Hansjürgen Bulkowski
Keyboard
Alles im Umkreis der Handgelenke.
Der Bereich, in dem acht Finger ebenso vielen Tasten federleicht aufliegen. Hier verwandeln sich Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger und Kleiner Finger in Buchstaben: asdf jklö. Die Daumen hingegen spreizen davon ab, halten sich im Untergrund bereit, bei Bedarf von Zwischenräumen auf die Leertaste aufzusetzen.
Die Fingerspitzen sind mit den ertasteten Tasten eigentümlich verbunden: einerseits rasch von einander lösbar, andererseits eindeutig zugeordnet. Auch wenn er sie gar nicht erst berührt, weiß jeder Finger, an welche Taste er gehört. Dazu muss er nicht mal das Bewusstsein zu Rate ziehen.
Damit beim Tippen die Fingerkuppen nicht abrutschen, ist die Oberfläche der Tasten geringfügig eingekuhlt, konkav gerundet. An ihren Seiten hat sich bräunlicher Schmutz abgesetzt. Schweiß, den die Hornhaut der Finger abgesondert hat und der angetrocknet ist. Staub, der am Schweiß kleben geblieben ist und sich festgesetzt hat. Schlieren am Rand blankgeriebener, blankgetippter Zonen, den viel benutzten Stellen der Taste.
Auch an den Rändern der langen Leertaste, der einzigen mit konvexer Oberfläche, haben sich stumpfe Schmutzschleier niedergelassen. Auf dieser Taste befindet sich die glänzende Blankstelle ein wenig rechts von der Mitte, Beweis, dass die Finger der linken Hand mehr zu tun haben als die der rechten.
Die Bezeichnung Tastatur meint die ins Brett eingelassenen Tasten, nicht den Tastsinn. Die Fingerspitzen müssen die Oberfläche der einzelnen Kunststofftasten keineswegs fühlen, spüren, ertasten. Es genügt, wenn sie zu Beginn kurz ihre richtige Lage greifen. Dann steuert das Nervensystem schon die Muskeln, die gewünschten Tasten reagieren wie von selbst.
Also spielt die doppelte Pentatonik der Finger auf der Buchstabenklaviatur. Ihr schwarzweißes Konzert erklingt auf dem Bildschirm, vom linken Kleinen Finger bis hinüber zum rechten: Buchstabentöne als die Vokale von a bis ö, Buchstabengeräusche als die Konsonanten von s bis l.
Das elektronische Tastenbrett erfordert beim Anschlag – anders als die klappernde Metallschreibmaschine – kaum noch Muskelkräfte, stattdessen nervlich motorische Reflexe. Es wird zum Schauplatz des unaufhörlichen blitzschnellen Wechselspiels von Kontakt und Unterbrechung. Dabei arbeiten die Muskelstränge reflektisch, mechanisch und gehorchen, nach einiger Übung, blind den Befehlen des Bewusstseins.
Wessen Befehlen?
Gewiss befiehlt die Person, die schreibt, dem Textautomaten, was er zu schreiben hat. Aber im Gegenzug diktiert auch der Rechner seine Bedingungen: zehnfingerblind, nicht über den Kopf sondern über die Hände, erhält die Person von der einen kompatiblen Rechenmaschine die Anweisungen, wie sie mit ihr zu leben hat.
Das Tastenfeld – der Operationstisch, auf dem die anorganische Welt lebloser Stoffe dem organischen Nervengeflecht der Lebewesen chirurgisch eingepflanzt wird.
Von jetzt an liegen die Finger für immer auf den nervösen Tasten. Während sie darauf beflissen hin und her tanzen, streift der Blick über den Bildschirm nach draußen. Wolkenhimmel, ein flaches Dach, Bürofenster, eine Kastanie, unten ein belebter Bürgersteig. Alles drängt sich zusammen auf den Umkreis der Handgelenke.
Hansjürgen Bulkowski 22.05.2007
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