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Max Sessner

Warum gerade heute

Der Sammler der Momente

Kritik
  Max Sessner
Warum gerade heute
Gedichte
Literaturverlag Droschl
Graz-Wien, 2012
100 Seiten, 16 Euro


Der in Augsburg lebende Max Sessner ist im Lyrikbetrieb von zurückh­altender Präsenz. Er schwebt nicht auf den Luft­kissen von Stipendien, Preisen und Aus­zeichnungen. Er hat keine wichtigen Fürs­precher und tingelt nicht von Lyrik­festi­val zu Lyrik­festival. Max Sessner verdient seit vielen Jahren sein Brot als Buch­händler und schreibt Gedichte. Punkt. Nun ist bei Droschl der Band Warum gerade heute erschienen, nach Küchen und Züge (2005) der zweite in dem renom­mierten österreichischen Literaturverlag.
  Sessner gehört zu den Autoren mit einer un­ver­kenn­baren Stimme und einer un­ver­kennbaren Stim­mung. Seine Poesie ent­wickelte sich von den ersten Publi­kationen an bruchlos, es ist so, als würden sich die einzelnen Gedichte an der Hand nehmen und eine einzige, immer längere Kette bilden.

Das Gedicht Das Jahr das keines war beginnt mit der Strophe

Das Jahr das keines war trage ich noch
immer mit mir herum manchmal in stillen
Stunden stelle ich es vor mich auf den
Tisch und versuche darin zu leben es
gelingt mir nicht oft doch an guten Tagen ...

Es endet nach vier gleich gebauten Absätzen mit:

alles in Ordnung wir entkorken die
Flasche und geben dem Abend ein
wenig Magie und Gelächter und endlich
ist auch der Dichter still um diese Zeit
vertraut er der Sprache nicht mehr

Diese Zeilen bauen formal wie inhaltlich den klassischen Kosmos von Max Sessner. Der bewusst eingesetzte Zeilen­bruch und der Verzicht auf Inter­punktion verlangen Konzen­tration beim Lesen, der Prosa-angelehnte Satzbau und die narrative Struktur der Gedichte nehmen den Leser gleichsam mit der ersten Zeile an die Hand. Die Verdichtung bricht nicht mit der Lesbarkeit, formale Mätzchen sucht man glück­li­cher­weise ver­gebens. Der Lyriker vertraut auf etwas, das bei manchen Autoren in einem beinahe denun­ziato­rischen Ruf zu stehen scheint: der unmit­telbaren Ver­ständ­lich­keit.
  Inhaltlich ist Sessners Welterfahrung durch wiederkehrende Motive ge­kenn­zeich­net: Das Miss­lingen wird die Regel, das Gelin­gen die Ausnahme bleiben. Das Leben versagt stets mehr als es gibt. Es braucht Demut, Reife und Beschei­den­heit, das anzu­nehmen und das Glück der kleinen Momente zu finden. In der unab­weis­baren Über­macht der trau­rigen Gescheh­nisse liegt jene Melancholie be­gründet, der „basso continuo“ in den Gedichten von Max Sessner. Sie erstarrt jedoch nicht zur nar­zistisch-tragi­schen Pose, sondern ist gepaart mit einer mit­fühlenden Nähe, nicht nur den Mit­men­schen gegenüber. Hunde sind im Leben wie in der Lyrik ein kons­tanter Begle­iter; es kann pas­sieren, dass in den Gedichten ein Fenster zu reden beginnt (Tiere sowieso) oder jemand mit einem Fluss an der Seite spa­zieren geht. Das alles so selbst­ver­ständ­lich und leicht­füßig wie in einem Märchen.
  Diese Zärtlichkeit bewahrt die Melancholie auch davor, sich zur Depression einzu­schwärzen. Es sind stets die einfachen Dinge, die Max Sessner benennt: ein Haus, ein Tisch, eine Wiese, ein See etc. und wie Andreas Altmann, dessen Grund­ton aller­dings fata­lis­ti­scher und viel härter ist, ver­zichtet Sessner kon­sequent auf Adjektive und jede selbst­ver­liebte Beschrei­bungs­orna­mentik. Es geht um die Bau­steine einer Welt, die uns von der Kindheit bis in den Tod beglei­ten: all­tägliche Dinge in all­täg­lichen Situa­tionen, und jeder Moment ist in sich immer beides: Trauer und Trost, Schön­heit und Ver­gäng­lich­keit, Liebe und Verlust. Das verleiht den Texten trotz der pessi­mistischen Grundie­rung etwas Ver­spieltes und Ver­träumtes.
  Warum gerade heute ist mit hundert Seiten ein umfang­reicher Band. Der ein oder andere Leser mag sich auf dieser langen Strecke einen Tonart­wechsel ver­missen, mag eine gele­gent­liche Nähe zur resig­nativen Nörgelei registrieren, sich wünschen, dass der Autor auch einmal die Faust ballt und auf den Putz haut. Aber das ist Sessners Sache nicht. Er wird seine Beschei­denheit nicht ablegen, weiter mit seinem Hund spazieren gehen, mit seiner Geliebten das allmähliche Altern (keine Bange, er ist erst 53) erwarten und Gedichte schreiben. Seine Gedichte.
Frank Schmitter    23.06.2012   

 

 
Frank Schmitter
Lyrik