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Barbara Zeizinger
Weitwinkel nah

Nur Eitelkeit auf Erden


  Kritik
  Barbara Zeizinger
Weitwinkel nah
Gedichte
POP-Verlag 2013


Die ganze Welt im Blick, zumindest ihre Oberfläche – im Zeitalter von google maps und google earth kein Problem mehr. Doch was befindet sich hinter der Oberfläche? Wo ist der Mensch? Welche Informa­tionen bekommen wir über seine Verortung, sein Behaust­sein?

„In Landschaften hast du / Ränder gesucht / die Weite ausgelotet / zwischen dir und dem Horizont / in Bäumen gelesen / in Herzwurzeln / um dich zu verorten / blieben nur Worte und / wechselnde Koordinaten / bis das Verstummen / den Schritten voraus war“. Dieses Gedicht mit dem Titel Behausung entstammt dem im Frühjahr erschienenen dritten Gedicht­band Weitwinkel nah von Barbara Zeizinger und fasst als Pro­gramm die Intention des ganzen Bandes zusammen. Es ist ein Buch des zoomenden Suchens im Weit­winkel­welt­bild nach dem einen Ort, wo wir leben könnten. Der fünf Kapitel, in die der Gedicht­band ge­gliedert ist, hätte es hier ausnahms­weise einmal gar nicht bedurft, der Titel ist eine aus­reichende Klammer.

Dieser eine Ort, so viel kann gesagt werden, ist letztlich nicht auf­findbar, so wenig, wie die Zeit fest­haltbar ist. Auf dem Friedhof, dem letzten zwangs­läu­figen Verweil­ort, wird dem Ich klar, dass es bei seiner Ortsuche auf der Suche nach sich selbst ist („Was bleibt ohne Grabstein? … / und ich wandere auf fremden Wegen / zwischen den Mauern / auf der Suche nach dir nach mir“). Es ist wohl auch die kurze Ver­weildauer des Menschen auf dieser Erde, seine Vergäng­lich­keit, die ein echtes Ankommen und Nieder­lassen unmöglich macht. Dies legen jeden­falls mehrere, wieder­kehrende Chiff­ren nahe, die wie ein roter Faden die Ge­dichte durch­ziehen. Da ist bei­spiels­weise die Ziga­rette respektive der Rauch, ein altes Symbol der Ver­gäng­lich­keit, das sich insbesondere in der barocken Bildkunst findet, wo die noch rau­chende, erloschene Kerze und die rauchende Pfeife als Vanitas-Motive zu finden sind. Überhaupt scheint die Autorin sich mit der Geis­tes­haltung im Barock als dem Zeitalter der Vanitas­klage (man denke nur an Chris­tian Hofmann von Hofmanns­waldau oder Andreas Gryphius, dessen be­kanntem Gedicht Es ist alles eitel das Zitat in der Überschrift entnommen ist) aus­einander­gesetzt zu haben. Im Sinne der Nichtig­keit sind wohl auch die „blühenden Magnolien“ zu verstehen, die als nur kurz­zeitig lebende, bald ver­welkende Blüten ebenfalls in der alten Tradition der Ver­gäng­lich­keits­symbole stehen. Über dem eitlen Tun des Menschen steht jedoch als unverrückbare Konstante der Kosmos: „Nach dem Feuerwerk / ein Himmel voller Sterne / glänzt über dem Rauch“ (so der dem zweiten Kapitel Zeitfracht vorangestellte Dreizeiler).

Viele Gedichte indessen enden im Trostlosen, und das Ich bleibt „ruhelos“ und „beunruhigt“ zurück. Seine Worte, die es in die Welt schickt, verhallen: „Raustimmig schicke ich // meine Worte über das Land. / Sie flügeln dahin; kraftlos, / ungläubig ich selbst.“ (Kassandra) und an anderer Stelle: „Gesichter / aus Eisen Träume aus Eisen und Gänge / und Räume und Höhlen zeitlos körperlos / nackte Worte ausgespuckt und keine Worte“ (Und keine Worte).

Barbara Zeizinger setzt überall ihren Zoom an, klickt immer wieder auf das Plus-Zeichen der Welt-Mensch-Karte und nähert sich mitunter hautnah der conditio humana. Hautnähe (auch nach­zulesen in Kurt Drawerts im poetenladen Verlag er­schie­nener Antho­logie Kasino­straße 3. 15 Jahre Darmstädter Textwerkstatt) heißt deshalb eins der stärksten Gedichte, das sich des Themas der Kinder­sol­daten annimmt: „Auf Staub­straßen rufen sie fremde Namen / in gebrochenen Stimmlagen. Nacht­vögel / weiten Träume dann wollen Kinder nicht // fallen bekommen Bruder­gesichter bis der / Morgen die Berge rötet und sie in Dörfern / wieder Befehle aufsagen“. Manchmal zoomt die Autorin auch zurück, vom Nahbereich des persön­lichen All­tags zum globalen mensch­lichen Hunger­elend (Ungeladen) oder Natur­kata­strophen­leid (so im titelgebenden Gedicht Weitwinkel nah).

Einige Gedichte widmen sich der konkreten zwischen­menschlichen Beziehung und sind, wie die meisten Texte, in einer eher emotions­losen, nüch­ternen Sprache ge­schrie­ben. Das wirkt auf den Leser fast schon ein wenig pro­vo­zierend, so dass ihn die Dinge im Gedicht doch länger be­schäftigen, er will ja in der Regel hinter ihre Ober­fläche sehen (wie es Theo Breuer in Aus dem Hinterland. Lyrik nach 2000 formu­liert). Wenn die Autorin dabei das „du“ benutzt, ist es er­freu­licher­weise immer ein konkretes Gegenüber des Ich. Während des Lesens dieser Texte drängt sich mir auch hier die resig­native Grund­stim­mung auf: Es ist alles schon einmal durch­lebt, durch­sucht, es ist aus­sichts­los, auf die Ent­deckung einer terra incognita zu hoffen, selbst im zwischen­mensch­lichen Mit­ein­ander.

Neulich las ich im poetenladen zu C. C. Elzes Gedichtband eine Besprechung Armin Steigen­bergers, wo der Autor die Frage stellt „Kann man heute noch Herz sagen? Oder kann man es wieder?“ Hier in Barbara Zei­zingers anregend nah- und weit­sichtig sin­nierendem Buch, das mich in eine nach­denkliche, mitunter aber auch grübeln­de Stimmung ver­setzt, wünschte ich mir vielleicht doch ein wenig mehr vom schlichten Wort Herz, vielleicht als Chiffre für …
Gabriele Frings   28.12.2013    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht    Seite empfehlen  Diese Seite weiterempfehlen

 

 
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