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fortbewegt


  Kathrin Schadt



Weronika liebt ihre Frauen. Vor allem wenn sie schwitzen und tropfen, triefen und absondern, gibt es nichts Herrlicheres als das. Putzfrau im Frauen Fitness Studio.

Weronika ist zufällig hier gelandet, die Freundin einer Bekannten und so weiter und dann stand sie vor fünf Monaten das erste Mal hier, in den Händen Sprühflasche und Lappen, um sie herum ächzende Frauen auf Laufbändern, auf Steppern, auf Lang­lauf­simu­lations­maschinen. Aus den Gymnastik­räumen drangen Schreie und Klatschen und „hoch und runter“ und „eins und zwei und acht mehr noch“ und rhyth­misches Stampfen zu rhythmi­scher Musik. Und Weronika mit ihrem Lappen und ihren Anweisungen, mit großen Augen im Wunder­land und verlangsamten Bewegungen, zunächst irri­tiert von dieser Welt.

Dann das erste Mal: Eine Frau auf einem Laufband, geht letzte Schritte, trinkt aus ihrer Isostar-Flasche, die gluckert bei jedem Schluck, schwingt ein Hand­tuch um ihren Nacken, dabei löst sich eine Wolke von ihr ab, nebelt Weronika, spie­gel­putzend, ein. Weroni­ka folgt ihr mit der Nase, dieser Frau, aus­gestellt in einem einzigen Luftzug. Das war der Himmel. Ein himmlisches Gefühl, das sie nicht hinter­fragte, über das sie nicht nachdachte.

Weronika denkt insgesamt nicht viel nach. Weshalb sie auch nicht viel weiß. Am wenigsten über sich. Was aber nicht schlimm ist, sie denkt ja nicht darüber nach. Nur manchmal be­merkt sie ein Quietschen. Ein Knirschen und Knarzen in ihrem Leben. Dann konzen­triert sie sich auf etwas anderes, auf Edwald zum Beispiel. Seitdem sie bei ihren Frauen ist, sieht sie Edwald häufiger. Das ist nicht schwer, denn Edwald wohnt gegenüber, auf der anderen Straßen­seite, hinter dem anderen Fenster. Und wenn sie ihn sehen will, zieht sie ihren dunkel­blauen Vorhang vor ihr Fenster und dann kommt Edwald. Edwald kommt immer. Danach rauchen sie am Küchen­tisch, zu sagen ist nicht viel und Weronika macht Kaffee. Dann geht er wieder, bis zum nächsten Vorhang. Edwald kommt immer.

Aber an Edwald denkt Weronika nicht, wenn sie bei ihren Frauen ist. Sie denkt an ihre Frauen. An die denkt sie auch, wenn sie mit Edwald ist. An die Gerüche, die sie umgeben, wenn sie sich bewegen und daran, wie sie sich ihnen nähert, beim Putzen und Wischen, beim Wedeln und Scheuern, nähert sie sich ihnen, um besser riechen zu können. Mittlerweile putzt sie auch Geräte, auf denen gerade trainiert wird. Dabei bemerkt Weronika nicht die ver­stör­ten Blicke der laufenden, steppenden oder Fahrrad fahrenden Frauen. Wenn sie mit ihrem Lappen zum Beispiel über Plastikverkleidungen wischt und dabei einen Blick, vielmehr eine Nase Richtung nackte Kniekehlen riskiert. Die von Frau Perlowin zum Beispiel, die bei den Empfangs­damen kürzlich leise bemerkte, dass die Putz­frau, die mit den blonden Haaren, etwas stämmig, sie wissen schon, stark gezupfte, dunkel nachgezogene Augenbrauen, na, irgendwie, ist die doch, die ist doch irgendwie, seltsam, nicht? Das Selt­same war den Empfangs­damen bislang entgangen und so sahen sie jetzt etwas genauer hin, wenn Weronika putzte. Dabei fiel ihnen auf, dass sie vielleicht weniger Distanz zu den Mitgliedern wahrte als andere, und ein wenig vielleicht, wunderte sie das. Was ihnen aber vor allen Dingen auffiel und was sie viel mehr wunderte, war eine überdurchschnittlich ordentliche und sorgfältige Putzfrau.

Edwald wundert sich nie, wenn er auf Weronika liegt und sie sich die Hände vor das Gesicht hält, um daran zu riechen. Sie wäscht sich die Hände nicht mehr, die während ihrer Arbeit in gelben Gummi­handschuhen stecken. Auch das riecht sie gerne. Erinnert sie an ihre Frauen. Sowie die Bürste, das Handtuch, die damals noch feuchte Wollmütze, der Kugelschreiber, das Taschen­tuch, das Haar­gummi mit Haaren dran, die Shampoo-Flasche, der Turn­schuh und das Beste, ihr kost­barstes Stück, das ver­gessene T-Shirt. Das alles bewahrt sie sorg­fältig in einem alten Quelle-Karton auf. Jeden Abend breitet sie ihre Stücke vor sich auf dem Teppichboden aus, berührt jedes einzelne, riecht daran und legt alles behutsam zurück in die Kiste. Das macht sie froh. Warum weiß sie nicht. Fragt auch nicht.

Was Weronika auch froh macht, ist ihre Frauen zu beobachten. Wobei sie natürlich nie direkt guckt, sondern den Blick immer auf ihr aktuelles Putzobjekt gerichtet hält und so an den Frauen knapp vorbei sieht. Sie beobachte mit Augen­winkeln, Ohren und natürlich, mit der Nase. Sie beobachtet in der Dusche, wenn sie Haare und Handtuchfussel vom nassen Boden zusammen­schiebt und sie plappern in der Sauna, wenn sie Mülleimer leert und sie plappern im Ruheraum, wenn sie Liege­stühle abwischt und sie plappern in der Umkleide­kabine, wenn sie Schränke putzt. Jede Frau Gespött und gleich­zeitig in jeder Form akzep­tiert. Nackt und damit entspannt, weil nackt sein hier normal sein bedeutet und normal sein eine Aus­zeich­nung ist. Hände auf Haut klingt in den Ohren, viel Haut riecht vor allem. Wenn sie sich umziehen, wenn sie sich gegen­seitig die Rücken ein­cremen und die nackte Freundin dabei mustern und ihr Gewicht abschätzen, wenn sie sich gegen­seitig in funkelnden Sauna­grotten zu Duftöl und Kerzenschein die Haare flechten und sich sanft die Brüste lecken und die Finger dorthin schieben wo sie hin gehören. Machen sie nicht, könnten sie aber, sind alle schön. Und Weronika froh. Warum weiß sie nicht. Fragt auch nicht.

Weronika freut sich über ihre Frauen und deren Gerüche. Nicht die der Pflege­produkte, die wie Rüs­tungen angelegt werden, sondern die echten, die mag Weronika, die aus den Frauen heraus­kommen, wenn sie schwitzen, wenn sie bluten, kann Weronika das riechen. Ver­schiedene Nahrungsmittel aus den Poren, kann sie riechen. Ver­schie­dene Kulturen auch. Weronika mag indisch.

Und Frau Perlowin mag Weronika. Sie hat sie beobachtet: beim Einstecken von Fund­sachen, beim daran Riechen, hat Frau Perlowin Weronika beobachtet. Beim Putzen und An­nähern hat Frau Perlowin Weronika irgend­wann einmal ange­spro­chen, Hallo, und ein Nicken von einem Lächeln untermalt zurück­be­kommen (dabei nie das Putz­objekt aus den Augen verlo­ren). Und beim nächsten Mal hat Frau Perlowin wieder gegrüßt. Und beim nächsten Mal hat Frau Perlowin dann ihr T-Shirt vergessen, ein paar Spritzer Parfüm darauf zurück­gelassen und es nach ein paar Tagen bei den Damen am Empfang wieder abholen können. Es duftete immer noch nach Parfüm. Und beim nächsten Mal hat Frau Perlowin Weronika trotz­dem wieder gegrüßt und wieder ein nickendes Lächeln bekommen. Und beim nächsten Mal hat Frau Perlowin ihren Außenschenkel an Weronika gedrückt, als sie auf dem Stepper stand und Weronika während­dessen die Plastik­ver­kleidung abwe­delte. Daraufhin ist Weronika aufge­standen und davon­gegangen, um ein Bizeps-Gerät gründlich zu polieren. Frau Perlowin hat seitdem nicht mehr gegrüßt und irgendwann das kurze Gespräch mit den Empfangs­damen geführt. Weronika hat es nicht bemerkt. Fragt auch nicht.

Zuerst erschienen in der Tippgemeinschaft

Kathrin Schadt   September 2012   

 

 
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