Herr Blanc liebt die Schweiz, die Ruhe, Ordnung, Gemütlichkeit und feste Rituale. Er ist der perfekte Kleinbürger. Risiken, Abenteuer und Unberechenbarkeiten sind ihm ein Graus. Der Protagonist im gleichnamigen Debütroman des Schweizer Schriftstellers Roman Graf könnte ein ruhiges Leben führen, doch der Gedanke an die eine verpasste Chance sitzt ihm wie ein Stachel im Fleisch und lässt ihn sein Leben lang mit sich hadern. Während eines Studiums in Cambridge lernt er seine große Liebe Heike kennen, die er jedoch wieder verlässt, um in der Schweiz ein gesichertes Leben zu führen. Jahrelang ist nun seine Mutter Frau Nr.1 in seinem Leben, bis er nach deren Tod die verwitwete Vreni über eine Kontaktanzeige kennen lernt und heiratet. Tatsächlich aber trauert er Zeit seines Lebens Heike und einem möglichen Glück mit ihr hinterher. Als er von Heikes Tod in Krakau erfährt, verlässt er zum ersten Mal seit dem Studium die Schweiz. Die Handlung des Romans setzt vor seiner Hochzeit mit Vreni und dem Tod der Mutter ein, als Herr Blanc bereits ein Mann mittleren Alters ist. Der Roman besteht zu einem großen Teil aus Gedankenketten und assoziativen Monologen des Protagonisten, die jeweils nur einen kurzen Moment tatsächlich Erlebtes zum Ausgangspunkt haben. Diese konventionelle Erzählweise wirkt über die Strecke eines Romans ermüdend. Viel wird erzählt, wenig erlebt. Dafür wird man vom durchaus komischen Blick in die ausschweifende Gedankenwelt des pedantischen Kauzes Herr Blanc getröstet, der am Glück scheitert, weil er es nur in der eigenen Fantasie zu empfinden wagt. Leser, die einen temporeichen Roman erwarten, werden von Herr Blanc enttäuscht. Der Protagonist selbst ist eben eine Konventionen liebende Schnecke, die keine Lust auf Experimente verspürt, dies aber bereut und sich tatsächlich fast nie aus dem Schutz des eigenen Hauses hinausbewegt und über sich hinauswächst. Während er im wirklichen Leben durch nichts zufrieden gestellt werden kann, sich geradezu diktatorisch gegenüber seiner Umwelt verhält und überall Verrat wittert, wenn etwa Vreni es scheinbar auf seine Gesundheit abgesehen hat, als sie ihm den gewünschten Eistee gegen das Kratzen im Hals nicht serviert, ist es in seiner Vorstellung einzig Heike, mit der er hätte glücklich werden können, bei der er selbst ein guter Mensch geworden wäre. So unzufrieden Herr Blanc mit dem Verlauf seines Lebens ist – er verharrt darin. Die Diskrepanz zwischen dem denkenden Herrn Blanc und dem (nicht)handelnden Herrn Blanc ist unüberbrückbar. Tatsächliche Rebellion, wie etwa eine mögliche Hochzeit mit Heike oder ein Umzug nach Polen, finden nur in seiner Fantasie statt. Erst nach Vrenis Tod, nachdem diese auf demselben Friedhof wie Herr Blancs Mutter beerdigt wurde und nicht neben ihrem verstorbenen Ex-Mann, verfügt Herr Blanc, sich in Polen beerdigen zu lassen - bei seiner Jugendliebe Heike. Auch trägt er erst nach Vrenis Tod und einer ihm angemessenen Trauerzeit den Ehering, den Heike ihm vererbt hat. Herr Blanc scheut offene Konflikte, stellt sich weder sich selbst noch den Menschen in seiner Umgebung. Bis zum Schluss des Romans erkennt er nicht, dass Heike zu einer Utopie geworden ist, einem Heilsversprechen, das der Realität seines Lebens niemals hätte standhalten können, und dass es in Wirklichkeit diese Utopie ist, die ihm das Leben so unerträglich macht und nicht das Leben selbst. Bei soviel gelebter Langeweile und selbstverschuldetem Unglück, soviel Starrsinn und Selbstmitleid ist es schwer, für ihn Sympathie zu empfinden. Man möchte ihn schütteln, diesen lahmen Herrn Blanc, ihn anschreien, gefälligst mutig zu sein und ihm noch im Rentenalter in den Hintern treten. Dass der Roman dieses Gefühl auszulösen vermag, ist bei aller Kritik an der Handlungsarmut schon eine Leistung.
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Johanna Hemkentokrax
Prosa
Reportage
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