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Isabella Vogel

Mein Esstisch



Ich beziehe meine erste eigene Wohnung und denke seit geraumer Zeit über die Frage nach: Wie kann ich meine 10 m²  Berlin attraktiv vollstopfen?
– Zum Beispiel mit einem Esstisch. Wie sieht ein schöner Esstisch aus?
Rund. Hölzern. Sinnliche, geschwungene vier Beine, mutmaße ich und finde in einem Neuköllner Trödelladen einen eckigen, massiven zwei­beinigen Holztisch mit einer Schublade, in der ein verrosteter Schlüssel steckt. Ich liebe dieses Möbelstück sofort um einiges mehr als engste Familienmitglieder und bekunde den arabischen Händlern zwischen über­einander und durcheinander hervorquellenden stöhnend knarrenden Möbeln meine Kaufabsichten.
„Keine Problem. Zahlst Du 70 Euro. Kannst Du mitnehmen“, antwortet ein durchschnittlich hübscher Herr mit Bomberjacke.
„Oh, 70 Euro ist aber ganz schön viel.“
„Für so eine Tisch ist billig.“
„Mm ... aber haben Sie zum Beispiel diesen Fleck hier schon gesehen?“
Ich deute aufmerksam auf eine abgenutzte Stelle auf der Tischplatte, als hätte ich eine Unstimmigkeit eines Zuchtbullen bei einer Schönheitswahl entdeckt. Mein Finger klebt auf dem Fleck.
Irgendwann einmal hat jemand eine heiße, feuchte Tasse dort stehen gelassen und mir damit 10 Euro Rabatt geschenkt, denn der meistens lächelnde Bomberjackenmann antwortet: „Naja, 60.“
„Wie wäre es mit .... mm ... 25?“
„25? Das ist keine Preis für diese Tisch. Ist gutes Holz. Stabile Tisch. 50 Euro.“
„Ich schaue mir nochmal die anderen Tische an.“
„Ok, schaust Du an.“

Ich wandere in einem muffigen düsteren Hinterzimmer umher. Dort lagern schwere Nähtische. Sie betten staubige Nähmaschinen in ihre Holzplatten ein und beinah sieht man noch eine Trümmerfrau im Nachthemd daran hocken und lauter Flicken zu einer Winterdecke zusammennähen.
Ein weißes Klavier mit ein­gefallenen Tasten hingegen erweckt den Ein­druck, als tauchte ich durch das Wrack der Titanic.
Schließlich erspähe ich auch zwei Holztische, die Platte an Platte über­einander liegen, als müsste man nur einen Handstand machen und schon könnte man am oberen Tee trinken. Beide besitzen anzüglich ge­schwun­gene Barockbeine, aber sie wirken auf einmal so weiblich auf mich. „DER Tisch“, geht mir durch den Kopf.
Diese beiden hier wirken so spießig, so unpolitisch, als kämen sie aus Zehlendorf.
Mein schwerer kantiger und befleckter Schubladentisch hingegen – ihn werde ich zum angetrauten Tische nehmen, wenn das möglich wird.

Als ich zurück in den Eingangsbereich schlendern will, stolpere ich beinahe über einen anderen jungen Mann, der auf dem Boden auf einem kleinen Gebetsteppich kniet und sich gegen Mekka verbeugt.
„Macht er Ramadan.“
„Wieso macht Ramadan, Alter?“
höre ich ein Gespräch der anderen zwei Verkäufer zu mir herübersickern.
Ich versuche möglichst leise und ehr­fürchtig an dem betenden Mann vorbei­zu­schleichen. Der Trödelladen ist jetzt angefüllt von einem melan­cho­lischen Hauch der Moscheen.
„Und 30 Euro?“
Der lächelnde Bomberjackenmann seufzt.
„35 Euro. Letzte Angebot. Ist echt gute Tisch. Stabile Holz.“
Ich nicke monoton den wiederholten Preisungen des getischlerten Wunders zu.
„Ok. 35 Euro ist gut. Aber der Tisch ist zu schwer. Wie soll ich den nach Friedrichshain tragen?“
Der Verkäufer seufzt erneut und runzelt die Stirn.
„Sercan!“
Ein unförmiger Riese mit raspelkurzem Haar und Hasenzähnen tritt aus einer Kammer heraus und sieht uns erwartungsvoll an.
„Mädchen braucht Auto. Will sie Tisch nach Hause fahren. Du holst Transporter?“
„Wo sie wohnt?“ will der Riese wissen.
„Friedrichshain.“
„Gut. Hole ich Auto. Eine Moment.“
Ich setze mich auf einen Hocker, der das Bild einer Pferdekutsche auf einer Fliese zeigt.
Mein Tisch wird in einen weißen Transporter gehoben. Ich nehme neben dem Riesen platzt.
Im ersten Stau zünden wir uns seine polnischen Marlboro-Lights an und er erzählt mir in seiner Sprache von deutsch-polnischen Grenzüberfahrten mit zu vielen Marlboro-Light-Stangen im Kofferraum. Es ist angenehm dieses andere Deutsch zu hören. Zeitweise habe ich das Gefühl, es klänge viel unbürokratischer und ehrlicher, als mein eigenes und ich weiß nicht genau wieso es überhaupt Regeln gibt, die man lernt, um die richtige von der falschen Sprache zu unterscheiden. Könnte nicht jeder seine eigene Grammatik erfinden und Subjekte, Objekte, Prädikate bunt durcheinander würfeln? Je nach Stimmung?
Die Zollbeamten an der polnischen Grenze schienen immer sehr tolerant gewesen zu sein.
Im 2. Stau schweigen wir. Ich träume versonnen von meinem Tisch. In Trance frage ich: „Man könnte ihn auch dunkler streichen, nicht? ABBEITZEN ... ja ... was ist das denn für ein Holz?“
„Ich nix weiß. Das nicht meine Laden. Das Laden von Freund. Ich arbeiten auf Baustelle.
Ich nicke und weil mir wieder einmal nichts Besseres einfällt, frage ich:
„Macht dir das Spaß?“
Er sinnt nach.
„Puh ... ob Spaß machen ... weiß nicht ... Ist Arbeit.“
„Mm.“
„Ist Arbeit gut.“
„Mm.“
„Stehst du früh auf ... arbeitest du bis halb fünf.“
„Mm.“
„Manchmal bis fünf.“
„Mm.“
„Dann nach Hause gehen, essen, schlafen. Ist Arbeit gut. Ist besser als sitzen zu Hause ganze Tag ... Nur Wochenende ist frei. Da ich bisschen Spaß mache. Seit neun Jahren ich in Deutschland, aber nix so gut sprechen.“
„Doch, das geht schon. Ich spreche auch kein ... äh ... arabisch?“
„Naja ... ich auch nix zu Schule gewesen in meine Heimat. Deshalb nix gut sprechen.“
„Und wo kommst du her?“
„Palästina ich komme her. Wir immer Krieg. Immer Krieg. Deshalb ich nicht gegangen zu Schule und deshalb ich kommen nach Deutschland.“
„Mm.“
Ein Punk will unsere Frontscheibe abwischen. Der Riese wehrt ab.
„Schade ... solche Menschen ... wenn Menschen so sind.“
Ich weiß nicht so Recht, was er damit meint, stimme aber zu.

„Und Deine Familie? Leben sie auch hier?“
„Mutter und Schweser noch in Palästina. Manchmal ich telefoniere mit sie. Sie weinen, weil nicht mehr wissen wie aussehe.“
„Oh ... und ... wie siehst Du das ... mit dem Krieg?“
„Ist das alles Schuld von die Hitler!“ er lächelt hilflos zu mir herüber, ich lächle reflexartig zurück, während er fortführt: „Hat er die ganze Juden verbrannt.“
Ich beende erschrocken mein Lächeln.
„Dann alle Juden gesagt 45: »Wollen wir eigene Land.« Sie kommen nach Palästina und machen Krieg ... Hier in deutsche Fernsehen Du nicht siehst Bilder von ganze Familie – getötet bei Flugzeug ... und Flugzeug von Amerika. Meine Oma und meine Vater auch getötet bei Flugzeug.“
„Das tut mir leid.“
„Danke. Weißt Du ... einmal habe hier in Deutschland getroffen junge Frau. Ich zu ihr gegangen und gesagt: Ey, Du aussiehst arabisch. Woher Du kommst?“ Sie gesagt sie Jüdin aus Israel. Ich nicht wollte mehr Telefon austauschen. Sie gefragt: Warum? Jetzt wir sind in Deutschland. Hier keine Krieg! Ich gefragt: Wo Deine Großeltern geboren?
Sie gesagt: In Deutschland. Ich gesagt: Meine Großeltern geboren in Palästina und meine Oma getötet bei Flugzeug von Juden. Ihr neu gekommen in diese Land und machen Krieg. Das nicht ok für mich. Also wir nicht Telefon ausgetauscht.“
Ich nicke ihm zu.
„Iste nicht einfach Leben in Deutschland. Das auch nicht einfach, aber keine Krieg. Ich warten bis Juden wollen Frieden oder gehen zurück nach Europa.“
„Sie haben ihr Ziel erreicht“, unterbrach das Navigationssystem unsere Gedankenpause.
Als wir meinen Tisch durch das Treppenhaus trugen, fragte ich mich wieder, woher er wohl kam. Er war nicht einzuordnen. Weder ein wirklicher Ess- noch ein Schreib-, noch ein Küchen-, noch ein Werkzeugtisch war das.
Wozu nur zwei Beine und die Schublade? War das ein deutsches Möbelstück? Oder ein arabisches, vielleicht sogar ein jüdisches? Gibt es das? – Ich weiß es nicht, aber es gab den Riesen und mich –

und wir trugen meinen Tisch auf den Teppich in meinem Zimmer.

 

Isabella Vogel  08.04.2009    
Isabella Vogel
Prosa
Lyrik