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Constantin Göttfert
Ein Mann fällt in Hietzing

für Karin

Ein Mann fällt in Hietzing. Er hat das Weiße verlassen, das er zu feinem Knochenmehl zermahlen hat. Jetzt bläst ihm das Werk seiner eigenen Hände in Gesicht und Kleidung, legt sich an ihn, als wollte es ihn begraben und halten gleichzeitig. Er denkt an Wiederholung, an das Rieseln von solcherlei Mehl in Weißwein, den er Tags zuvor noch getrunken hat und der ihm nun aus allen Poren bricht. Eine Hülle ist das, was ihm bleibt, nachdem er sich selbst ausgelöffelt hat, weil ihm zwei Antworten gleichzeitig aus dem Mund gebrochen sind, die beide hätten verschluckt sein wollen, obwohl sie ihm doch tagelang den Hals wund gescheuert haben. Er setzt Fußspuren in Knochenmehl, als wollte er einen Weg markieren, als hieße es eine Route zu finden, aber das einzige Ziel, das er sich vorstellen kann, ist dort, wo der Fuß zum ersten Mal ins Mehl getreten ist. Im Kopf leuchten ihm nun die kleinen grünen Sonnen, die er so gerne bei sich gehabt hätte. Er wollte etwas gegen sie eintauschen, aber er konnte sich nichts Passendes vorstellen und hätte dies womöglich auch gar nicht besessen. Statt dessen hat ihn das Knochenmehl von den Füßen geholt und das, was ihm vom kleinen Grünen noch in den Taschen steckt, ist doch nur mehr ein winziger Henkel: ein Phantomgewicht, das ihm die Hände nicht mehr schwer macht, wenn er danach greift. Ein Vortag mit feinem Ascheflockenregen, denkt er, während er sich im weißen Staub versinken lässt. Andere Möglichkeiten, die grünen Sonnen zu erwerben, kennt er nicht. Warum also lässt er sie nicht dort, wo sie sind? Seine Hände, denkt er, und hebt diese unbrauch­barsten aller Werkzeuge, haben Geschwindig­keits­begren­zungen verletzt. Da hat sich etwas selbständig gemacht, denkt er. Etwas ist aus mir heraus gebrochen, von dem ich gar nicht wusste, dass es darinnen war. Es bröckelt nur so an ihm herab. Mit spitzen Fingern, als wären sie mit Kot glasiert, hebt er Teile von sich auf und bezweifelt sofort deren Nützlichkeit. Er verwechselt Hülle und Inhalt an sich selbst. Die Uhr, sagt er, hat zu schlagen begonnen. Das Pendel, das durch die feinen Ascheflocken in der Luft pflügt, außerdem jenes Tentakel, das durch Felsspalten zu ihm vordringt, aber natürlich hat er alles verwechselt. Er schaufelt sich Mehl in den Mund, als könnte es dadurch wieder ganz werden. Es ist ein jämmerliches Bild. Gotteskrieger, sagt er. Er versinkt und beginnt zu lachen, obwohl ihn nichts zum Lachen bringt. Du fünfwöchiger Gotteskrieger hast mir das Weiße zermahlen. Aber da irrt er sich. Das hat er schon selbst getan. Die Geschwindig­keits­begren­zungen, weiß er, werden individuell angepasst. Den Unterschied bestimmt nichts anderes als die Deifikation.
      Ein Mann fällt in Hietzing. Er liegt und denkt nun an das Pendel, das er sich aus dem Unterleib reißt. Er bezweifelt dessen Nützlichkeit, seit die Schuhe in die falsche Richtung gegangen sind. Da ist eine Tür zugefallen, weiß er, und mit einem Mal stand es wieder still.

 

Constantin Göttfert    01.02.2006