Jeffrey McDaniel
Mitgefühl über den Wolken
Auf dem Nachtflug aus Seattle schreit sich
direkt hinter mir ein Zweijähriger die kleine Seele
aus dem Leib. Anstatt davon zu träumen,
ihm den Mund mit Isolierband
zu stopfen, beneide ich ihn darum, wie er
seiner Pein freie Bahn lässt. Ich würde auch gern
in meinen Qualfeldern bohren können, um
meinen Heulsee anzuzapfen. Wie lange müsste ich
wohl schluchzen, bis die Frau neben mir
ihr Stylemagazin zur Seite legt und die Finger
in die Pfütze dippt, die ich geworden bin? Wie oft
kreischen, bis der nächste Passagier
mit einstimmt? Im Handumdrehen könnte die Stewardess
den Imbisswagen umarmen, der Pilot
in seine Armaturen flennen, der ganze Jet ein Pfeil
aus Kummer sein, der durch die Lüfte schwirrt.
Aus dem Amerikanischen von Ron Winkler
Jeffrey McDaniel 04.05.2012
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Jeffrey McDaniel
Lyrik
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