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TEXT + KRITIK
Ausgabe 198: Gerhard Falkner
Kritik |
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TEXT + KRITIK
Zeitschrift für Literatur
Ausgabe 198: Gerhard Falkner
et+k 2013, 102 Seiten
Begründet von Heinz L. Arnold, Gastherausgeber Michael Braun
ISBN 978-3-86916-241-6
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Wenn einem lebenden Schriftsteller eine Ausgabe von »TEXT + KRITIK« gewidmet wird, ist das so etwas wie ein wohlüberlegtes Kreditieren. Es besteht dann nämlich Konsens über die Bedeutung des Schriftstellers oder der Schriftstellerin, die eine »wissenschaftliche Analyse und kritische Auseinandersetzung« nötig machen. In letzter Zeit befanden sich unter den Auserwählten z.B. Daniel Kehlmann, Reinhard Jirgl, Rainald Goetz oder Uwe Timm. Die jüngst erschienene Nummer 198 beschäftigt sich jetzt mit dem Berliner Dichter Gerhard Falkner (geboren 1951), dem Nimmermüden, der meint: »nichts darf vor dem Gedicht sicher sein.« So steht er auf der Schwelle zur akademischen Relevanz, im Betrieb selbst ist ihm der Respekt sicher. Falkner ist in der deutschen Literatur der Reizbare, der Aneckende, der Bewunderte, der Sanfte mitunter. Literaturkritiker wie Gregor Dotzauer, Peter Geist und Michael Braun, Schriftsteller wie Steffen Popp, Ann Cotten, Jan Wagner und Monika Rinck zollen in diesem Band Tribut an einen, der sie seit Jahrzehnten begleitet und/oder ihnen den Weg bereitete. Tribut mit Distanz, wohlgemerkt.
Zwei bislang unveröffentlichte Gedichte finden sich in dem Band, ein Gespräch zwischen Cornelia Jentzsch und Falkner, facettenreiche Essays, Erinnerungen und eine umfassende Auswahlbibliografie. Bereits im ersten Beitrag Falkners (»Ode an mein Gehirn«) offenbart sich die Diskrepanz und Dialektik seines Werkes, all das, was mit der stoischsten Mühe und der frechsten Eleganz zwischen die plumpen Gegensätze von Geist- Materie, Ich-Welt, Alltag-Erhebung, Trivialität-Geistesgeschichte gemeißelt wird, all die Ambition, all die Aufhebung: »du hast mich/ hart regiert, ohne mich zu tyrannisieren/ und dafür habe ich dir ein Schauspiel geboten/ das sich sehen lassen konnte«, heißt es da.
Im ersten Essay versteift sich Norbert Hummelt wohl etwas zu sehr auf das Bild des leidenden Künstlers, das er in Hölderlin festgemacht und deshalb (dank einiger Parallelen) bei Falkner wieder finden will. Leben und Dichtung werden zu Gegenpolen gemacht, genauso wie das Unverständnis gegenüber der Gegenwart und die Rückbesinnung auf glorreiche Vorfahren. Dabei ist Falkners Poesie nur selten Nostalgie und verbindet eher die zugeschriebenen Antagonismen. Hummelt gesteht dem Dichter auch zu, es würde ihm um die Freude gehen, mittels derer die leidvolle Existenz aufgebrochen wird (Falkner selbst spricht später von »Schönheit«). Dass die leidvolle Existenz, das Unverstandensein dafür notwendig sind, wird nicht angezweifelt. Und dabei beweist doch gerade der »TEXT + KRITIK«-Band, in dem das geschrieben steht, das Gegenteil: Falkner wird nicht abgestempelt als Außenseiter oder Relikt. Man möchte ihn verstehen und Falkner möchte verstanden werden. Man bringt ihm Aufmerksamkeit entgegen und Falkner ignoriert das nicht. Man hat bei Hummelt den Eindruck, Falkner solle es nur um die beatle'schen »things we said today« gehen, im Gedicht konserviert, im Leben aber mit der Verflossen entflohen. Derart rückwärtsgewandt und scheiternd ist das Werk Falkners nicht, eher voll traditionsbewusster Klarheit gegenüber der Realität (die auch das Scheitern mit einbezieht). »Dichtung hat nur Bedeutung, wenn sie auch zeitgenössisch ist«, hatte Falkner Dennis Scheck im ARD-Beitrag zu seinem neusten Band (»Pergamon Poems«) anvertraut, und dass es ihm um ein neues Anmischen der bereits vollzogenen dichterischen Höchstleistungen gehe.
Zwischen Freude und Schönheit geht Ann Cotten in ihrer charmanten Beobachtung noch ein Stück weiter: »Er will Wahrheit, auch mit dem Mittel der Peinlichkeit«, schreibt sie, und: »So exquisit obszön, peinlich oder riskant sie immer sind, Falkners Manöver sind doch meist eins: wirklich.« Und Steffen Popp konstatiert: »Jedes Gedicht ist eine entsprechende Grundforderung, gegenüber der leeren Seite […], gegenüber der Unzahl bereits geschriebener Gedichte, vor allem aber gegenüber dem Leser, den zu besetzen es antritt.« So wird der Dichter ein Suchender, der den eigenen Weg möglichst präzise dokumentieren und lenken möchte, in der Hoffnung auf Verständnis und Nachklingen im Rezipienten. Immer wieder taucht Falkners »hoher Ton« auf, Falkners Anspruch darauf, in einer Welt, die scheinbar gut auch ohne Dichtung auskommt, die sich permanent zerstreut, um das eigene Angesicht nicht zu bemerken, den Fokus aufs Essentielle zu legen, alle Eskapismusschichten abzutragen. Wobei die Dichtung beinahe selbst zur Zuflucht wird, aber nicht zum Ort des Vergessens. »Falkner erlebt sich schreibend durch das Geschriebene, und die Auslöschung seiner Subjektivität ereignet sich im unmittelbar Autobiografischen«, fügt Gregor Dotzauer an. Und Sabine Peters meint, ein Gedicht Falkners (»Das Tote Meer«) bringe »den blanken Unsinn vieler Streitigkeiten auf eine Formel.«
Wird von Gerhard Falkners dichterischem Werk gesprochen, fallen häufig Namen wie Friedrich Hölderlin, Ezra Pound, T.S. Eliot, Frank O'Hara, etc. Daran ist der Poet durch Intertextualität zwar Mitschuld, allerdings zeigt das (im Kontext von »TEXT + KRITIK«) auch, dass er schon jetzt aufgerückt ist, zu den Großen, zu jenen, die aus ihren Jahrhunderten hinauswachsen. Sich der Fundamente, auf denen es steht, immer bewusst und gleichzeitig ganz und gar auf unsere Gegenwart bezogen, ist Falkners Werk wohl von tragender Dauer. Darüber besteht in diesem Band Einigkeit.
Es ist wohl noch einiges zu erwarten und erhoffen, von Gerhard Falkner, aber schon jetzt wird sein Werk von allen Seiten beleuchtet, Sekundärliteratur gruppiert sich um Falkners Sprache, die »wie ein Baum wächst« (Ann Cotten). Irgendwer wird immer noch mehr doppelte und dreifache Böden unter der schon analysierten Doppelbödigkeit finden – »TEXT + KRITIK« ist der erste gesammelte Anfang dieser Analyse und ein weiterer Anstoß, sich heranzuwagen, an Falkners Gedichte. Und vielleicht kommt bei der Lektüre heraus, dass er keiner ist, der dahin siecht, keiner, der an der Welt zugrunde geht, sondern die zugrunde gehende Welt lakonisch beäugt, einfängt, manchmal sogar »Stopp« ruft, unverblümt, unverblüht, einer, der die Sprache liebt, der liebt, und: »love is here to stay, and that's enough…« So viel ist also sicher: Falkner wird uns erhalten bleiben.
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