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Katharina Schwanbeck |
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Der Krebs in den Köpfen
Es ist Sommer in der Stadt, seit Wochen regnet es nicht und du sitzt in Cafés rum und guckst den Frauen zwischen die Beine. Sie hocken da, in ihren Röcken und verrenken sich umständlich auf ihren Stühlen, sie ekeln sich vor schwarzen Käfern und kleinen Ameisen, sie verscheuchen Fliegen von ihrer nassen Haut, immer wieder fahren sie sich durch ihr Haar, setzen die Sonnenbrillen auf und ab, sie reden laut und lachen laut, sie stellen mal das linke, mal das rechte Bein auf ihren Stuhl und dann siehst du ihnen zwischen die Beine, auf ein Stück Schlüpfer. Ihre Schenkel sind mal weiß, mal braun, mal mit blauen Flecken übersäht oder mit Krampfadern. Du schaust dazwischen wie auf einen Fehler. Du schaust und gleichzeitig fragst du dich, warum du immer gerade in dem Moment hinsiehst, wenn dieses kleine Stück Stoff zwischen ihren Beinen aufblitzt. Du schaust und wünschtest du wärst ein Junge. So macht das keinen Sinn, denkst du.
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Erzähl doch mal, sagt er.
Du siehst ihn an und denkst, wir füttern den Krebs in unseren Köpfen.
Du erzählst von Timo Pawellke, der mal auf deine Schule ging und der in einem kleinen Haus wohnte, was auf einem Feld stand; es hatte nur ein Zimmer, das Klo war draußen. Du besuchtest Timo Pawellke ein oder zweimal, da wußtest du noch nicht, dass er verliebt in dich war. Der Krebs in den Köpfen, denkst du jetzt.
Du erzählst, wie ihr Eierlikör getrunken habt, aus Schokobechern und dass das oft ein böses Ende nahm. Du aus der Hängematte raus, über den Hof gelaufen, in den Busch gekotzt. Wie er dich angesehen hat und so besorgt war um dich, wie er dich nach Hause gefahren hat mit dem Knattermoped und wie häßlich du seinen Helm fandst, wie geschmacklos und peinlich und wie du gedacht hast, dass du nie wieder Eierlikör trinken wirst.
Du erzählst, dass Timo Pawellke ein Huhn hatte, das vor seinem Haus stand, auf einem Baumstumpf. Eier legen konnte es nicht mehr, es war schon zu alt. Und dünn war das Huhn. So dünn, dass Timo es „Blatt Papier“ nannte und du sagst, dass du glaubst, dass es mittlerweile tot ist.
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Du besuchst deine Freundin in Hamburg. Du willst fliehen, weil du mal wieder Kummer hast, ausgerechnet jetzt, denkst du. Sie schleppt dich hierhin und dorthin, überall ist es laut und schick. Zu schick für deine momentane Gefühlslage. Dein Gesicht entwickelt Hitzepickel, deine Haare hängen in klebrigen Strähnen auf die Schultern. Egal ist dir das noch lange nicht.
Abends geht ihr in eine Bar, du kannst den Namen nicht aussprechen und läßt es lieber gleich. Ihr sitzt auf weißen, eckigen Lederpolstermöbeln, werdet beschienen von schummerigen Designerlampen, bestellt übertrieben teure Cocktails und vor euch sitzen die beiden größten Trottel des Abends: Lutz und Jens. Deine Freundin kennt sie aus dem Büro und meint, dass es doch lustig sein könnte.
Lutz und Jens sind über fünfunddreißig, sie tragen auffallend neutrale Klamotten. Na klar. Sie erzählen nicht viel und stochern statt dessen in ihren Caipis rum. Langweilig, denkst du und deine Freundin stößt dich mit dem Bein unter dem Tisch an.
Wo wohnst du, fragst du, weil du höflich bist. Uhlenhorst, sagt Jens. Aha, sagst du und denkst, langweilig!
Später knutscht deine Freundin noch mit Jens vor der Tür. Du stehst auf der Straße, drehst mit den Augen und denkst, dass das doch alles nicht wahr sein kann. Du kommst dir vor wie bestellt und nicht abgeholt. Eine halbe Stunde später wankt ihr nach Hause. Deine Freundin kichert und sie bekommt alle zwei Minuten eine Sms von Jens, der ganz heiß gelaufen zu sein scheint und anfragt, ob sie sich nicht noch treffen wollen, ohne dich, versteht sich.
Du verstehst das alles nicht und denkst, dem ist der Sommer in den Kopf gestiegen. Deine Freundin lacht und sagt: der Trottel hat wenigstens die Getränke bezahlt. Meine nicht, sagst du und stellst dir vor, wie Jens verliebt im Bus nach Uhlenhorst sitzt.
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In den Nächten träumst du komisches Zeug, auch daran merkst du, dass es dir nicht gut geht.
Du träumst von Transen, die aus Schwimmbecken steigen und du versuchst ihnen den Schwanz abzureißen. Kraß, denkst du, als du aufwachst.
Oder du träumst, dass du Ottfried Fischer verfolgst, wieder in einem Schwimmbad, weil du mit ihm schlafen willst. Du drückst seinen dicken Leib immer wieder gegen die Umkleideschränke und umklammerst mit den Beinen seine Schenkel, du schreist: schlaf mit mir, bitte! Doch der will dich nicht, sein großer runder Kopf sieht dich angewidert an und du siehst wie er mit seinen runden Beinen vor dir wegläuft.
Oder du träumst, dass du dir im Schwimmbad einen Mars-Riegel kaufst und bevor du hineinbeißen kannst, fallen dir alle Zähne aus.
Einmal hast du auch geträumt, dass du deinen Kleiderschrank in deinem Zimmer beiseite schiebst und darunter befindet sich ein Schwimmbecken, in dem lauter tote Katzen miauen. Aber die sind doch tot, wieso können die miauen, fragst du dich, doch da bist du schon schweißgebadet aufgewacht.
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Du beschließt zu einem Psychiater zu gehen und ihn zu bitten, dass er dir hilft. Der Psychiater sitzt in einem kleinen, engen Raum hinter einem riesigen Schreibtisch. Er hat eine schwarze Hose an und einen schwarzen Rollkragenpullover. Er nickt oft und sagt immer hm, hm.
Du erzählst ihm von deiner Angst vor Türklingeln und Schwimmbädern und dass dir oft ganz anders wird, wenn du in kleinen, engen Räumen sitzt.
Nach einigen Sitzungen sagst du nichts mehr, weil dir nichts mehr einfällt, ihr sitzt da und schweigt, du schaust auf die weißen Socken deines Psychiaters und fragst dich, warum der so einen schlechten Geschmack hat und denkst an den Helm von Timo Pawellke und daran, dass dich niemand befreien kann, nur du selbst. Ab und zu nickt der Psychiater und sagt bedeutungsvoll hm, hm.
Irgendwann diagnostiziert er dir einen starken Vater-Komplex und du gehst nicht mehr hin. Du überlegst noch, ob du ihm nicht vielleicht einen Strauß Nelken schicken solltest. Doch du läßt es lieber bleiben.
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Erzähl doch mal, sagt er.
Du siehst ihn an und denkst: wir füttern den Krebs in unseren Köpfen.
Du erzählst von Wolfi, dem Exfreund deiner Mutter und wie dieser fast einmal verrückt geworden ist, weil er einen Kamin selbst zusammen bauen wollte. Es fing mit dem Videorekorder an, der nicht funktionierte, als Wolfi die Anleitung zum Bau eines Kamins einlegen wollte. Da flippte er das erste Mal aus.
Das zweite Mal wütend wurde er, als sein Bruder, ein arbeitsloser Tischler aus Brandenburg, aus Versehen ein Stück Marmor zersägte, was gar nicht zersägt gehörte. Wolfi brüllte das ganze Haus zusammen, sagst du, setzte sich in einen Sessel und wußte plötzlich nicht mehr wer er war. Und auch nicht, wo er war.
Er sprang wirr durch den Geraniengarten und brüllte die ganze Zeit nur diesen einen Satz: „Welcher Idiot hat hier die Scheißgeranien angepflanzt?“
Ein paar Stunden und ein paar Schnäpse später beruhigte er sich langsam und das Gedächtnis kam auch wieder zurück. Gott sei dank.
Siehst du, sagst du und bist deprimiert, weil er nicht einmal gelacht hat.
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Du sitzt in Cafés, es ist Sommer und du guckst den Leuten hinterher, wie sie ihre Badematten spazieren tragen.
Du rufst deine Freundin in Hamburg an, denn dir ist langweilig. Nö, nö, flötete diese ins Telefon und erzählt, dass sie jetzt mit Jens zusammen ist und dass es in Uhlenhorst ganz nett sei.
Du sagst, dass du ihn für einen Trottel hältst.
Besser als allein sein, sagt deine Freundin.
Und als sie aufgelegt hat, fragst du dich, ob das stimmt.
Du denkst an den Krebs in den Köpfen und fragst dich, woher eigentlich dieser Satz kommt und warum du ihn immer wieder denken mußt.
Du hältst dich fern von Schwimmbädern und Türklingeln.
Dann setzt du deine Sonnenbrille auf, bestellst noch einen Eierlikör und wartest, dass der Sommer vorüber geht.
Katharina Schwanbeck 12.09.2007
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Katharina Schwanbeck
Prosa
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