poetenladen    poet    web

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Marcus Roloff – Archiv

16.04.2006

MOLE ZU WARNEMÜNDE

die jahre stoßen der see das salz
aus dem schoß.
oben hellt sich gewölk wie papier
auf, bis an die
kindheit vergilbter einblick in tagbrunnen.
der wind an der
küste war immer ein ausweg ins offne, badend
das ohr im
sandigen lichtklang von tierflügeln. die seite
aber des grünen
dämmers liegt aufgerissen.

DER SOMMER ZUM HERBST

ich dachte, die lunge wird größer vom atem
gegen den atem
von den entfernungen auf den hingeplätteten
feldern, was
irgendwann durch dörfer & wälder salz-
wasser
wird es riecht es nach lichtung & überhaupt
das gewechselte
licht binnen vier stunden fahrt nach
ahlbeck, wo
dieser sperrmüllhaufen im herbergshof oder
von der decke
rieselndes sparlampenlicht (...) & ganz zu anfang
das gleis-
feld nähe bahnhofsschalter neustrelitz, wo
sich flug-
arme, flüsse & hüte niemals entscheiden zum
weg, schon
damals ohne funktion (...) & glichen also auch
wir jetzt
sperrangeln, türen, gestapelt im hof (...)

GÄRTEN & SCHLÖSSER

dass herbst ist & licht aus himmel um
himmel, jahrlang erzeugter erzeuger-
atem ist notwendig gar keine frage, fällt
wenn er ab & zu sickert ins bild der gärten
zum beispiel & schlösser von potsdam, ab-
wärts zum abspann, letzte rolle, nach hause
gehende gänge durch glasmauern mit
sonne säulen & blaupausen, grund der
taschen voller straßen & plätze, jacobis
vatergott im gepäck, nur nass gewordene
kekse, ein leben lang als gedächtnis-
stütze für nachher.

EPIKTET ÜBER DEN WINTER

gib aber acht dass der
einbaum des winters
sich nicht verdreht
& sich einhakt in deinen
arm.

dass du ihn rumschleppst
als eine eispuppe oder
ein gummiloch deiner
vorgestellten spagate (ein
bein in rom & eins in

workuta). denn der winter
ist männlich & deine
vorstellung von ihm
eine eigenschaft deines
reisekomforts.

ORTSAUSGANG

der aufgang zum tag zwar. das lichträtsel
entdeckt sich dir nicht. asphaltierte hauptader
im pulsschlag von völschow, verflogenes ortsschild.
& seitlich die aue, die unfallgräben. im auto-
innenraum weißt du getunkt die moose in süßwasser
ungewisses getränk. unbetretene verschiebung von
flächen. flachliegende spiegelung einer böe im geäst
der pappeln an der B 96. gegen die stummen ge-
richtetes frührohr. um zugewachsene dorftümpel
heult der verkehrsfunk.

GEGENZAUBER

kirke, wie war das, steht sie am
glambecker see, zwischen ufer & puff
mit dem schweinekoben & der spange
oder spirale im bauch, im schlepptau
die freier. ihr gesockelter blick
sucht wohl

odysseus' schreiende säue stolpern
um die nächstbeste ecke, ich ein
gefährte, ein mann aus neustrelitz
sitze im strandkorb & bin noch mann
oder sau schon werf ich ihr geld
hin & denk noch: bezahl sie, reiß sie
vom sockel.

DIE KÖRPER DER SEELEN

geradeaus
: in den gnostischen schlüpfer.
draußen bellt der welthund, alles
zerreißend wenn du es zulässt.
also wachsam das auge, immer spähend
aus geteiltem vorhang.
hinausgeblickt, so
: licht zu licht, kürbis zu erbse.
das rufseil spannt (gekappte
drahtlosverbindung)
: kehr' zurück in die
schlupföde, in den
lehm aus frist & versteck.

(für Dr. Andreas Möller)

OFFENER ABEND. TRIBÜNE

in der ausgeleierten spreche (wie dattel, nudel-
holz, fliegenklatsche) in der ausgewrungnen kartoffel
sitzt einer mit hefe & zungen & spricht von der klassen-
losen metapher, wo seine gesellschaft diese wringmeister sind
für klöße im hals, angeschwemmte sprüche, gestrandete (RMR-
lastig) eso-mumien im rucksack & allerhand komik mit der zeit
schlecht sitzende pullis vs. neue ernsthaftigkeit ICH HABE
TEXT DABEI & HASSE DAS UNGEFÄHRE ach so einer bist du.

AUFZIEHHIMMEL

die mit der nachtbeule sind es püppisch
grinsende (grade noch) fleischfarbene hänge-
lider im unterarm stelzwasser geschmirgelte
haut köchelnde fudersoße (silberlöffel) unter
der löffeltraufe aufgezogene bewusstseinsquetsch-
kommode (aufziehnadelhaufen) oder an frankfurt
zerbröselnde kantsteinspätromantik zwischen elbe
& taunus (straße) stehn jetzt lieber jetzt sitzn
20 tage wie 20 sekunden oder umgekehrt.

 

 
Marcus Roloff
Lyrik
im toten winkel des goldenen schnitts
frühere Gedichte (2008)