Ludwig Fels
DIE FARBE DER ERDE
„Traue dem leitenden Gott und folge dem schweigenden Weltmeer.”
Friedrich Schiller
I.
Und die da kommen in Booten übers Meer
gebt ihnen Herberge, gebt ihnen Schutz.
Sie haben die Farbe der Erde
haben andere Himmel gesehn.
Gebt ihnen Herberge, gebt ihnen Schutz.
Empfangt sie wie Gäste! Macht ihnen Platz
im Herzen, im Herzen!
So viele, so viele
passen in ein großes Herz.
Laßt euch von ihnen zeigen, wie man lacht
es gibt noch tausend andere Träume und Tränen.
Die da kommen nach beschwerlicher Reise
die da starben in Wüsten, an Stränden
verbluteten im Stacheldraht der freien Welt
laßt ihre Geister kommen, helft ihnen auf!
Laßt sie kommen, all die Frauen, Kinder, die Männer
mit nichts als der Hoffnung auf eine geringere Not.
Zu Tausenden gehen sie verloren unterwegs, welch mildes
Wort für sinnlose Tode, Krankheiten
und Gewalt von Hunden und Männern
Polizisten, Soldaten.
Und sie kommen in Booten übers Meer
die Kleider voll Löcher, Salz und Wind
aber sie tragen die Farbe der Erde
wie Schmuck für den morgigen Tag.
Sie kommen übers Meer ohne Ketten heute, ohne
die Narben der Peitsche
haben mehr Hoffnung als Angst
wissen von einer größeren Not.
Nur die Sterne gehören ihnen, nur ihnen.
II.
Aber warum
empfinden wir keine Scham
wenn sie sterben da draußen, wo wir nie waren?
sterben und sterben Tag und Nacht, immer mehr
seit Jahren schon?
Und warum erfinden wir laufend neue Gesetze und Lügen?
Und warum geben wir keinen Trost? Und wieso
scheuen wir zurück vor der Schönheit ihrer Wünsche
tun, als hätten wir Angst
vor der Farbe der Erde?
Verraten, verkauft
ans Schicksal, das wir ihnen nicht ersparen
kommen sie übers Meer mit ihren Wunden und Träumen.
Gebt ihnen Würde, ein Lächeln, sagt nicht nein
gebt von allem, was man ihnen genommen
zeigt endlich Herz, zeigt, daß es schlägt!
Und sie kommen in Booten übers Meer, die Bibel im Kopf
vor Augen ein Leben fern von Armut und Tod
das gelobte Land eine Insel im Ozean: schwimmender
Stein skelettierter Illusionen, driftend ins kalte Paradies.
Gebt ihnen Herberge, gebt ihnen Schutz
ein Wort zur Begrüßung, das wie Willkommen klingt.
Fahren in Booten übers Meer, Gerettete, Verschollene
Geister und Schatten, Menschen der Erde
im bitteren Glanz der Verzweiflung.
Und manchmal fährt Jesus mit in ihren Booten, mit übers Meer
stumm im Gebelfer der Megaphone, im Tumult der Rotoren
steht er auf unter den Schlägen der Wogen
die Wolken in Spiegel verwandelnd und die Sterne in Licht.
Helft ihnen an Land, an die Ufer eurer Herzen
gebt ihnen Herberge, Schutz, ein menschliches Wort
auch jenen, die nicht kamen
am Meeresgrund liegen in der Farbe der Erde.
III.
Gott hat die Menschen aus Erde gemacht. Kommt an Land
das Herz ein Hafen
für all die Wanderer im Licht.
Nehmt sie auf
in der Blüte ihrer Jahre und in ihrer größten Not
Frauen, Kinder, Männer, mit Masken aus Sand und Salz
darunter tief im Ursprung unseres Seins:
die Farbe der Erde.
Aus: Egal wo das Ende der Welt liegt. Jung und Jung 2010
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Ludwig Fels
Lyrik
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