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Christiane Rösinger

Das Gespräch führte Christina Mohr für die poetin
»Ich empfinde das Konzept Kleinfamilie als die Hölle«
  Gespräch
poetin nr. 25   externer Link
Website: Christiane Rösinger  externer Link


Die 25. poetin ist eine besondere poetin: Das Thema Autorschaft und Elternschaft wird nicht nur in Gesprächen und Essays behandelt, sondern spiegelt sich auch in den Prosa- und Lyrikbeiträgen wider.
Christiane Rösinger, Christiane Rösinger war Mitgründerin, Sängerin und Texterin der Berliner Bands Lassie Singers und Britta. In den 90er Jahren war sie eine der Betreiberinnen der legendären Flittchenbar am Berliner Ostbahnhof, die sie 2010 zu neuem Leben erweckte.
  Seitdem führt sie einmal im Monat durch eine musikalische Gala-Show im Kreuzberger Club Südblock. Sie veröffentlicht Soloplatten und schreibt für verschiedene Zeitungen und Magazine.
  Sie publizierte 2008 ihr erstes Buch Das schöne Leben, es folgten Liebe wird oft überbewertet (beide S. Fischer) und Berlin-Baku, der Bericht ihrer Reise zum ESC nach Baku. 2017 erschien Zukunft machen wir später. Meine Deutschstunden mit Geflüchteten (S. Fischer). Im Herbst 2018 geht sie mit Britta auf Jubiläumstournee.


 

Christina Mohr: Christiane, du bist sehr jung Mutter geworden, mit Anfang zwanzig als Alleinerziehende aus dem Badischen nach Berlin gegangen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

 

Christiane Rösinger: Ich habe mich nicht zu jung für ein Kind gefühlt – ich wollte es ja bekommen. Aber ich war definitiv zu jung für den Beziehungstrott, für das Leben in der Kleinstadt. Ich habe es einfach nicht ausgehalten! Ginis Vater und ich waren drei Jahre lang zusammen, haben es probiert, als Kleinfamilie zu leben. Ich habe in Rastatt in einer großen WG gewohnt, als ich 18 war, und konnte wegen der hygienischen Verhältnisse nicht mit dem Baby dortbleiben. Mit Freund und Kind bin ich dann zurück zu den Eltern auf den Bauernhof gezogen.
 Meine Eltern haben nicht verstanden, warum ich weg will. Mir hätten ja auch alle geholfen: die Tanten und meine Mutter natürlich, zu der ich ein enges Verhältnis hatte und mich nur schwer loseisen konnte. In Rastatt bin ich dann aufs Abendgymnasium gegangen.

 

C. Mohr: Wie war es dann in Berlin für dich? War es schwierig, dort »anzukommen«?

 

C. Rösinger: Weil es mit der neuen Liebe schnell vorbei war, habe ich es erstmal bereut, nach Berlin gegangen zu sein (lacht). Aber im Rückblick kommt mir meine Biografie ganz natürlich und selbstverständlich vor – ich finde ja eher die heutigen jungen Familien spießig, die im Grunde das Leben ihrer Eltern nachspielen.
  In Berlin hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, richtig durchatmen zu können, nicht mehr den Blicken der Nachbarn ausgeliefert zu sein. Meine Tochter ging in einen Eltern-Initiativ-Kindergarten, einige waren alleinerziehend. Das Vater-Mutter-Kind-Ding war eine Option von vielen. Dieses gegenseitige Empowerment, das Bewusstsein, dass man sich untereinander hilft und dass man als Mutter oder Vater nicht zwangsläufig spießig werden muss – in diesem Umfeld habe ich mich sehr wohl gefühlt.

 

C. Mohr: Wie haben deine Eltern reagiert? Haben sie dich unterstützt?

 

C. Rösinger: Vor allem haben sie sich riesige Sorgen gemacht! Sie waren ja damals schon alt, gehörten der Kriegsgeneration an, die bei anderen die Großeltern gewesen wären. Ich bin die Nachzüglerin in der Familie, meine Geschwister sind wesentlich älter als ich.
  Meine Eltern konnten sich überhaupt nicht vorstellen, was ich in der Großstadt anfangen will – ich war die erste in der Familie, die Abitur gemacht und studiert hat, das war schon recht fremd für sie. Aber sie haben mich gerne besucht, sind mit ihrem Auto nach Kreuzberg gefahren und haben sich über die Wohnungen mit den Löchern in den Wänden gewundert. Unterstützen konnten sie mich nicht, der Bauernhof hat keine Reichtümer abgeworfen.

 

C. Mohr: Wie war deine wirtschaftliche Situation damals?

 

C. Rösinger: Man kommt sich ja ein bisschen so vor, als würde man »vom Krieg erzählen«: Es gab in den 1980er Jahren fünfzig Mark Kindergeld, dazu habe ich Bafög bezogen, und als Studentin mit Kind hat man noch hundert Mark Wohngeld bekommen. Andere haben Sozialhilfe bekommen, es war alles sehr zusammengewürfelt – in den Achtzigern gab es dieses satte Öko-Bürgertum noch nicht.
  Aber mit Wohngeld und Bafög allein kam ich nicht weit, ich musste immer jobben. Über die Studentenvermittlung Heinzelmännchen fand man die unterschiedlichsten Jobs: ich habe zum Beispiel in einer Fabrik Folien geschweißt, oder am Wochenende bei Karstadt gearbeitet. Büroarbeit lag mir nicht so (lacht). Weil ich damals schon nach Bands Ausschau gehalten habe, habe ich auch in Bars gejobbt oder in der Markthalle 9 in Kreuzberg.

 

C. Mohr: Apropos Weggehen: Wo war denn Gini, wenn du ausgegangen bist oder gearbeitet hast?

 

C. Rösinger: Und ich bin sehr oft ausgegangen! Ich hatte ein gutes Netzwerk, alle haben sich um alle gekümmert – die Kinder übernachteten ganz oft woanders. Heute ist das komplizierter geworden, finde ich: Die jungen Eltern checken sich gegenseitig ab, ob sie auch »der richtige Umgang« sind und ob man sein Kind zur Übernachtung bei ihnen lassen kann. Ganz großes Thema für viele! Solche Gedanken haben wir uns damals nicht gemacht. Meine Tochter war mit einem Mädchen aus ihrer Klasse befreundet, deren Eltern so eine typische Berliner Säuferkneipe betrieben. Dort wurden sogar die Kindergeburtstage gefeiert – undenkbar heutzutage, oder?
  Kreuzberg war eine Insel damals, manche Straßen endeten als Sackgasse direkt an der Mauer. Die Straßen waren voller Kinder, und die durften auch schon mal alleine weitere Wege gehen: zum Beispiel zum Kinderbauernhof. Man hat aufeinander geachtet: Am Mariannenplatz gab es in den Achtzigern eine ziemlich große Junkieszene, und natürlich hat man den Kindern eingeschärft, dass sie keine Spritzen aufheben dürfen. Aber es war schon sehr viel freier als heute. Und besser, finde ich.

 

C. Mohr: Gab es denn Kontakt zum Vater deiner Tochter?

 

C. Rösinger: Ja, er kam ab und zu nach Berlin, und im Sommer waren wir oft im Badischen, wo er wohnen blieb. Ich war aber im Alltag mit dem Kind allein – es war eine ewige Organisiererei, aber es ging.

 

C. Mohr: Wie sah oder sieht deine Utopie von Familie aus?

 

C. Rösinger: Ich habe ja keinen Familienersatz gesucht – auch nicht später mit der Band. Im Gegenteil, ich empfand und empfinde das Konzept Kleinfamilie als die Hölle! Die Lassie Singers waren ja eher eine Jugendclique, obwohl wir schon über dreißig waren (lacht). Freundinnen, die tolle Sachen gemacht haben, Abenteuer erleb... die Clique muss nicht die Familie ersetzen, das ist etwas ganz eigenes.
  Mit Mitte zwanzig hätte ich ein zweites Kind bekommen können, also alles noch einmal wiederholen: Neuer Partner, Familie gründen, undsoweiter. Aber das wollte ich nicht. Ich habe ja noch nicht mal schlechte Erfahrungen mit dem Vater meiner Tochter – aber ich hatte keine Lust auf die Kompromisse, die man in einer Beziehung zwangsläufig eingehen muss.

 

C. Mohr: Wie war es denn mit deinen BandkollegInnen? Warst du die einzige Mutter?

 

C. Rösinger: Es war komplett anders als heute, wo ja quasi alle Kinder bekommen – also auch MusikerInnen, die sind als Mütter keine Außenseiterinnen mehr. Ich war damals die einzige Mutter, und es hat von Künstlerseite niemand Rücksicht darauf genommen. Man verabredete sich spontan im Proberaum – wenn ich gesagt habe, dass ich schon ungefähr einen Tag vorher wissen müsse, ob und wann geprobt wird, damit ich Gini unterbringen kann, stieß ich meist auf großes Unverständnis. Ich war die absolute Ausnahme.

 

C. Mohr: Hast du Familienthemen in Songs verarbeitet?

 

C. Rösinger: Nein, das wollte ich immer rauslassen, für mich behalten – das war Privatsache, auch wenn ich ja sonst alle Katastrophen ausgeschlachtet habe (lacht). Das war mir irgendwie heilig.

 

C. Mohr: Deine Tochter ist inzwischen selbst zweifache Mutter – hat das eure Beziehung verändert?

 

C. Rösinger: Also Eltern ist man ja immer – das geht nicht weg. Ich denke schon, dass »die Oma« sich nicht einmischen sollte. Die jungen Mütter sind ja immer so im Stress – aber das ist nicht der Grund, warum die Kinder oft bei mir sind. Wir unternehmen einfach gerne was zusammen! Es macht ja auch Spaß: Die Oma erlaubt alles, hat keine Lust, sich an die Regeln zu halten ... natürlich würde ich nicht alle Regeln brechen, Cola und Fleisch kriegen sie bei mir nicht!
  Auch wenn es sehr schön und lustig ist, wenn sie da sind, bin ich doch manchmal froh, wenn sie wieder weg sind (lacht). Es ist natürlich nicht immer leicht, allein zu leben, aber wenn ich mir überlege, wie viel man aushalten und akzeptieren muss – und meistens sind es doch die Frauen, die viel ertragen –, wenn man als Paar gemeinsam alt wird ... dann versuche ich doch, das Alleinsein zu genießen!

 

C. Mohr: Vielen Dank für das Gespräch!
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zum Thema in poetin nr. 25

Literaturmagazin
poetenladen, Leipzig Herbst 2018
270 Seiten, 9.80 Euro

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Christina Mohr    2019

 

 
Christiane Rösinger / Christina Mohr
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