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Dato Barbakadse Wesentliche Züge
Gedichtete Metaphysik
Kritik |
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Dato Barbakadse
Wesentliche Züge
(und zwölf andere Gedichte)
Georgisch und Deutsch
Neubiberg: Mischwesen Autorenverlag 2011
ISBN 3-938313-11-0
134 Seiten, Euro 8,80.
Das Buch beim Verlag
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Seit mehreren Jahren versucht der georgische Dichter Dato Barbakadse auch im deutschsprachigen Raum Gehör zu finden. Seine Beziehung zur deutschen Sprache und Literatur ist mehrfach geknüpft: er hat an der Westfälischen Universität in Münster studiert, und er hat das Verdienst, eine großangelegte Reihe mit Übersetzungen deutschsprachiger Lyrik ins Georgische geplant und zum Teil schon verwirklicht zu haben; dass es nur österreichische Dichter geworden sind, hängt mit der Gleichgültigkeit deutscher Kulturinstiutionen zusammen, man hat hier, wie es scheint, kein sehr lebhaftes Bedürfnis, den kulturellen Austausch mit diesem an der äußersten östlichen Grenze zu Asien liegenden Land zu fördern. Mangelndes Interesse dürfte auch einer der Gründe sein, die der Rezeption der Gedichte Barbakadses hierzulande entgegenstehen. Literarisch ist Georgien im deutschsprachigen Raum nicht ausreichend präsent.
Zwei Gedichtbände Barbakadses sind vor einigen Jahren erschienen: „Das Dreieck der Kraniche“, 2007, und „Die Poetik der folgenden Sekunde“, 2008. Nun folgt die dritte deutsche Publikation: „Wesentliche Züge und zwölf andere Gedichte“, diesmal ergänzt durch ein ausführliches schriftliches Interview. Die Fragen hat Barbakadses langjährige deutsche Übersetzerin, Steffi Chotiwari-Jünger, formuliert. Sie hat, wie schon die früheren Bände, auch einen Teil der in diesem Band publizierten Gedichte ins Deutsche übertragen, als zweiter Übersetzer ist der österreichische Schriftsteller Benedikt Ledebur hinzugekommen.
Aber bringen diese Übertragungen die Dichtung Barbakadses dem deutschsprachigen Leser näher? Man wünscht sich, dass zum hier vorliegenden Band spezielle Fragen formuliert worden wären, denn die Erläuterungen, die Barbakadse zum Begriff „Gedankenlyrik“ gibt, weil er seine Arbeiten unter dieser Kategorie verstanden wissen will, bewegen sich auf einem sehr allgemeinen Niveau und lassen außer einer sehr vagen Zuordnung keine weiteren Schlüsse auf die vorliegenden Gedichte zu. Was Barbakadse mit einer spezifischen, nur im Gedicht formulierbaren Philosophie meint, bleibt unklar. Da hätte man nachfragen können. So steht man vor Gebilden, die durch kursorische Hinweise auf Coleridge, Hölderlin oder Rilke um nichts verständlicher werden. Ich würde bei dem Begriff „Gedankenlyrik“ zuerst an Schillers philosophische Gedichte denken, z.B. „Das Ideal und das Leben“, so habe ich es in der Schule gelernt. Aber mit Schillers luzider Sprache und mit seiner klaren Verhältnisbestimmung zur theoretischen Philosophie haben die Dichtungen Barbakadses nichts gemein. Wie also kann man sich ihnen nähern?
Dichtung, so kann man Barbakadse verstehen, muss nicht auf den Anspruch verzichten, Gültiges, Verbindliches zu sagen. Sie ist nicht ausschließlich an unmittelbare sinnliche Eindrücke, die Wiedergabe von Stimmungen oder die faszinierende Kombination von Wörtern gebunden: sie kann und darf auch argumentieren. Barbakadse geht dabei so weit, dass er ins Gedicht kurze Abschnitte rein theoretischer Prosa einmontiert, um danach wieder im Vers fortzufahren. Damit begibt er sich aber auch auf eine schwierige Gratwanderung zwischen Poesie und Philosophie. Es genügt nicht, nach der Schönheit dieser Gedichte zu fragen, man muss sich auch zu der Wahrheit verhalten, für die sie stehen. Es ist deshalb, im Sinne des Dichters, auch nicht möglich, den metaphysischen Anspruch seiner Dichtungen rein phänomenal aufzufassen, als eine interessante Farbe im multikulturellen Gewebe. Auf die dialektischen Schwierigkeiten der Beziehungen zwischen multikultureller Wahrnehmung und der einfachen, unteilbaren Wahrheit kann ich hier nicht eingehen. Sie müssen bei der Lektüre mitgedacht werden, denn sie bestimmen die Struktur der Dichtungen Barbakadses wesentlich mit. Barbakadse ist alles andere als ein naiver Lyriker.
Überzeugungsarbeit braucht, zumal wenn die Wahrheit aus weit entfernten Gegenden kommt, Zeit, die man sich zum genauen Lesen nehmen muss. Was an Barbakadses Dichtungen zunächst auffällt, ist rein äußerlich die Länge. Die einzelnen Verse erstrecken sich meist über zwei Zeilen, die Sätze, kompliziert gebaut, beanspruchen mehrere Verse, die Gedichte oftmals viele Seiten, und auch sie bilden in sich nur kleinere Einheiten in einem großen Zusammenhang, vereinigen sich zu Zyklen, die ihrerseits, nach dem Selbstzeugnis des Dichters, nur Bruchstücke sind in einem unvollendeten und unvollendbaren Lebenswerk, das sich in die uralte Kette nationaler Traditionen Georgiens einzufügen trachtet. Man befindet sich bei der Lektüre der Gedichte am Ufer eines mächtigen Stroms, der breit und scheinbar träge dahinfließt, man weiß, dass man nur einen kleinen Teil des Flusses übersieht, dass Quelle und Mündung sich dem Blick weit entziehen und auch das zugeflossene Wasser nicht unterscheidbar ist: die Wasser vermischen sich und werden eins. Wenn es sich allerdings um einen Textfluss handelt, so impliziert Ununterscheidbarkeit zugleich die Unmöglichkeit zu verstehen, Sinn ist an Unterscheidungen gebunden. Das weiß auch der Dichter, und er gibt deshalb im Gedicht einen Hinweis, wie man sich Unterscheidungen schaffen kann. Immer wieder blinken im Sonnenlicht einzelne Wellen auf, der Leser soll sich solche Stellen unterstreichen, und wenn er dabei bemerkt, dass es schon andere, ältere Unterstreichungen von fremder Hand im Text gibt, soll er darüber hinweggehen, sich an seine eigenen Unterstreichungen halten und damit gleichsam Inseln im Strom schaffen, vielleicht wachsen diese später, bei wiederholter Lektüre, zum Festland zusammen. Man ahnt in diesem Vorschlag die riesigen asiatischen Landmassen, die hinter dem Rücken des Dichters Halt und ihm selbst Haltung geben. Für den westeuropäischen Leser ist das eine Herausforderung. Er lebt in der unabweislichen Erfahrung, dass der Fluss ohne Ufer und kein Festland in Sicht ist, auf dem man einen Standpunkt beziehen und das ruhige Dahinziehen des Wassers anschauen könnte: der einzige Boden, auf dem er stehen kann, ist das Boot, das er durch die Gefahren des strömenden Wassers steuern muss, navigare necesse est! Erst in diesem Gegensatz wird die metaphysische Auseinandersetzung erkennbar, die Dato Barbakadse von der westeuropäischen Welt mit diesen Gedichten, schlicht „Gedankenlyrik“ genannt, fordert.
Man möchte freilich dem Dichter anraten, für künftige Publikationen sich einen anderen Verlag zu suchen. Selten habe ich ein Buch so schlampig hergestellt gefunden wie dieses. Dass kein Lektorat stattgefunden hat, ist mittlerweile fast schon Standard. Die Anzahl der stehen gebliebenen Druckfehler ist horrend, man beschäftigt keine Korrektoren mehr. Ich bin aber der Meinung, schon ein relativ einfaches, gutes Rechtschreibprogramm hätte die überwiegende Mehrzahl der Fehler tilgen und auch auf unmögliche Wortbildungen in den deutschen Antworten des Dichters aufmerksam machen können, wenn man sich die Zeit genommen hätte, es zu benutzen. Dass es auch regelentsprechende Silbentrennungsprogramme gibt, sei nebenher erwähnt. Die mangelnde Bemühung um ein korrektes Druckbild erschwert die ohnehin nicht leichte Lektüre erheblich. Selbst auf dem lieb- und geschmacklosen Cover liest man hinten von „unserem vertrautenartigen Autor“, auch das scheint niemandem aufgefallen zu sein: so viel Nachlässigkeit, die an Missachtung grenzt, hat Dato Barbakadse nicht verdient.
Trotz diesen ärgerlichen Mängeln der Ausgabe möchte ich sagen: 24 Gedichte, die unsere westeuropäischen Selbstverständlichkeiten, über die viel zu wenig nachgedacht wird, grundlegend in Frage stellen, das ist etwas, was man sich nicht entgehen lassen sollte, besonders dann, wenn man an Multikulturalität interessiert ist. Denn damit kann ja nicht gemeint sein, dass man ein wenig fremde Folklore bestaunt. Multikulturalität ist nur sinnvoll als ernsthafte Auseinandersetzung.
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