „Aus dem Innern
erstrahlten satt / Lichter, ein paar zehntausend Watt. /
Alt aussehn im Abendverkehr / Ließ den Dom
die Vitrine der DDR.“ Und so stolpert
unser Groß-Dichter weiter mit tollkühner
Rumpel-Lyrik durch die Strophen, daß
sich die Verse biegen.
Da kann man Barack Obama fast schon
gratulieren, daß seine Amtseinführung
von einem braven Stück Alltagslyrik
begleitet wurde. Man stelle sich nur vor,
Durs Grünbein wäre ein US-Poet und
von Obama gebeten worden, seine
Premiere als Präsident mit einem
Poem zu veredeln. Dann wäre die Welt
vielleicht mit einem Ersten Gedicht
für den Präsidenten der USA und
den Eingangszeilen „Es gibt ein
Haus in Washington, / Dort herrscht
ab sofort ein andrer Ton“ beglückt worden.
Nein – beenden wir diese Horrorvorstellung,
schlagen einen der frühen Lyrikbände
von Durs Grünbein auf und staunen,
zu welchen Ausrutschern ein
hochbegabter Dichter im nun leicht
fortgeschrittenen Alter fähig ist.
Was Elizabeth Alexander betrifft, so kennen
wir noch zu wenig von ihr. Vielleicht hat
sie ja mehr zu bieten als einen biederen
Lobgesang.
Axel Kutsch 24.01.2009
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