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Hans Blumenberg
Sprachsituation und immanente Poetik
Kritik |
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Hans Blumenberg
Wirklichkeiten, in denen wir leben
Aufsätze und eine Rede
Reclam 1986/2012
Daraus:
Sprachsituation und immanente Poetik
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Kunst ist Dummheit. Dummheit, ernsthaft betrieben, lehrt nämlich, die richtigen Fragen zu stellen. Für praktisch jedes Feld des Fragens gibt es allerdings eine wachsame Wissenschaft, die die richtigen Fragen für dumm erklärt. Sie sagt das nicht, das wäre politisch unkorrekt und pädagogisch ungeschickt, denn die meisten der Wissenschaftler haben noch den ungeliebten Brotberuf der Kindererziehung (machen wir uns nichts vor: Studenten sind Kinder), aber der Arm, an dessen Hand der kleine Finger hängt, den die mächtige Sapientia den Unwissenden (lat.: idiotis) hinhält, wird lang und länger und statt einer Antwort auf die dumme Frage schaut sie woanders hin. Warum sind schwarze Löcher so hell? Und kaum je erbarmt sich einer zum Erklärungsversuch, dass hier die Dichten der Galaxien oder Galaxiencluster, die die mathematischen Modelle liefern, wenn sie mit all diesen dicht gepackten beobachteten Lichtpünktchen gefüttert wurden, so gewaltig werden, dass das Modell von der Erklärung des Beobachteten ins Postulat seines unbeobachtbaren Gegenteils, des schwarzen Loches umkippt.
Aber auch die Frage nach Dummheit ist dumm. Die zugehörige Wissenschaft ist die Philosophie. Gewaltig war deshalb meine Verwunderung, als ich kürzlich, im aussichtslosen Versuch, eines der unzähligen Schlaglöcher meiner Wissensautobahn zu flicken, auf einen dummen Philosophen stieß, auf Blumenberg. Er fragte nämlich in all seiner gelehrten Männlichkeit, und das erinnert zurück an Bubenspiele noch vor der Schulzeit: wer ist eigentlich stärker, die Sprache oder das Denken? Der Knack- oder Schnapp- Punkt, an dem diese Frage ihn ans Reden brachte, war das schwarze Loch der Literatur, die moderne Lyrik, ein Objekt, das aus Zusammenballungen von zahllosen leuchtenden Worten besteht, die sich allmählich nur noch aus der Negation aller etablierten – oder gar aller möglichen? – Verwendungen von Sprache und Denken erklären lässt.
Die einen sagen, der Gedanke ist stärker. Er ist so viel reicher als das sprachlich Formulierbare, man kann nur stammeln, scheitert wieder und wieder daran, dass das hölzerne Werkzeug Sprache den Reichtum und die Ziseliertheit des Gedankens nicht fassen kann, immer nur eine Bewegung hin zulässt – näher, hoffentlich – was ist schon Gedanke anderes als Kondensat des lebendigen Geistes, Abglanz der reinen, unaussprechlichen Wahrheit, um die sich das Gedicht mit seiner widerspenstigen Sprache müht, aber letztlich nur jaulend und kratzend vor dem blau blühenden Heiligtum stehen bleiben kann?
Die anderen meinen, die Gedanken sind zusammengezimmerte, mal mehr, mal weniger tragfähige wacklige Brücken über die schwarzen Wasser des wahren Seins, die Sprache stellt mit ihrer Grammatik und den Möglichkeiten der Abstraktion zähe Verbindungsbretter zur Verfügung, die einmal für einen ganz anderen, trivialeren Zweck entstanden sind. Satzbau ist das einzige, was Gedanken halbwegs Halt gibt und der einzige Weg zur Verständigung, denn dafür war das alles einmal gefunden und wird jetzt für den Bau von leiterartigen Luftschlössern verwendet, weil die Grammatik nun mal sprechenderweise kein Hirn und Wesen ist, das sich wehren würde, wenn es überstrapaziert wird. So produziert das menschliche Gehirn, das im eigentlichen Sinn kaum Worte kann, Formen, die aussehen, als ob sie tragen, bildet wilde Sätze, beschaut diese seine Erzeugnisse mit Staunen, vermisst aber den Lückenschluß schmerzlich, sucht ihn mit einem neuen, noch exotischeren Satzgebilde und schiebt den unterstellten Gedanken unmerklich weiter und weiter fort in das Sankt-Nimmerleinsland der Idee, versucht durch immer neue, luftigere Sätze das zu finden, was immer fehlen wird, wenn Sprache die Ebene der Bezeichnung übersteigt.
Welcher der beiden Versionen man eher zuneigt, das muss nicht unbedingt deckungsgleich mit der eigenen Art des Schreibens sein, so mancher klügelnde Sprachbastler sieht sich im Dienst einer unaussprechlichen Intuition, so mancher Assoziations-Raumausstatter versteht sich als Wortklang-Künstler. Entscheidend ist weniger die eigne Philosophie als die Praxis, der Punkt ist, ob man sich Sprache „als dem leitenden Konstitutionsgrund überlässt oder sich ihr als dem zu bewältigenden Material, dem zu bezwingenden Widerstand gegenübersieht.“ (S. 141).
Lyrischer Sprachgebrauch, so Blumenberg, entspringt dem Wunsch nach Aufsprengen der Funktionsrichtung moderner Sprache, einem Verweigern gegen die auf Eindeutigkeit gerichtete Tendenz des alltäglichen Sprachgebrauchs. Poesie ist nicht ein Restbestand aus „im säkularen Verfall“ abgelegten Sprachelementen, wie es zuletzt Schattner in seiner ›Geistersprache‹ (Hanser, 2012) glauben machen wollte. „Die Tendenz der Poetisierung geht (…) auf die Bildung neuer Deutigkeiten.“ (S. 145) Blumenberg fokussiert sich nicht auf die Überhöhung, sondern auf die Opposition der poetischen Sprache zur je aktuellen Sprachnutzung und ihren Normierungstendenzen, speziell der lyrischen Verweigerung der im Alltag (auch der Wissenschaft) so heiß ersehnten eindeutigen Zuordnung des Bezeichneten mit dem bezeichnenden Wort. Für die beispielhaften Richtungen, die Blumenberg in dem kleinen Text aus dem Jahr 1966 anführt, finden sich auch jetzt noch jederzeit aktuelle, markante Belege – dass „das Ausdrucksgut spezialisierter Regionalsprachen in den Horizont moderner poetischer Texte hereingeholt wird“ (etwa Jan Wagners ›Eulenhasser in den Hallenhäuser‹ – die Figur Anton Brant mit dem (echten) Glossar landschaftlicher Wörter) „oder dass historisch-philologisch indiziertes und erkaltetes Material neu eingesprengt wird“ (z.B. in Dagmara Krauss' Kummerang).
Und damit wäre man auch bei der Lieblingsfrage des nicht Lyrikschreibenden Lyriklesers angelandet, bei der sich nicht selten Lehrkräfte und Schüler der gymnasialen Oberstufe (dem einzig verbliebenen Biotop dieser aussterbenden Spezies) einträchtig wiederfinden: was will der Dichter / die Dichterin uns sagen? Wie steckt die Intention in dem sprachlichen Schlamassel, das ein modernes Gedicht zunächst präsentiert? Lässt sich durch geeignete Techniken des reverse engineering irgendein vorgelagerter Gedanke extrahieren, der für kundige Augen seinen Ausdruck im Text findet?
Blumenberg spricht von „der Rückverwandlung des Wirklichen in den Horizont seiner Möglichkeiten. (…) Sprache gibt den ›Einsatz‹ zu intentionalen Akten; aber in der poetischen Sprache liegen solche Ansätze gleichsam gebündelt und können daher nicht bestimmte Richtungen des Nachvollzugs initiieren, sondern schaffen nur eine bestimmte Sensibilität“ (S. 151). Dort, „wo das Wort als Anweisung auf eine Anschauung versagt, wo es auf mehr als einen Weg der Ausbildung einer zunächst vage ansetzenden Vorstellung schickt, wo es auf viele Wege weist, die eben deshalb doch nicht reell gegangen werden können, lädt es sich auf mit der Ahnung dessen, was nicht vollstreckt und zur Erfüllung gebracht werden kann, was aber gerade als solches, als Horizont unerfüllter Intentionen, das erfahrende Subjekt sich selbst gegenwärtig macht und es von der alltäglichen Sprachsituation der objektivierten und zu objektivierenden Welt wegwendet auf seine eigene Omnipotenz der Imagination.“
So schön hätte ich das weder denken noch sagen können, kommt man sich bei diesen eleganten Worten nicht schon wieder ziemlich dumm vor? Um also nicht immer nur den omnipotenten Blumenberg zu zitieren, bekommt das letzte Wort die amerikanische Lyrikerin Catherine Wagner:
Writing a poem is like reaching two prosthetic limbs out as far as you can on either side to grab something in front of you. You can't grab it but maybe you'll take flight.
But I'm not trying to grab anything in front of me when I write a poem. GET that kitty.*
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* Schluss des Gedichtes ›Unclang‹ aus: Nervous Device, City Lights, San Francisco 2012)
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