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André Schinkel
Parlando
Lyrik, Prosa und Essays von André Schinkel
  Kritik
  André Schinkel
Parlando
Lyrik, Prosa und Essays
Vierundvierzig Texte
Hrsg., gestaltet und mit einem Nachwort versehen von Jens-Fietje Dwars
Editon Ornament 2012
quartus-Verlag


Pünktlich zur Leipziger Buchmesse ist in der von Jens-Fietje Dwars liebevoll betreuten EDITION ORNAMENT im quartus-Verlag Bucha bei Jena als Band 10 André Schinkels „PARLANDO. Vierundvierzig Texte“ erschienen. Vorausgegangen waren dem Bände vom Herausgeber der Edition, von Gisela Kraft, Matthias Biskupek, Hans-Jürgen Döring, Wolfgang Haak, Ursula und Siegfried Schütt, Ralph Grüne­berger sowie von Jan Decker und Wilhelm Bartsch (beide sind als Band 8 und 9 der EDITION ORNAMENT eben­falls zur Buch­messe 2012 erschienen). Diese Reihe vereint die Texte der Autoren mit Graphiken, Holz­schnitten, Radie­rungen und Zeich­nungen, die befreun­dete bildende Künstler nach ihrer Lektüre der Texte für den jeweiligen Band bei­gesteuert haben. Für Jens-Fietje Dwars ist das Buch ein kleines Gesamt­kunstwerk, bezahlbar auch für nicht begüterte Buch- und Kunst­freunde; Sammler hingegen haben die Möglichkeit ein vom Autor signiertes Exemplar zu erwerben, dem ein ebenfalls signiertes bild­künstle­risches Blatt bei­gegeben ist. Wie bei den voran­gegan­genen neun Bänden ist der Einband in Schwarz gehalten, von dem sich ein weißes Rechteck abhebt, auf dem beim Band 10 der EDITION ORNAMENT in zartem Blau der Name des Autors und der Titel zu lesen ist.

Wenige Tage vor André Schinkels 40. Geburtstag liegt nun der Band „PARLANDO“ vor, der vierundvierzig Texte aus den Jahren 1991 bis 2011 umfasst. Es sind Texte, die entstanden sind, ehe die „Jugend des Alters“ beginnt, Texte eines „beseelten Archäologen“ und „skeptischen Germa­nisten“, die die Spann­weite „zwischen dem Bleiben und dem sicheren Ende eine Zeitlang zu über­brücken“ versuchen. Kraftvoll sind die Texte André Schinkels; Schicht für Schicht durchstößt der Archäologe die Seelen­abla­gerungen seines lyrischen Ichs, durch „Graben und Erinnern“ (Walter Benjamin) gelangt er in die Gefilde, wo des Nachts die Ängste und Beklem­mungen ihr Eigenleben führen und bis in die Tagträume hinein qualvoll walten. Es ist eine Sprache, die inspiriert ist von der Wolfgang Hilbigs, ihr verwandt und doch ganz anders.

Doch nicht immer ist die Tönung der Gedichte und lyrischen Prosa­texte dunkel und von Hoffnungs­losigkeit umflort; es gelingen André Schinkel ebenso zarte, filigrane lyrische Gebilde wie beispielsweise „FÜRSTEN­GRUFT“ , „WEISSE SCHMETTER­LINGE“ oder „SOMMER­SERIFE“. Die Gedichte und lyrischen Kurztexte des Hallenser Dich­ters zeugen von hoher Stil­sicherheit und einer Sensi­bilität für deren Rhythmus, manch­mal sogar Reim, dass ich von einem Roman­tiker sprechen möchte, der mit dem Blick der Moderne die „Wüstungen“ der inneren und äußeren Wirk­lichkeit ins Wort zu bannen weiß.
  Schinkel findet einen ganz eigenen, unverwechsel­baren Ton, kraftvoll meta­phern­gesät­tigt oder schwebend zart, von einem macht­vollen Wort­strom getragen oder ganz der Ruhe hinge­geben, im Zwie­gespräch mit der Natur und mit sich selbst. Natür­lich führt er als Lite­ratur­kenner den Dialog mit den Großen ihrer Zeit: mit Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang Goethe, mit Heinrich von Kleist, Wolfgang Köppen, Peter Bichsel, Ernest Hemingway und Wolfgang Hilbig.

Die Zeit, ehe die „Jugend des Alters“ beginnt, ist für André Schinkel auch und vor allem die Zeit des Begehrens, die Zeit der erfüllten und mehr noch der unerfüll­ten Liebe, und so verwun­dert es nicht, dass „UNWETTERWARNUNG“ und „IN DER DÜNENHEIDE“ zu den ein­drucks­vollsten Gedichten des Bandes gehören. Der Text „L'AUTRE MONDE oder VON DER UNMÖGLICHKEIT“ enthält nicht nur zwei der schöns­ten Liebes­gedichte Schinkels; er gibt zugleich Einblick in die Entstehung der Gedichte „AM RÖTHAER SEE“ und „ZDRAVA VODA“, er legt die Ablösung von einer nichtlebbaren Liebe frei und konfron­tiert die im Gedicht subtil ins Wort befreiten Seelen­schmerzen mit der kühlen Logik dessen, der seine eigenen Gedichte und deren Entstehung analysiert. Indem André Schinkel eine Dreifach­perspektive in seinen Text einzieht, gelingt das Unmögliche: die Inter­pre­tation der eigenen Gedichte in der Kunstform des Essays.
  Ein grandioser Text, in dem sich die Naturnähe des Land­wirts, die Sachkunde des Archäo­logen und die Skepsis des Germanisten verbinden. Der Leser ist dankbar, dass André Schinkel nicht „Rinder­züchter geblieben und irgendwo im geteilten Nordwest­sachsen versackt und verdämmert“ ist, nicht „den Danny de Vito des Melkstands oder der Mistplatte gemacht“ hat, sondern zu einem Dichter gereift ist, dem in den letzten zwanzig Jahren immer wieder eigen­sinnige Texte von verstö­render Schönheit gelungen sind. Auch wenn das Alter der Jugend vorüber sein wird, der Leser wird ihn noch immer sehen im „seltsamen Licht“ des Ilm-Parks, liegend unter einem alten Baum, während „scharf der Wind“ geht, „in den Röcken einer Begehrten“.

Das ist der Stoff, aus dem Träume und Verse gemacht sind, für die André Schinkel den über­greifenden „Bild­begriff“ Parlando gefunden hat. Parlando, das ist einmal die in Rhythmus und Vers fest­gehal­tene Doppeltheit, in der sich das Wissen um die „Verlo­renheit einer Liebe und das Beharren auf ihr“ spiegelt.
 Parlan­do ist in einem weiteren Sinne das Orpheische in André Schinkels Texten, der Gesang der Worte. Jeder seiner Texte beginnt mit einem unver­wechsel­baren Ton, einer eigenen Tonart, die im Gedicht, im Prosatext und im Essay entfaltet und bis zum Ende des Textes konsequent beibe­halten wird.
  Parlando, das ist zugleich die Komposition der Texte aus zwanzig Jahren zu einem erden­schweren Gesang, leise beginnend, sich steigernd, auf­gipfelnd und von Neuem beginnend, bis mit „L'AUTRE MONDE“ das große Finale erklingt. Der Schluss­akkord bleibt mit „OBSERVATION“ (entstanden 1997) einem streng geformten Gedicht im Moll-Ton vorbehalten. Der Band „PARLANDO“ gewinnt an Schönheit und Intensität durch vier Graphiken von Karl Georg Hirsch. Voran­gestellt ist dem gesamten Band eine Graphik zum Gedicht „SCHONZEIT“, die in ihrer Ausdrucks­stärke und Dynamik der poetischen Welt André Schinkels auf' das Engste verwandt ist. Zu den Gedichten „Im PUB“, „VERSTECKTE TIERE“ und „MOND­ARTENLIED“ sind drei groß­artige Graphiken entstanden. Die Gedichte finden sich auf der linken Seite, die gedruckten Graphi­ken auf der gegen­über­liegenden Seite. Gedicht und Graphik halten Zwiesprache und laden den Leser als Dritten im Bunde zum Dialog.
  André Schinkels „PARLANDO“ ist ein feiner, schmaler, typo­graphisch excellent gestalteter Band, den in der Hand zu halten und zu betrach­ten ein sinnliches und den zu lesen ein geistiges Vergnügen bereitet.

Dietmar Ebert   19.03.2012    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht    Seite empfehlen  Diese Seite weiterempfehlen

 

 
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