Die unabhängigen Verlage formieren sich
Die Initiatoren der Lesung unabhängiger Verlage im Gespräch
Ein Gespräch mit den Veranstaltern Irina Kramp, Thomas Podhostnik und Sebastian Brock über die Lesung der unabhängigen Verlage, die zur Leipziger Buchmesse 2010 am 19. März von 20.00 bis 24.00 Uhr im Westflügel der Schaubühne Lindenfels stattfindet. |
UV-Website
Johanna Hemkentokrax: Zur Leipziger Buchmesse 2010 findet erstmals eine eigene große Lesung der so genannten unabhängigen Verlage statt. Wie seid ihr als Veranstalter und Mitarbeiter in der Buchmesseorganisation auf diese Idee gekommen? Habt ihr im bisherigen Programm der Messe ein Defizit gesehen, was die Präsentation dieser Verlage angeht?
Irina Kramp, 1975 in Leipzig geboren, Studium der Politikwissenschaften, Germanistik u. AVL. Seit 2005 mit voneinander hören freiberuflich rund ums gedruckte Wort tätig, u.a. für die Connewitzer Verlagsbuchhandlung, die Leipziger Buchmesse und diverse Verlage.
Irina Kramp: Auf die Idee, UV – Die Lesung der unabhängigen Verlage zu organisieren, bin ich nicht allein gekommen – sie hat sich im Laufe eines langen Abends mit meinen Mitstreitern Sebastian Brock und Thomas Podhostnik entwickelt. Die beiden Herren haben selbst jeweils ein Buch bei unabhängigen Verlagen veröffentlicht und stecken von daher in der Materie. Mein Herz schlägt durch meine langjährige Arbeit in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung und die Koordination der Leseinsel Junge Verlage während der Leipziger Buchmesse für die Unabhängigen. Wir drei verstehen UV als logische und konsequente Weiterentwicklung der Leseinsel – ein Abend, ein charmanter Ort, 13 Verlage aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, 18 AutorInnen, vier ModeratorInnen: eine überaus gute Gelegenheit für einen ersten Überblick über die Programme der Independents.
Seit 2006 präsentieren sich die unabhängigen Verlage auf dem Messegelände auf einer eigenen Leseinsel, die von Anfang an sowohl von den Verlagen als auch vom Publikum und der Presse sehr gut angenommen wurde und von Jahr zu Jahr wächst und gedeiht. Auch mit Abendveranstaltungen waren die Independents bisher immer am Buchmesseprogramm beteiligt. Das einzige Defizit, das wir mit UV – Die Lesung der unabhängigen Verlage beseitigen wollen, ist eins der Zeit. In den vier Messetagen finden so viele Veranstaltungen statt, dass uns eine Bündelung sinnvoll erscheint.
Thomas Podhostnik: Die Lesung war nahe liegend. Es gab bereits die Leseinsel der Jungen Verlage sowie die Party der Jungen Verlage. Was fehlte war eine Lesung außerhalb des Messegeländes. Lesungen direkt auf der Buchmesse sind eine sehr undankbare Angelegenheit für Autoren – der Lärm, die vorbeiströmenden Menschen. Andererseits sind die Programme der unabhängigen Verlage es wert, in einem gesonderten Rahmen vorgestellt zu werden. Also, was lag näher?
J. Hemkentokrax: Was macht einen Verlag für euch zum unabhängigen Verlag, außer, dass er wahrscheinlich nicht zu den großen Ketten wie Random House gehört?
Thomas Podhostnik: Zunächst, dass der Verlag sich selbst als unabhängig versteht. Es spiegelt eine Haltung der Verlage wider.
Thomas Podhostnik, 1972 in Radolfzell geboren, Ausbildung als Regieassistent, Studium der Soziologie und Politik, Absolvent des DLL. Mehrere Preise und Stipendien. 2008 erschien im °Luftschacht Verlag sein Roman Der gezeichnete Hund. Er lebt als freier Autor und Regisseur in Leipzig.
Gespräch im Poetenladen Der Begriff „unabhängig“ lässt sich erweitern auf Buchhandlungen und Autoren, auf die ganze Produktionskette. Ich denke, es ist schwerer, unabhängig zu sein und zu bleiben, als abhängig zu werden. Was angenehmer ist, sei einmal dahingestellt. Der Begriff „unabhängig“ erscheint mit schützenswert. „Unabhängig“ bedarf viel Liebe, Aufmerksamkeit und Zuspruch. Er muss gehegt und gepflegt werden.
Irina Kramp: Ja, die Unabhängigkeit von Ketten und / oder Konzernen ist das eine. Das andere ist eine ähnliche Art des Literaturzugangs und der Arbeitsweise. Die unabhängigen Verlage sind es, die mit einem hohen Maß an persönlichem Risiko anspruchsvollen Themen und literarischen Formen fernab des Mainstreams eine Heimat in ihren Programmen geben. Für mich gibt es mittlerweile in den unabhängigen Verlagen die Verlegerpersönlichkeiten, die in den größeren und großen Verlagshäusern und Konzernverlagen so schmerzlich und lauthals vermisst werden. Bei den Independents wird gepflegt und bewahrt, Neues entdeckt und aufgebaut – und das mit einem Enthusiasmus, einer Kraft, Lebens- und Literaturfreude, die ich sehr bewundere.
Sebastian Brock: Das steckt ja schon im Namen drin, sie sind halt unabhängig. Da machen Leute das, was sie wollen. Das heißt nicht, dass das nun die grundsätzlich bessere Literatur sein muss, als bei den etablierten Verlagen. Aber in der Regel ist der Entscheidungsgang ein Buch zu machen, schon ein anderer.
Sebastian Brock, 1980 in Leipzig geboren, Studium der Medizin in seiner Heimatstadt und Barcelona, zeitgleich studierte er am DLL. Er arbeitet als Arzt in Halle. Sein Roman Silbersee erschien 2006, die Novelle Kurze Visite erscheint im Frühjahr 2010 (beide im Mitteldeutschen Verlag). Da sagt nämlich irgendwer: Das gefällt mir, das will ich gedruckt sehen. Und dann muss er es nicht erst durch eine große Lektorenkonferenz schleppen. Er macht das Buch, das ihm gefällt, weil er oft der einzige Entscheider ist. Nur natürlich, dass da gelegentlich das ein oder andere originelle Buch dabei ist.
J. Hemkentokrax: Die Lesung der Unabhängigen Verlage findet am 19. März 2010 ja weitab vom Buchmesserummel im Westflügel der Schaubühne Lindenfels statt. Ist der Ort mit Absicht so gewählt, um einen Kontrapunkt zum üblichen Veranstaltungsprogramm zu setzen?
Thomas Podhostnik: Waren Sie schon einmal im Westflügel? Der Veranstaltungsort ist wunderschön. Außerdem gut zu erreichen, die Linie 14 führt beinah genau vor die Tür. Außerdem kennt man in Leipzig die Schaubühne Lindenfels. Der Westflügel liegt direkt daneben, ist also leicht zu finden. Die Karl-Heine Straße entwickelt sich langsam zum geheimen Herzen Leipzigs. Es lag nah, die Lesung der unabhängigen Verlage dort zu veranstalten.
Irina Kramp: Der Ort ist wirklich einmalig und zudem das erste Mal als Veranstaltungsort der Leipziger Buchmesse dabei: eine Doppelpremiere also. Von Anfang an hatten wir das Gefühl, im Westflügel mit offenen Armen empfangen zu werden. Dort sind ebenfalls Enthusiasten am Werk, Enthusiasten des Figurentheaters.
J. Hemkentokrax: Welche Verlage nehmen an der Veranstaltung teil und wie wird das Programm aussehen?
Irina Kramp: Insgesamt sind 13 Verlage mit im Boot, darunter der Poetenladen, Voland & Quist, Plöttner und der Mitteldeutsche Verlag aus der Region, mit Blumenbar, kookbooks, luxbooks, mairisch und dem Verbrecher Verlag, aber auch Verlage aus ganz Deutschland.
°Luftschacht und Milena aus Wien und der bilgerverlag und Salis aus Zürich vertreten Österreich und die Schweiz.
Es gibt zwei Räumlichkeiten innerhalb des Westflügels, in denen zeitgleich gelesen wird. Geplant sind pro Raum drei Leserunden von jeweils einer Stunde, mit jeweils drei AutorInnen und einer Moderatorin / einem Moderator. Das Programm ist gerade im Entstehen – sicherlich wird es thematisch geleitete Lesungen geben: dort die Debütanten, hier die Lyrik und als Paukenschlagsabschluß die Slamer und spoken-word-Artisten. Zum jetzigen Zeitpunkt stehen Ahne, Katharina Bendixen, Franz Dobler, Simon Froehling, Constantin Göttfert, Martina Hefter, Finn-Ole Heinrich, Jörg Jacob, Grit Kalies, Stevan Paul, Andri Perl, Annika Scheffel, Carl Weissner und Bastian Wierzioch als Lesende fest.
J. Hemkentokrax: Welche Bedeutung haben die Unabhängigen Verlage Eurer Meinung nach für den Buchmarkt? Seht ihr da eine Veränderung in den letzten Jahren? Welche Perspektiven gibt es?
Thomas Podhostnik: Ich glaube, dass die großen Verlage schon bald kein anspruchsvolles Programm mehr machen werden können, aufgrund ihrer Abhängigkeiten und aufgrund ihrer Größe. Diese Entwicklung zeichnet sich schon längere Zeit ab. Die Hauptaufgabe der großen Verlage wird es werden, Buchhandlungsketten Bestseller zu liefern. Diese Bücher sollen schnell rotieren, damit meine ich, dass sich Bücher schnell oft verkaufen müssen und dann aus den Regalen verschwinden, um den nächsten Platz zu machen. Für die Verbreitung und Pflege ernsthafter Literatur wird da keine Kraft mehr sein. Also werden gezwungenermaßen kleinere Verlage und Literaturzeitungen, auch Literaturportale diese Aufgabe übernehmen. In anderen Ländern ist es bereits so oder war nie anders. Man werfe nur einen Blick nach Osteuropa. Ich denke, wer sich für Literatur interessiert, kommt auf kurz oder lang an unabhängigen Verlagen nicht vorbei.
Irina Kramp: Für mich sind die unabhängigen Verlage das Salz in der (Buchstaben-)Suppe. Dort werden noch Dinge gewagt und ausprobiert, die sich andere, größere Verlage nicht mehr leisten zu können meinen. Dort regiert kein Management, dort haben Wirtschaftsprüfer keinen Zutritt, dort ist reine Verkäuflichkeit kein Argument. Alle Verleger, die ich in unabhängigen Verlagen kenne, sind auf eine sehr sympathische Art wahnsinnig. Sie leisten sich den Luxus, die Bücher zu machen, die Ihnen am Herzen liegen und Genres zu pflegen, die z.T. nur ein begrenztes Publikum ansprechen. Und Sie sind erstaunliche Allrounder, da alle Verlagsbereiche von meistens ein bis zwei Personen abgedeckt werden. Und Realisten sind Sie auch noch, ohne sich davon klein oder bitter machen zu lassen. Und Sie leben ein hohes Tempo, das man auf Dauer nur durchhalten kann, wenn man das, was man tut, wirklich liebt. Und, und, und…ach, ich gerate jedes Mal ins Schwärmen, wenn ich über die unabhängigen Verlage und die Leute, die dahinter stehen, nachdenke, denn es sind auch so viele menschliche Schatztruhen dabei!
J. Hemkentokrax: Welche Vorteile hat es eurer Meinung für einen Verlag heute in der wirtschaftlich schwierigen Lage und der Konkurrenz auf dem Buchmarkt, unabhängig von den großen Ketten zu bleiben?
Sebastian Brock: Wirtschaftlich bringt das gar keinen Vorteil. Aber ich denke, dass es da ein paar Enthusiasten gibt, die Lust haben, das zu machen, was sie für richtig halten. Verlegen kann ja auch eine Art Kunst sein, und wenn es nur die Kunst des Überlebens ist.
Thomas Podhostnik: Die kleineren Verlage leben von dem Engagement weniger. Wenige sind leichter zu ernähren als viele. Eine Marktkonzentration hat Vorteile, wenn es der Wirtschaft gut geht, sie ist von großem Nachtteil, wenn die Ressourcen knapper werden. Man denke nur an die Dinosaurier und die flinken Nager, die sie überlebt haben. Ich glaube auch an die Rückkehr von Tante-Emma-Läden.
Irina Kramp: Ich glaube auch, dass es leichter ist, beweglich zu bleiben, wenn man unabhängig ist – vielleicht auch, weil man wenig andere Wahl hat. Man muss sich drehen, machen, tun, um seine Bücher und AutorInnen an die Leser zu bringen. Diese Beweglichkeit ist es auch, die es ermöglicht, dass man auf neue Entwicklungen schneller reagieren kann.
J. Hemkentokrax: Die teilnehmenden Verlage, die unter dem Label Unabhängige Verlage zusammengefasst werden, sind ja durchaus sehr unterschiedlich. Da stehen Blumenbar und Ventil, die man ja schon zu den Größeren unter den Kleinen zählen kann, neben wirklichen Nischenverlagen und solchen, die stark regional verankert sind. Welche inhaltlichen Schnittstellen und gemeinsamen Interessenslagen gibt es trotzdem?
Sebastian Brock: Die inhaltlichen Schnittstellen zwischen einem Verlag wie Voland & Quist und °Luftschacht sind tatsächlich sehr gering. Cool, oder? Versuch das mal z.B. über Kiepenheuer&Witsch und Rowohlt zu sagen.
Irina Kramp: Ich glaube, dass es viele gemeinsame Interessenlagen gibt, da die Strukturen und Bedingungen des Literaturbetriebes bzw. des literarischen Marktes für alle gleich sind. Für alle beteiligten Verlage ist es schwierig, die Öffentlichkeit zu bekommen, die sie brauchen, um ihre Bücher an die LeserInnen zu bekommen – sei es in den Feuilletons oder den Kettenbuchhandlungen wie Hugendubel oder Thalia. In den letzten Jahren gab es einige gemeinsame Aktionen der unabhängigen Verlage, angefangen beim gemeinsamen Vorschauversand bis hin zu „Goldader“, dem ersten Spitzentitel-Paket von acht jungen Independent-Verlagen für den Buchhandel. Für mich zeigt das, dass sich auch die Verlage als „In-einem-Boot-sitzend“ begreifen.
J. Hemkentokrax: Das Programm in der Buchmessenwoche ist ja immer sehr voll und die Entscheidung fällt schwer, wenn vier oder fünf spannende Lesungen gleichzeitig stattfinden. Drei gute Gründe für einen Besuch der Lesung unabhängiger Verlage:
Thomas Podhostnik: Wir lieben Literatur.
Also: Lesung am 19. März 2010 von 20 bis 24 Uhr, Lindenfels Westflügel
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Johanna Hemkentokrax
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