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Herbert Hindringer
Distanzschule

60 Watt Hindringer
  Kritik
Herbert Hindringer | honig im mund – galle im herzen   Herbert Hindringer
Distanzschule
Gedichte
yedermann 2007

Zum Verlag  externer Link



Herbert Hindringers Distanzschule, erschienen im yedermann-Verlag, ist keines­wegs ein Buch, mit dem man einen ›wankel­mütigen‹ Küchentisch aus­balancieren möchte. Auch, wenn mich nicht alles darin begeistern konnte und versucht werden soll, einige Kritik­punkte aufzuzeigen – missen möchte ich diesen Band nicht.

Mehr als nur angenehm ist zunächst, dass die darge­botenen Texte nicht steril und kaum konstruiert wirken und ihnen gleich­zeitig einiges an Fantasie im Nacken sitzt. Diese kommt jedoch durchweg nicht so abstrakt daher, als dass man ihr nicht folgen wollte oder könnte.

Herbert Hindringer überzeugt mit Kreativität, manchmal mit bubenhaftem Charme, Verspieltheit und mit Fluidität im Wort.

Er erzählt (zumeist) nicht davon, wo, sondern wie die Liebe hinfällt, sich die Knie aufreißt und noch etwas benommen im Raum steht, von Distanzen zwischen Dingen und Drängen und ihrer eigenen Brennweite.

Wenn sich auch auf etlichen Seiten ungefrühstückte Kussszenen, fragmentarische Liebe und diverse Regenschauer finden lassen und dies mitunter ein fast stirnrunzelndes Déjà-vu hervorruft, driftet der Band dennoch nicht zu sehr in prosaische Neonromantik zwischen ›betendem Toaster‹ und dem Augenaufschlag der Süddeutschen ab.

Manche Passagen sind Anzeiger einer bildgewandten Sprache, die Szenen durch Zeilenumbrüche und gezogene Enjambements wie durch eine Jalousie lamelliert, in mund- und sinngerechte Stücke aufteilt:

„... weil ich keine haustiere habe, spreche ich im schlaf
die übrig gebliebenen namen aus
im dunkeln sind sie einsilbig
ich erfinde ein geräusch ...“

„draußen regnets laut andrea“

„... vor meiner angst lachen laute menschen
ich kreide ihnen ihre münder an ...“

„... das aquarium bevölkert mit querulanten
die sich gegenseitig beneiden, man sieht das ...“


Sicher ist diese Herangehensweise kein Novum, aber erwähnenswert, da sie mit Bedacht Verwendung findet. Innovation jedoch haben die Bebilderungen und ebenso metaphorische Überträge inne.

Auch Hindringers Faible und Verständnis für semantisches Daumenkino bereiten Lesevergnügen, wie folgende Beispiele zeigen:

„... dreivierteltaktmotoren für eingerostete beine ...“

„... hinter hügelketten, die uns die hälse zuschnüren ...“

„... mit gabeln und messern grimassen schneiden ...“


Ein Manko sind jedoch in meinen Augen die wieder und wieder eingebundenen Phrasen und anteiligen Redewendungen [vgl. teufel an die wand (malen), land der unbegrenzten möglichkeiten, der lauf der dinge, treibe es auf die spitze, nicht ganz dicht, trocken hinter den ohren; um einige zu nennen], die im starken Kontrast zu einem kreativen Eigenleben, ja, zur Finesse in Bild und Formulierung stehen, die die Texte ansonsten en masse zu bieten haben.

Solche Bergifflichkeiten sind bereits mehr als wundgeschrieben, so oft in aller Munde gewesen, dass es ihnen an eigenständigem Geschmack fehlt, auch wenn sie größtenteils in einem neuen Kontext eingebunden sind. Vereinzelt können solche Einschübe zwar immer noch ein Spielelement sein, treten sie aber geballt auf, versteht man sie schnell als watteweiche Lückenfüller. Letztlich gilt der kritische Blick – völlig losgelöst von den Texten, der Gesamtpräsentation zugewandt – auch dem Rückendeckel des Buches, auf dem mir das Zitat „neulich las mir jemand aus deinem buch vor. ich glaube, das war der moment, in dem ich mich in diesen menschen verliebte (junge Frau per E-Mail)“ zu forciert und deplatziert erscheint, um ein poetologisches Konzept grob zu umreißen. Es rückt Hindringers Lyrik vorab in ein reines und dröges Befindlichkeitslicht, obschon sie weitaus mehr Facetten hat.

Diese Aspekte sind aber sicher mindergewichtig und für andere Leser u.a. die charakteristischen Grübchen, die Distanzschule von einigen aktuellen, allzu bemüht plastinierten lyrischen Gebilden unterscheidet. Doch diese Lebendigkeit kann man Herbert Hindringer auch generell attestieren. Sein Debüt biete bluterguss und suche das weite wird daher nun sicher ohne Umwege den Weg in meinen Bücherschrank finden.
Simone Kornappel   21.04.2008    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht    Seite empfehlen  Diese Seite weiterempfehlen

 

 
Simone Kornappel
Lyrik