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Gerhard Falkner
Ignatien
Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs
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Gerhard Falkner | Yves Netzhammer
Ignatien: Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs
Herausgeber: Manfred Rothenberger, Constantin Lieb und Institut für moderne Kunst Nürnberg
Gedichte: Gerhard Falkner
Filmstills: Yves Netzhammer
Übersetzung: Ann Cotten, Jeremy Gaines
128 S. mit zahlr. Farbabb.
Hardcover | Deutsch/Englisch | € 19,90
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Ein Glück, sagt die Sprache, ein Glück, dass Versprechen gesprochen, aber auch gebrochen werden. Ein Glück, aus dem Versprechen – ganz einfach – wird ein Versprecher. Denn sonst, sagt die Sprache, denn sonst, wäre ich umsonst auf der Welt, würde ich nicht gesprochen von der Alchemie dieses Dichters, wäre stumm, es gäbe mich gar nicht. Gerhard Falkners 1989 geäußertes Versprechen, keinen eigenen Gedichtband mehr zu veröffentlichen, hat sich als Versprecher gezeigt, der bald eingelöst wurde, das Versprechen ist lange gebrochen, Falkner legt weiterhin Gedichtbände vor. Das ist das Glück der Sprache, und es ist unser Glück, denn dieser Gerhard Falkner kann etwas, was den wenigsten gelingt, er kann die Sprache entzweien und bezwingen, zerstören, besonders aber zelebrieren. In seinem neuen Gedichtband Ignatien – Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs, der zusammen mit dem 1970 geborenen bildenden Künstler Yves Netzhammer entstanden ist, wird ein Goldstandard des heutigen poetischen Umgangs mit Sprache vorgelegt, dessen Auswirkungen vorerst allemal zu erahnen sind.
Ein kleiner Epigraph ist dem Band vorangestellt: „Die Wirkung der Ignatie ist ganz auf das Nervensystem gerichtet!“ Dort geht die Reise des 1951 geborenen Gerhard Falkner schon immer hin, ins Innere des Nervensystems, in den Kern des Ichs, und besonders in den Kern des Ich in dieser entsprechenden Zeit, die man heute nennt.
Wer, wenn nicht ich, hörte mich denn
aus der Enge der Ordnungen
dem Ingrimm der Zeichen
in entsprechender Zeit?
Mit Hilfe Rilkes Duineser Elegien („Wer, wenn ich schrie, hörte mich / denn aus der Engel Ordnungen?“) beginnt die erste Ignatie (,Ignatia 1') mit einem Klageschrei, einem schwermutvollen Ausstülpen des Inneren auf die Welt und die Zeit hin, auf diese ent-sprechende Zeit, die mit ihrem Sprechen mehr und mehr an eine Ende zu gelangen scheint, sich vielleicht schon ausgesprochen hat. Gegen die Sprachlosigkeit, die der Tod ist, geht diese Selbstanrufung, die den Band eröffnet:
Wer führt mich denn
aus der Unhintergehbarkeit
von Sprache
ins endlich Offene?
Die Sprache ist hier eine Wand, die zwischen dem Ich und dem Offenen steht, doch was ist das Offene, wenn nicht auch der Ausdruck (das Drücken nach außen) des Ichs? Das Ich, die Subjektivität, was die alten Griechen die Seele nannten, wird in Falkners Ignatien wieder und wieder besungen und zum Schwingen gebracht. Aber dieses Ich hat es schwer und schwerer in Zeiten, die dominiert sind von den vielfältigen Ausrottungen der Individualität, wo „[n]ichts zählt“ in einer „alptraumwachen Welt“, wo die Sprache immer mehr zu einem „Kommunikationsautomaten“ mechanisiert wird, wo auf der Sprache herumgetrampelt wird wie auf dem ewig zertretenen Gesicht, das George Orwell als das treffende Bild der Zukunft empfand, in der wir uns heute befinden müssen – das Sprachzertreten ist allgegenwärtig: „Alles, was zu dumm ist, gesprochen zu werden / wird jetzt gesungen“.
Es ist also kein Zufall, dass die Sprache in Falkners Ignatien wiederholt allegorisiert wird und die Bühne betritt als Figur: „Heute früh um 8 hat es geklopft und gefragt: / ,Ist denn die Sprache zuhause?' / Nein, hat es geantwortet, die wohnt hier nicht mehr.“ Denn verbindlich ist die Sprache mit dem Ich verknüpft. Die Wendung, die ein Subjekt wählt für eine Erfahrung, ist singulär, nicht reproduzierbar und nicht wiederholbar. Die Nutzung der Sprache, als wäre sie auch unbedacht, flapsig nutzbar, so spricht es aus diesen Ignatien heraus, wird unmittelbar gefolgt sein von einem unbedachten, flapsigen Leben. Was Falkner einmal das „Versiegen des inneren Monologs“ nannte, ist heute mit Händen zu greifen, vielleicht auch, weil das Medium, das den inneren Monolog darstellt, nämlich die Sprache, heute überall verfügbar ist. Man spricht vom Bildzeitalter, von der digitalen Welt, dabei ist es doch, durch Internet und Smartphone, mehr als alles andere, die Sprache, die heute im Zentrum des Lebens steht. Das Erstaunlichste daran aber ist, dass dieses Zentrum nicht den Kern des Ichs darstellt, weil sie eine Mitteilungssprache, eine ledigliche Redesprache geworden ist, die das Lyrische verpasst. Das Versiegen des inneren Monologs liegt auch darin begründet, dass die Sprache weniger kostbar geworden ist, durch Sprachübersättigung allerorts.
Falkners Werk setzt sich immer schon mit dieser Problematik auseinander und wusste von Beginn an um die primäre Wichtigkeit des persönlichen Sprechens. In seinem ersten Gedichtband so beginnen am körper die tage (1981) heißt es schon: „siehst du, ich habe das auge aufgestemmt. / mit dem werkzeug der stimme / habe ich freigelegt das zittern seiner linse“. Das Werkzeug der Stimme ist in dieser flüchtigen Zeit – in ,Ignatia 9' heißt es: „Ist hier das Jetzt jetzt denn endlich einen Moment lang ewig?“ – in dieser flüchtigen Zeit ist das Werkzeug der Stimme notwendig, um die Sprache auf eine Weise zu öffnen, die das Ich zum Vorschein bringt. Das bedeutet für Falkner niemals, dass die Sprache in eine elitäre Ecke drängen sollte, wo in Privatsprache über etwas diskutiert wird, das kaum gehört werden kann oder will. Nein, nein: Falkners Sprache geht eben ins Nervenzentrum, in die Schaltzentralen der Gegenwart, und aus diesem Grund führt er immer vor, was Michael Braun einmal treffend beschrieb als ein „Oszillieren zwischen klassisch- romantischer Verzauberung und moderner Entzauberung, zwischen hohem Ton und coolem Gegengesang.“
Auf kühnste Weise wird in den 20 Ignatien dieses Oszillieren durchgeführt, wie in der ‚Ignatia 8', die beginnt mit den Worten:
Etwas anderes ist es, nicht recht bei Trost zu
zu sein in einer entrückten Welt.
Wie herrlich die Frühnebel sind
die Wiesen zur Unzeit
zum Reinschreien.
Zum Reinschreien sind diese Nebel, die früh, also frisch sind, und wie die eintönige Fläche des Nebels ist auch das Papier rein und frisch, zum Reinschreiben also. In die Welt schreibt sich das sprechende Ich ein, mit jedem Wort wird das Ich, das hier spricht, ein wenig ewiger, wenn es seine Sprachkollisionen durchführt und sich dabei näher kommt: „Früh schon ein Abendmensch / eingegraben ins Eigene / aber immer ein ganzes Gigabyte Sperma im Speicher“. Diese Brüche, die entstehen wenn zarte Worte wie „Abendmensch“ und die assonante Schönheit von „eingegraben ins Eigene“ treffen auf die harte technosexuelle Kälte von „Gigabyte Sperma im Speicher“ – diese Brüche sind eben der ganz Ur-Falknersche Registermix, der im lesenden, oder hörenden Subjekt sowohl Rührung wie Irritation anregt. Das Subjekt, die Seele, kommt zu sich selbst, indem es diese Gedichte liest, oder hört.
Dabei ist vielleicht kein heute Schreibender so köstlich kulturpessimistisch und gleichzeitig lyrisch wie Falkner:
Wir haben mehr von der Erde gesehen
als ein einziges Mal eine Handvoll
von ihr das Glück hatte, von uns in die Hand
genommen und genauer betrachtet
zu werden. Wir ewigen Easy-Jetter.
Alles ist einfach, aber das heißt nicht, dass alles leicht ist, oder gar etwas schwebt. In einer Welt, da sich „schwer [...] die / Gewalten ins Gedächtnis stemmen“, schält sich der Wunsch nach Leichtigkeit, Schwerelosigkeit hervor: „Ich wollte, die Welt wäre weiß und leicht / wie Weizenmehl und sie flöge“. Und es ist auch die Liebe, die durch Falkners Zeilen geht, denn auch sie läuft Gefahr kolonisiert zu werden von den Normen, eingemauert zu werden in die „Enge der Ordnungen“:
Das Herz, die Konsole, Kranz, Kanüle und Kapsel
die Trommel, der Tanz, Tabelle, Diktat und Turbulenz
fordern Liebe.
Aber nur dann ist die Liebe ein gültiger Algorithmus
Wenn sie bei der gleichen Voraussetzung
Zum selben Ergebnis führt –
und das tut sie ja nicht
Liebe existiert ausschließlich persönlich, kein Algorithmus ist – auch wenn die medialen Angstmacher das Gegenteil schüren – befähigt, die Seele zu algorithmisieren, denn die Liebe, wie die Seele, kommt durch einen anderen Rhythmus in die Welt, durch die Sprache, die dem Menschen eigen ist.
Neben den surrealen, an Duchamp erinnernden Piktogrammen von Yves Netzhammer zielen die Ignatien – der Titel verweist auf die bald giftige, bald reinigende Wirkung der Pflanzenart Ignazbohne – zwar auf das Nervensystem; Falkners Gedichte attackieren es bisweilen sogar, doch die Wirkung dieses außergewöhnlichen Bandes ist eine Einladung, sich neu mit der Sprache zu befassen, die Sprache neu zu bedenken, neu, das zu machen, was die Poesie kann:
Ihr, die ihr geliebt habt
die ihr den Traum des Unwahrscheinlichen geträumt habt
den die Grausamkeit Hoffnung nennt
entartet euch, entrückt die Sprache –
grau wie Hundeasche – ins Unenthüllte.
Es gilt, diese kostbaren Worte, die der Worteklauber Falkner hier sammelt („die Echos absammelt“) und kombiniert, und die in Ann Cottens eleganten wie verfremdenden englischen Übersetzungen gleich beigegeben sind, langsam auf der Zunge zu führen und zu erkennen, welche Kraft in der Dichtung steckt: „Sogar absolut nichts kann alles heißen“. Wieder klingt hier die gleichzeitige Fremdheit und Vertrautheit von Sprache an.
In einem auf Deutsch verfassten Brief von 1936 schrieb Samuel Beckett einmal: „Und immer mehr wie ein Schleier kommt mir meine Sprache vor, den man zerreissen muss, um an die dahinterliegenden Dinge (oder das dahinterliegende Nichts) zu kommen. […] Ein Loch nach dem andern in ihr zu bohren, bis das Dahinterkauernde, sei es etwas oder nichts, durchzusickern anfängt – ich kann mir für den heutigen Schriftsteller kein höheres Ziel vorstellen.“
Der Borohrt des Schriftstellers ist die Sprache, und auch ist sie sein Bohrer. Falkner setzt seinen Sprachbohrer dort an, wo es sich gehört, in der Sprache selbst und findet, was vielleicht etwas, vielleicht nichts ist, aber immer an das Ich rührt, das in der Sprache lebt.
Zum Schluss aber („dann endlich geht das Aber aus sich heraus“) kommt noch einmal die Sprache zu Wort und fragt sich, was darauf folgen wird, wohin Gerhard Falkner noch gehen werden kann, wohin er sich noch sprechen und schreiben wird können, wo diese Gedichte so scheinen, als schritten sie schon an den aller äußersten Rand der modernen Poesie, wo die Sprache scheinbar in jedem Wort, in jedem Klang ihrer Worte, sich selbst hinterfragt. Danach ist Schluss, könnte die Sprache spotten, aber erstens beherrscht dieser Dichter sie so wie sie sich selbst beherrscht („Es spricht die Sprache sich selbst wie kein Zweiter!“), und zweitens hat man schon einmal gemeint, Gerhard Falkner würde schweigen und er kam zurück zur Sprache, mit Sprache. Ein Glück, sagt die Sprache, ein Glück.
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