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4 Kolumne

About Hesse
Christiane Geldmacher scheitert an Hermann Hesse

Es muss am Alter liegen - aber ich kann Hesse nicht mehr lesen. Es will und will mir nicht gelingen. Ich versuche es immer wieder, weil schöne Erinnerungen daran hängen, doch sie lassen sich nicht zum Leben erwecken.
Gut, der Steppenwolf: ja.

Der Steppenwolf ist in Ordnung, aber mir geht die Geschichte mit dem magischen Theater auf die Nerven. Ich wette, er hatte vorher Kafkas Amerika gelesen - das müsste man einmal nachprüfen - und dachte, er müsste auch etwas Absurdes machen. Allerdings liegt das auch nicht jedem. Außerdem ist in dem Buch ständig von Lachen die Rede, ohne dass eine einzige witzige Stelle darin vorkäme. Hesses Leichtigkeit ist, bei allem Respekt, erdenschwer und bestens dazu geeignet, die Stimmung des Lesers in den Keller zu befördern. Jedenfalls, was die Romane betrifft.

Ich bin natürlich lernfähig. Ich klettere auf die Leiter und inspiziere die Hesse-Abteilung. Versuche es mit Gertrud; erinnere mich vage an einen Hesse-Roman über einen Maler, den finde ich aber nicht auf Anhieb. Egal, Gertrud handelt von einem Musiker. Der typische Hesse-Plot: Ein Künstler und sein Unvermögen, in der Alltagswelt zurecht zu kommen. Hier in diesem speziellen Fall: ein hinkender Künstler. Das macht Hesse gern, dass er seine Helden auch noch körperlich behindert.

Doch von Seite Zehn an erscheint mir der Roman durchsichtig und absehbar: Zum Schluss gelangt der Held - unausweichbar in hesseschen Plots - zur inneren Reife, entsagt der Außenwelt. Das ist zwar gut und schön und imponiert mir auch und Hesse hat es auch in Montagnola im Tessin realisieren können, aber von meinem Leben ist das in der jetzigen Phase zu weit weg.

Großbögig blättere ich nach den zehn Seiten an den Schluss: Recht gehabt. Musiker Kuhns Gegenpol, der genialische Sänger Muoth, bringt sich um. Aus Lebensunlust. Der Sänger hat dem Musiker allerdings vorher seine große Liebe Gertrud abspenstig gemacht: durch pure Männlichkeit. Insinuiert Hesse.

Das ist mir zu Hesse-biografisch. Ich klettere wieder auf die Leiter und gehe weitere Bücher durch. Der Roman, den ich suche, muss Rosshalde sein; er war damals bei rororo erschienen.

Kurze Zwischenbemerkung: Wie ich diese rororo-Taschenbücher hasse, die einem immer in einzelnen Blätter entgegenfliegen.

Also lese ich Rosshalde. Rosshalde ist leider noch durchschaubarer als Gertrud. Der Künstler (hier: der Maler) lebt getrennt von seiner Frau, in einem Atelier. Das Ehepaar hat sich nichts zu sagen, es wird zusammengehalten vom Sohn. Der Sohn stirbt am Ende, das Ehepaar bricht auseinander und der Maler nennt seine Frau Kind. Und verreist für ein Jahr nach Indien.

Ich habe das Buch trotzdem gelesen, obwohl ich es deutlich schlechter fand als Gertrud. Gertrud war zwar schematisch, aber Rosshalde gerät geradezu aus der Form. Die Perspektiven springen unausgewogen in die verschiedenen Figuren; meistens liegen sie beim Maler, dann hüpfen sie in die Frau, für zwei Seiten in den Sohn und für eine halbe Seite in einen zweiten, rebellischen Sohn. Der ganze Roman macht keinen Spaß; er hat, wie so oft bei Hesse, etwas bedrängend Didaktisches. Und ist im Übrigen immer noch nicht der Roman, den ich eigentlich meine.

Der, den ich meine, war luftig, leicht, kontemplativ. Hesse konnte das! Ich weiß es!

Wieder auf die Leiter.

War es am Ende Klingsors letzter Sommer? Ärgerlich starre ich auf das Regal: Die Ausgabe hat mir einer geklaut. Ich werde es wohl nie erfahren.

© Christiane Geldmacher 2005

Christiane Geldmacher
Kolumne
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