poetenladen    poet    web

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Dato Barbakadse
Wesentliche Züge

Gedichtete Metaphysik
  Kritik
  Dato Barbakadse
Wesentliche Züge
(und zwölf andere Gedichte)
Georgisch und Deutsch
Neubiberg: Mischwesen Autorenverlag 2011
ISBN 3-938313-11-0
134 Seiten, Euro 8,80.

Das Buch beim Verlag  externer Link



Seit mehreren Jahren versucht der georgische Dichter Dato Barbakadse auch im deutsch­sprachigen Raum Gehör zu finden. Seine Beziehung zur deutschen Spra­che und Lite­ratur ist mehr­fach geknüpft: er hat an der West­fälischen Uni­versität in Münster studiert, und er hat das Ver­dienst, eine groß­angelegte Reihe mit Über­setzungen deutsch­sprachiger Lyrik ins Georgische geplant und zum Teil schon ver­wirklicht zu haben; dass es nur öster­reichische Dichter geworden sind, hängt mit der Gleich­gültigkeit deutscher Kultur­insti­utionen zu­sammen, man hat hier, wie es scheint, kein sehr leb­haftes Bedürf­nis, den kul­turellen Austausch mit diesem an der äußersten öst­lichen Grenze zu Asien liegenden Land zu fördern. Mangeln­des Interes­se dürfte auch einer der Gründe sein, die der Rezeption der Gedichte Barbakadses hier­zulande entgegen­stehen. Literarisch ist Georgien im deutsch­sprachigen Raum nicht aus­reichend prä­sent.

Zwei Gedichtbände Barbakadses sind vor einigen Jahren erschienen: „Das Dreieck der Kraniche“, 2007, und „Die Poetik der folgenden Sekunde“, 2008. Nun folgt die dritte deutsche Publ­ikation: „Wesent­liche Züge und zwölf andere Gedichte“, dies­mal ergänzt durch ein aus­führliches schrift­liches Inter­view. Die Fragen hat Barba­kadses lang­jährige deutsche Über­setze­rin, Steffi Chotiwari-Jünger, formuliert. Sie hat, wie schon die früheren Bände, auch einen Teil der in diesem Band publi­zierten Gedichte ins Deutsche übertragen, als zweiter Übersetzer ist der öster­reichi­sche Schrift­steller Benedikt Ledebur hinzu­gekommen.

Aber bringen diese Übertragungen die Dichtung Barbakadses dem deutsch­sprachigen Leser näher? Man wünscht sich, dass zum hier vorliegenden Band spezielle Fragen for­muliert worden wären, denn die Erläu­terungen, die Barbakadse zum Begriff „Gedankenlyrik“ gibt, weil er seine Arbeiten unter dieser Kate­gorie ver­standen wissen will, bewegen sich auf einem sehr all­ge­meinen Niveau und lassen außer einer sehr vagen Zu­ordnung keine weiteren Schlüsse auf die vor­liegenden Gedichte zu. Was Barbakadse mit einer spezi­fischen, nur im Gedicht formu­lierbaren Philo­sophie meint, bleibt un­klar. Da hätte man nach­fragen können. So steht man vor Gebilden, die durch kurso­rische Hinweise auf Coleridge, Hölderlin oder Rilke um nichts ver­ständ­licher werden. Ich würde bei dem Begriff „Gedan­ken­lyrik“ zuerst an Schillers philo­sophische Gedichte denken, z.B. „Das Ideal und das Leben“, so habe ich es in der Schule gelernt. Aber mit Schillers luzider Sprache und mit seiner klaren Verhält­nis­bestim­mung zur theore­tischen Philosophie haben die Dichtungen Barba­kadses nichts gemein. Wie also kann man sich ihnen nä­hern?

Dichtung, so kann man Barbakadse verstehen, muss nicht auf den Anspruch verzichten, Gültiges, Verbind­liches zu sagen. Sie ist nicht aus­schließ­lich an unmit­telbare sinn­liche Eindrücke, die Wieder­gabe von Stim­mungen oder die faszi­nierende Kombi­nation von Wörtern gebunden: sie kann und darf auch argu­mentieren. Barbakadse geht dabei so weit, dass er ins Gedicht kurze Abschnitte rein theo­reti­scher Prosa ein­montiert, um danach wieder im Vers fortzufahren. Damit begibt er sich aber auch auf eine schwierige Grat­wan­derung zwischen Poesie und Philo­sophie. Es genügt nicht, nach der Schön­heit dieser Gedichte zu fragen, man muss sich auch zu der Wahrheit ver­halten, für die sie stehen. Es ist deshalb, im Sinne des Dichters, auch nicht möglich, den meta­physischen Anspruch seiner Dichtungen rein phäno­menal aufzu­fassen, als eine interes­sante Farbe im multi­kultu­rellen Gewebe. Auf die dialek­tischen Schwierig­keiten der Beziehungen zwischen multi­kultu­reller Wahr­nehmung und der einfachen, unteil­baren Wahrheit kann ich hier nicht eingehen. Sie müssen bei der Lektüre mit­gedacht werden, denn sie bestimmen die Struktur der Dichtungen Barbakadses wesent­lich mit. Barba­kadse ist alles andere als ein naiver Lyriker.

Überzeugungsarbeit braucht, zumal wenn die Wahrheit aus weit ent­fernten Gegen­den kommt, Zeit, die man sich zum genauen Lesen nehmen muss. Was an Bar­bakadses Dich­tungen zunächst auffällt, ist rein äußerlich die Länge. Die einzelnen Verse er­strecken sich meist über zwei Zeilen, die Sätze, kompliziert gebaut, bean­spruchen mehrere Verse, die Gedichte oftmals viele Seiten, und auch sie bilden in sich nur kleinere Ein­heiten in einem großen Zusammen­hang, ver­einigen sich zu Zyklen, die ihrerseits, nach dem Selbst­zeugnis des Dichters, nur Bruchstücke sind in einem unvol­lendeten und unvol­lend­baren Lebens­werk, das sich in die uralte Kette nationaler Traditionen Georgiens einzu­fügen trachtet. Man befindet sich bei der Lektüre der Gedichte am Ufer eines mächtigen Stroms, der breit und scheinbar träge dahinfließt, man weiß, dass man nur einen kleinen Teil des Flusses übersieht, dass Quelle und Mündung sich dem Blick weit entziehen und auch das zuge­flossene Wasser nicht unterscheidbar ist: die Wasser vermischen sich und werden eins. Wenn es sich allerdings um einen Textfluss handelt, so impliziert Ununter­scheid­barkeit zugleich die Unmög­lichkeit zu verstehen, Sinn ist an Unter­schei­dungen gebunden. Das weiß auch der Dichter, und er gibt deshalb im Gedicht einen Hinweis, wie man sich Unter­scheidungen schaffen kann. Immer wieder blinken im Sonnen­licht ein­zelne Wellen auf, der Leser soll sich solche Stel­len unter­streichen, und wenn er dabei bemerkt, dass es schon andere, ältere Unter­streichungen von fremder Hand im Text gibt, soll er darüber hinweg­gehen, sich an seine eigenen Unter­strei­chungen halten und damit gleich­sam Inseln im Strom schaf­fen, viel­leicht wachsen diese später, bei wieder­holter Lektüre, zum Festland zusammen. Man ahnt in diesem Vor­schlag die riesigen asiatischen Land­massen, die hinter dem Rücken des Dichters Halt und ihm selbst Haltung geben. Für den west­euro­päischen Leser ist das eine Heraus­for­derung. Er lebt in der unab­weis­lichen Er­fahrung, dass der Fluss ohne Ufer und kein Festland in Sicht ist, auf dem man einen Stand­punkt be­ziehen und das ruhige Dahin­ziehen des Wassers an­schauen könnte: der einzige Boden, auf dem er stehen kann, ist das Boot, das er durch die Gefah­ren des strö­menden Wassers steuern muss, navigare necesse est! Erst in diesem Gegensatz wird die meta­physische Auseinander­setzung erkenn­bar, die Dato Barbakadse von der west­euro­päischen Welt mit diesen Gedichten, schlicht „Gedankenlyrik“ genannt, fordert.

Man möchte freilich dem Dichter anraten, für künftige Publikationen sich einen anderen Verlag zu suchen. Selten habe ich ein Buch so schlampig her­gestellt gefunden wie dieses. Dass kein Lektorat statt­gefunden hat, ist mittlerweile fast schon Standard. Die Anzahl der stehen geblie­benen Druck­fehler ist horrend, man beschäf­tigt keine Kor­rek­toren mehr. Ich bin aber der Meinung, schon ein relativ einfaches, gutes Rechtschreib­programm hätte die über­wiegende Mehrzahl der Fehler tilgen und auch auf unmög­liche Wort­bildungen in den deutschen Antworten des Dichters auf­merk­sam machen können, wenn man sich die Zeit genom­men hätte, es zu benutzen. Dass es auch regel­ent­sprechende Silben­trennungs­programme gibt, sei neben­her erwähnt. Die man­gelnde Bemühung um ein kor­rektes Druckbild er­schwert die ohnehin nicht leichte Lektüre erheblich. Selbst auf dem lieb- und ge­schmack­losen Cover liest man hinten von „unserem ver­trautenartigen Autor“, auch das scheint niemandem auf­gefallen zu sein: so viel Nach­lässig­keit, die an Missachtung grenzt, hat Dato Barbakadse nicht verdient.

Trotz diesen ärgerlichen Mängeln der Ausgabe möchte ich sagen: 24 Gedichte, die unsere west­euro­päischen Selbst­verständ­lich­keiten, über die viel zu wenig nach­gedacht wird, grund­legend in Frage stellen, das ist etwas, was man sich nicht ent­gehen lassen sollte, besonders dann, wenn man an Multi­kultu­ralität interess­iert ist. Denn damit kann ja nicht gemeint sein, dass man ein wenig fremde Folklore bestaunt. Multi­kultu­ralität ist nur sinn­voll als ernst­hafte Ause­inander­setzung.

 

Matthias Fallenstein   12.10.2012    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht    Seite empfehlen  Diese Seite weiterempfehlen

 

 
Matthias Fallenstein
  • Zur Person
  • Mail