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Julia Powalla
zog den Pullover doch wieder über


Ich hatte die Straßenschuhe angelassen. Die Pizza war im Ofen, die Anlage stand in meinem Zimmer, die meisten Leute standen im Flur, im blauen Licht, alle Wände waren blau, wir hatten Tücher über die Lampen gelegt. „Hier wohnst du also.“
Der Rauch drängte sich immer dichter zwischen die Bierflaschen. Ich lehnte an der Wand. Die Finger am kühlen Flaschenhals.
„Wohnst du hier?“
Die Musik war kaum zu hören, sie ging in all den Stimmen unter. Vor mir traten zwei Jungen von einem Bein aufs andere. Der eine rauchte, der andere schnippte mit seinem Feuerzeug. Es war heiß, ich zog den Pullover aus. Und das so umständlich, dass er mir unterm Kinn hängen blieb und ich eine Weile daran herumzog, bis er endlich über meinen Kopf glitt.
„Wohnst du hier?“
Laura wohnte auch hier. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte, konnte ich ihre Haarspitzen sehen, diese kurzen dunklen, hinter den vielen Menschen.
„Wer wohnt eigentlich hier?“
Glasklirren im Bad. Ich bahnte mir einen Weg zu Laura. Sie steckte Olaf ihre Zigarette in den Mund.
„Das ist ja normaler Tabak. Willst du mich vergiften.“
„Hab dich doch nicht gezwungen.“
Die Musik wurde lauter und sein Gesicht verschwand hinter ihrem Kopf. Ich hörte nur seine Stimme raunen und ab und an das Wort ‚Backstein'. Ich fingerte an meinem Hemd herum und merkte, dass ich meine Bierflasche nicht mehr in der Hand hielt. Da fing Olaf an zu lachen. Und Laura lachte. Und der ganze Flur lachte. Ich schaute mich um. Einer lehnte an der Küchentür und strich sich die Haare aus der Stirn. Er lachte nicht. Ich konnte nicht sagen, ob er dick oder dünn war, er trug weite Sachen, aber irgendwie gefiel mir diese Handbewegung. Ich ging einen Schritt auf die Küche zu, ich wollte etwas sagen, zu ihm, über den Abend, etwas fragen, über seine Haare, nein, nicht über seine Haare, ich wollte gar nichts fragen, ich lehnte mich an die Wand und schaute auf den Boden. Irgendwo musste auch die Bierflasche noch stehen.
Da zog mich Laura kreischend von hinten in mein Zimmer.
„Komm. Tanzen.“
Ein paar von unseren Freunden saßen an der Seite, auf dem Bett oder lehnten am Fenster. Laura drehte die Anlage auf, ich hatte die Melodie schon einmal gehört. Ich tanzte eigentlich gerne. Also tanzte ich. Und Laura tanzte. Es war ihre Lieblingsplatte, die lief. Olaf stand erst daneben, aber dann fing er auch an sich zu bewegen, mit der Musik, dabei fiel der lange Aschebalken von seiner Zigarette auf den Teppichboden. Er grinste mich an, und weil ich es eine Sekunde vorher schon so stark geahnt hatte, dass ich ihn eigentlich hätte warnen können, bekam ich auch noch ein Lächeln hin. Er grinste immer wieder rüber, zu mir oder zu Laura. Ihre Hände tanzten mit und ich versuchte es auch, ein bisschen anders, streckte meine Hände zur Seite und führte sie nicht ganz über den Kopf. Es sah bestimmt nachgemacht aus und überhaupt so als wolle ich, dass mich alle angucken. Der Rhythmus wurde langsamer und ich überlegte, mich ans Fenster zu setzen, da stellte sich eine Frau dazu, ganz in Schwarz, ich hatte sie noch nie gesehen. Sie schloss die Augen und bewegte sich fast gar nicht. Ich blieb, wo ich war, eigentlich tanzte ich ja gerne, und die Frau in Schwarz verließ den Raum schon nach dem nächsten Lied.
Laura trug kurze Haare, die am Hinterkopf gleichmäßig abstanden. Schon eine Weile betrachtete ich sie von der Seite und wusste gar nicht mehr, wo ich hintanzen sollte, ich war es gewohnt, dabei irgendwem ins Gesicht zu sehen. Meine Bewegungen hatte ich alle schon zehnmal gemacht, Laura war da einfallsreicher. Ich hörte auf, setzte mich aufs Sofa und stopfte mir eine Handvoll Salzstangen in den Mund.
Auf meinem Bett lagen zwei, die Köpfe auf die Hände gestützt, zwischen ihnen ein Aschenbecher. Sie war nicht hässlich, lange dunkle Locken, eine Freundin von Laura. Er war der, der sich vorhin in der Küchentür die Haare aus dem Gesicht gestrichen hatte. Er lachte immer noch nicht.
Laura und Olaf tanzten noch, Laura sah mich an und winkte. Ich zuckte die Achseln, als verstünde ich die Aufforderung nicht. Vielleicht sollte ich mir die Haare schneiden lassen. Als ich den Kopf in die Hände stützte, konnte ich meine heißen Wangen fühlen.
Das Badezimmer war besetzt. Als sich die Tür wieder öffnete, war es die Frau in Schwarz, die herauskam. Jetzt, wo sie vor mir stand, konnte ich die weiße Schminke auf ihrem Gesicht erkennen, sie schimmerte bläulich.
„Ich glaube, du bist anders.“
Ich sah mich nach jemandem um, den sie gemeint haben könnte. Aber hinter mir waren nur die Rücken der Leute.
„Hier sind sehr viele, aber du bist bestimmt anders.“
Jetzt schaute sie mir direkt in die Augen.
„Ich kenn das Gefühl.“
Sie zündete sich eine Zigarette an. Ich wollte etwas erwidern, ich überlegte.
„Du denkst bestimmt, dass du hässlich bist.“
Sie nahm die Zigarette in den Mund und das kleine glühende Ascheende wuchs.
„Aber das bist du nicht.“
Ich sah auf den Boden. Ich wusste gar nicht, wie ich aussah, ich hatte es mit einem Mal vergessen. Die Musik war in eine ruhige, getragene Melodie übergegangen, jetzt tanzte bestimmt keiner mehr.
„Ich kenn das Gefühl.“
Sie drehte sich um und ging in die Küche.
Ich ging ins Bad, wo der Spiegel in tausend Splittern auf Waschbecken und Boden verteilt lag. Auf der Seifenablage fand ich eine daumengroße Scherbe. Ich hob sie auf und betrachtete meine Nasenspitze, eine dicke Wurzel mit gigantischen Löchern, wie bei einem Schwein, ich hatte eine Schweinenase, ich kniff die Augen zu und ließ die Scherbe fallen, sie prallte auf den Beckenrand und zerschellte auf dem Boden.
In der Küche redete die Frau in Schwarz mit Laura und kehrte mir den Rücken zu.
„Ich kenn das Gefühl.“
Laura führte ihr Weinglas zum Mund.
„Ach ja?“
„Du bist einfach anders.“
„Vielleicht. Ja, das dachte ich mir auch schon mal.“
„Ich kenn das Gefühl.“
Olaf grinste mich aus der Ecke an. Von seiner Hand hing ein Stück Pizza herunter. Ich holte das Kehrblech aus dem Schrank.
Im Flur stand der, der sich die Haare aus der Stirn gestrichen hatte. Er sah Lauras Freundin an, mit der er auf dem Bett gelegen hatte.
„Möchtest du tanzen?“
Sie schüttelte den Kopf.
Dass ich neben den beiden stehen geblieben war, merkte ich erst, als er mir ins Gesicht sah.
„Wohnst du hier?“
Ich legte eine Hand auf die Nase, als wolle ich mich kratzen.
„Nein, ich würde auch die Wände anders streichen.“
Ich wollte mich wegdrehen, doch er zog mir die Hand vom Gesicht und im Flurlicht sah ich das Blut schwarz von den Fingern tropfen, mit denen ich die Scherbe gehalten hatte. In der anderen hielt ich immer noch das Kehrblech.
Ich hörte Olaf hinter mir.
„Solln wir tanzen?“
Und Laura.
„Wir haben doch vorhin schon so lange getanzt.“
Und die Frau in Schwarz.
„Ich kenn das Gefühl.“
Lauras Freundin stand immer noch neben uns und starrte entsetzt auf das schwarze Blut an meiner Hand, die immer noch von dem gehalten wurde, der auch nicht lachte. Ich ließ das Kehrblech fallen und sah ihm ins Gesicht.
Julia Powalla    15.09.2009   
Julia Powalla
Prosa