poeten | loslesen | gegenlesen | kritik | tendenz | news | links | info | verlag | poet |
Re-minding the gap.
Gerhard Falkners Pergamon Poems – textuell und visuell Von Stefan Schukowski
Kulturelles Gedächtnis und seine Medien Erinnern ist ein aktiver Prozess: Wichtiges muss von Unwichtigem unterschieden werden, um der unendlichen und kontingenten Ereignisfolge der Geschichte Sinn und Ordnung zu verleihen. Selektion ist immer auch, und in erster Linie, Ausschluss – und anschließende Neukombination: Erinnerungswürdiges wird tatsächlich vielmehr produziert als re-produziert. Institutionen und Medien geben den Rahmen dieser Konstruktionsprozesse vor. Deren Endprodukte sind die individuelle und kulturelle Identität des Erinnernden in seiner gesellschaftlichen Umwelt. Zu den großen Institutionen des kollektiven Erinnerns gehören öffentliche Kunstsammlungen: Die kultivierten Gedächtnislandschaften der Museen sind für ihre Besucher (kollektiv) begehbare, betrachtbare, auch fühlbare Produktionszentren kultureller Identität. An dieser Grundfunktion der Museumskultur hat sich seit ihrer Erfindung als Anstalt bürgerlicher Erziehung im 19. Jahrhundert nichts geändert. Oder doch? Die sog. ›Eventkultur‹, mal euphorisch gefeiert (Kunst für alle – das ist Demokratie!), mal kulturkritisch gebasht (Spaßkultur!), die sich in den letzten Jahren auch und gerade im Museum Bahn bricht, nutzt zumindest neue Formen des Erinnerns. Die jetzige PERGAMON-Schau im Berliner Pergamonmuseum ist ein solches Event. Dem Besucher werden diverse alte und neue Möglichkeiten der Annäherung an die antike Stadt und ihr berühmtestes Relikt, den 2500 Jahre alten Pergamon-Altar mit seinem Fries, präsentiert: Mit eigenen Augen kann man es sehen, mit eigenen Füßen die Treppenstufen des Altars emporgehen; man könnte es gar anfassen, würden nicht Museumswächter immer gut aufpassen, um zumindest einen Rest musealer Distanz aufrecht zu erhalten. Dem weiterhin interessierten Besucher wird wissenschaftliches Infomaterial an die Hand gegeben: Bücher aus dem Museumsshop, Führungen und Audio-Guides. Zum Gesamtpaket »Panorama der antiken Metropole« gehört nun auch die Ausstellung zu den historischen Umständen der Ausgrabung samt ihrem Widerhall in Gesellschaft und Kunst. Ergänzt wird all das mit einem Panorama im konkreten Sinne: In dem hierfür errichteten 25 Meter hohen Rundgebäude wurde auf 103 Metern Leinwand die Stadt Pergamon des Jahres 129 n. Chr. nachgebildet. Betrachten lässt es sich von einer erhöhten, in der Mitte der Rotunde aufgestellten Plattform. So unerwartet und überraschend das Genre ›Panorama‹ dem heutigen Museumsbesucher auch erscheinen mag, um eine gänzlich neue Anschauungsform der Historie handelt es sich keineswegs – ganz im Gegenteil. Panoramen sind das 3D-Medium des 19. Jahrhunderts. Auch wenn sie zwischenzeitlich vergessen waren, gehören sie doch zum Grundinventar der illusionistischen Vergegenwärtigung von Geschichte. Ebendies leistet auch das Pergamon-Panorama – allerdings auf recht betulich-menschelnde Weise: Es ist statisches 360°-Illusionstheater (Stichwort: Miterleben), das mit Ton (Menschenstimmen, Hundegebell, Zikadenzirpen, Stadtgeräuschen) und sogar mit Hintergrundmusik und Lichteffekten (Tag und Nacht) das alte Pergamon zum Leben erwecken will.1 All diese Präsentationsformen – das Panorama eingeschlossen – sind also klassische museale Medien des Erinnerns. Diese werden nun durch etwas gänzlich Neues erweitert: durch die Pergamon Poems von Gerhard Falkner. Die fünf Gedichte wurden von Constantin Lieb und Felix von Boehm verfilmt und von Schauspielern der Schaubühne Berlin eingesprochen. Sie sind bisher auf den Seiten des Museums abrufbar, sollen aber in Zukunft auch in der Schau selber zu sehen sein.2 Zwar können auch sie als Teile der kontextuellen Medienvielfalt der Ausstellung rezipiert werden, zugleich aber auch als mehr und anderes: nämlich als Meta-Teil dieser Erinnerungsapparatur. Anders als das verhalten künstlerische Panorama, erweitern sie das Angebot um ein vehement künstlerisches Medium: Die Pergamon Poems sind nicht nur lyrische Reproduktionen des Hauptschauobjekts der Ausstellung und damit wiedererkennende Beschreibung, sondern künstlerische und subjektive (Neu-)Schöpfung, verfremdende Erschreibung und kritische Aktualisierung. Beschreibungskunst statt Kunstbeschreibung Gerhard Falkners Pergamon Poems betreiben Ekphrasis: Sie beschreiben als (literarische) Texte ein (nicht literarisches) Kunstwerk. Dies tun sie aber nicht im naiven Glauben daran, dass sie ihren Sprechgegenstand, den Pergamon-Fries, tatsächlich abbilden könnten. Sie wissen um die diskursiven Grenzen der Sprache, die zeitliche Differenz und die Unmöglichkeit, Weltbild und Denkungsart seiner Erschaffer ins Hier und Jetzt zu überführen. Wenn es ihnen also nicht darum geht, auf lyrische Art den alten, unbeschädigten Altar wiedererstehen zu lassen, dann ist es nur logisch, dass gerade der fragmentierte Fries in seinem heutigen Zustand, mit seinen nicht weg zu imaginierenden Lücken und Brüchen, zum Gegenstand wird, an dem sich die Dichtung der Pergamon Poems entzündet.3 Aus dem ersten Vers, »Die Hand ist ergänzt. Dem Arm fehlt eine Schulter«1/1, spricht also nicht elegische Trauer um das Fehlende, sondern Euphorie über den damit eröffneten Möglichkeitshorizont, über die zu füllende Leere eines nicht schon alles vorgebenden ganzheitlich-perfekten Ausgangspunktes. Zu diesem Zweck wird der alte Fries radikal an neue Medien angebunden: »wie viel Gigabyte hat dieser Fries, welch / gigantisches Archiv birgt dieser Stein«1/15f. fragt der erste Text. Die mediale und zeitliche Differenz, die jeder Ekphrasis zugrunde liegt, wird somit genutzt, um den Clash zu forcieren, um Disparates(tes) poetisch zusammenzubringen – ohne die Brüche mit einer letzten Endes tragenden Brücke aus Wahrheit zu überwölben.4 Ganz in romantischer Manier ist es bei Falkner das Fragment als nicht perfektes, nicht komplettes Artefakt, das der ganzheitlichen, ideologisch »geführten Sprache«5 und Kultur seine offenen Enden entgegenhält: »die Brüche sind geglückt«1/3. Dass dies gerade im Medium der Lyrik geschieht, ist kein Zufall: Die immer wieder genannten »Brüche«, »Lücken« und »Teile« des Frieses – sowohl was seine ›zertrümmerte‹ Form als auch seinen nicht mehr in die Gegenwart überführbaren Sinngehalt betrifft – sind zugleich gattungsreflexiv lesbar als Verweise auf die Textsorte des Gedichts mit seinen Versbrüchen, Sinnlücken und -teilen. Diese erscheinen nun aber nicht mehr einfach in gut idealistisch-hermeneutischer Tradition als Schwundformen des Bruchlosen, Lückenlosen, Ganzen, sondern als Sinn und Ideologie destabilisierende Potentiale von Lyrik. Zur ›Dekonstruktion‹ fester Sinnstrukturen trägt auch die Sprechsituation bei. Wir haben es mit keiner klar definierten, sondern mit einer kaum zu lokalisierenden Sprechinstanz, keinem einheitlichen lyrischen Ich zu tun. Der Text weicht meist auf Impersonalia aus: »Man denkt sich«2/10, »Es ist irre«5/1 etc. Personalpronomina der ersten Person stehen nur im Besprechungsteil des vierten Gedichts, allerdings im Plural. Mehr als eine zeitliche Perspektive (nämlich die von heute) gibt auch diese Stelle nicht: Wer hier spricht, bleibt offen, ein Wahrheit verbürgender Beobachterstandpunkt wird nicht etabliert. Bruch- und Fragmentierungsverfahren (Verssprünge, metrische Brüche, den Verssprung materiell und virtuell aufrufender Bruchstrich) stehen hier gegen Verfahren des Lückenschlusses wie Reim, Epipher, Assonanz, etymologische Figur; all dies ergibt im kleinen Raum des Gedichts eine irre Bewegung von Verbindung und Abstoßung, von sprachlicher und visueller Bruch- Dabei – und diesen a-ideologischen Momenten scheinbar widersprechend – sind die Lücken in den Pergamon Poems durchaus auch Einflugschneisen für Kritik, für ›Erklärungen‹ des Dargestellten, aus denen manches Mal sogar geradezu überzeitlich gültige Wahrheiten abgeleitet werden. Jedoch handelt es sich hierbei, wie noch genauer zu zeigen sein wird, um dichtende Kritik, die immer schon im Zeichen der Subjektivität antritt. Auch solche potentiell wahrheitsbelastete Aussagen sind Teil einer Kontrastästhetik, die Disparates nicht vermittelt, sondern den Clash zwischen Standpunkten und deren Relativität betont. Der fragmentierte Fries wird zum Komplizen einer konspirativen Ideologiekritik, die nicht mehr geordnet im Modus der Wahrheit, sondern eben »irre«5/1 daherkommt: Durch die halsbrecherischen Sprünge über die Brüche von ›Hoch‹ – und ›Populärkultur‹, Antike und Heute, hoch lyrischer und prosaischer Sprache, aber auch durch die Multimedialität der Lyrik-Clips entautomatisiert Falkner die vom Museum und der (bürgerlichen) Kultur vorgegebene Wahrnehmung des antiken Kunstwerks. Statt Kunstbeschreibung betreiben die Pergamon Poems Beschreibungskunst. Mithilfe einer Ästhetik des Kontrastes machen sie die Brüchigkeit zwischen den möglichen Wahrnehmungsmodi umso deutlicher: they re-mind the gap. Kontrastierungsverfahren: Fragment und Clash In der gedruckten Version (die erweitert auf 20 Texte bei Kookbooks zur Publikation in Vorbereitung ist) wird sichtbar, dass gerade die Versbrüche mimetisierend aufgeladen sind: Der fragmentierte Fries wird zum Vorbild der semantischen Bruchbildungen der Gedichte. Würden die fünf (fast gleichlangen) Texte (frieshaft) nebeneinander gelegt (eine Schriftrolle würde das besser können als ein Buch – aber immerhin), sähe man die steinerne Schriftbildrolle des Pergamonaltars nachgeahmt: unbeschadet-monolithische Einheiten in den ersten beiden Texten, einen ausgefransten Monolithen im dritten Text, den vierten Text in drei ungleichgroße Stücke zerbrochen und den abschließenden Text in zwei unausgewogenen Fragmenten – eines lang und schmal, eines kurz und breit. So etwas kann nur ein (gedrucktes) Gedicht. Die materiellen Kontraste des Frieses werden im Text sichtbar (und im Film hörbar) als performativer Selbstwiderspruch: »Lücken / überbrücken«5/11f.. Als stetige Grundlage der fragmenthaften Kontrastästhetik beschwören die Pergamon Poems immer wieder aufs Neue einen dem Fries inhärenten Gegensatz: die virtuelle Bewegtheit des statischen Marmors. Zwischen den dichotomischen Polen wird jedoch nicht vermittelt, sondern, im Gegenteil, die darin angelegte logisch unfassbare Widersinnigkeit forciert. Der Steinfries wird sowohl mit Verben der Dynamik überschrieben als auch in seiner steinernen Materialität stark gemacht. Diese Struktur ist z.B. in der Kontrastierung von (semantisch trennenden) Antithesen und Oxymora und (lautlich verbindender) Alliteration gefasst: »Das Knie rast reglos in sich selbst«1/2 oder: »wie Schönheit so und Schock sich hier versöhnen«3/21. Auch die metrische Ebene arbeitet an diesen polarisierenden Strukturen mit: So stockend der erste Text ansetzt, so geradezu beschwingt alternierend nimmt er dann seinen Lauf: Das dichterische Ergänzen lässt hier einen nahezu ›ordentlichen‹ lyrischen Text (eben samt alternierendem Versmaß und diversen Assonanzen, End- und Binnenreimvarianten) entstehen, der Verse wie »Alles schwingt, die Hüften und Gewänder«1/12 klanglich nachahmt. Immer wieder jedoch durchkreuzt wird diese vermeintliche Ruhe und Einheitlichkeit durch Brüche im Rhythmus und starke Enjambements, die Zusammengehöriges gehörig voneinander trennen: »Alles ist / Impuls«1/2f.. Durch manchmal nur hauchdünne, manchmal brachiale Veränderungen auf lautlicher und grammatikalischer Ebene werden automatisierte Phrasen entautomatisiert, Paronomasien und Katachresen erzeugen unerwartete Spiele mit Bedeutung: »Das Kleid ist außer sich vor Falten«3/6; »alles atmet so die Gunst / der Stunde«1/5f.. Durchaus autoreflexiv ist auch die vehement lyrische Beschreibung, die hier »den Marmor / aus der Fassung bringt«2/7f.. Es ist irre Wie hier im abschließenden Vers sucht die lyrische Beschreibung den Schulterschluss mit anderen Kunstformen. Damit erkennt die Poesie ihre eigenen kunst- und medienspezifischen Grenzen und stellt sie als solche aus. Musik (›E‹ und ›U‹), Tanz, Film und Malerei liefern Vergleichsparameter.6 Dies allerdings nicht, um den beschriebenen Gegenstand zu fassen, sondern um gerade das Überbordende, Ungefasste der scheinbar aus ihrer Frieswelt steigenden Figuren zu verdichten. Sprechweise und Sprechgegenstand sind gleich manieristisch, geradezu »außer sich vor Falten«3/6. Dem gegenüber stehen freilich die durchaus ›prosaisch‹ zu nennenden Kommentare an den Enden der Gedichte: »denn uns erreichen vom Himmel allenfalls / heruntergeladene Klingeltöne«4/19f. Überbordendes Spiel und ökonomischer Ernst stehen sich stilistisch gegenüber, so dass man durchaus von einem Mix der Schreibweisen sprechen kann: mal ›unordentlich‹ lyrisch, mal ›ordentlich‹ narrativ. Unterstützt wird diese Heterogenität durch das typisch Falkner'sche Verfahren der forcierten Intertextualität, das Texte und Texttraditionen beinahe zum Cento kombiniert:7 Zu den Referenzpunkten gehören berühmten (ebenfalls zum Teil centohaften) ekphrastischen Prosahymnen Winckelmanns, Keats ekphrastische »Ode on a Grecean Urn« mit ihren musikalischen Metaphern und Fragestrukturen, Rilkes Dinggedichte (besonders »Archaischer Torso Apollos« und »Römische Fontäne«) und natürlich (wenn auch mit anderer Stoßrichtung) Benns krasse Kontrastierung von Erhabenstem und Profanstem.8 Viele (die meisten) intertextuelle Verweise sind jedoch nicht konkret und rufen systemreferentiell Themen, Genres und Schreibweisen aus Antike, Klassik (besonders mit ihrer Erhabenheitsrhetorik), Romantik, Symbolismus, Expressionismus etc. auf. Statt klarer Einzelreferenzen werden abgespeicherte kulturelle Dichtungs- und Beschreibungsformen lediglich implizit aufgerufen. Eine neue Mischung entsteht, die sich der genauen Einordnung in die Tradition verweigert. So aufgeladen mit tradiertem Sinn die folgenden Verse auch sind, direkte literarhistorische Vorbilder lassen sich (soweit ich sehe) dennoch nicht benennen:
die Torsi torkeln von der Wucht des Schönen Den größten Teil der Gedichte herrscht diese, dem Sprechgegenstand ›angemessene‹, hohe Sprechweise vor, zumal in den längeren Beschreibungsteilen. Diesem genus sublime werden jedoch vereinzelt, darum aber umso schärfer, jetztzeitlich- Freilich haben wir es bei diesen fünf Pergamon Poems nicht mit herkömmlichen Gedichten zu tun: Sie verlassen ihr gewohntes Druckmedium zugunsten des Films und erreichen schon durch diesen Wechsel auch auf der Ebene ihrer medialen Vermittlung diverse Entautomatisierungseffekte – die textuellen Verweise auf Anbindung des Alten an neue Medien wird also qua Filmmedium tatsächlich umgesetzt. Wenn auch das Textbild in den Clips abhanden kommt,10 so realisieren sie die beschriebenen Clashs mit ihren eigenen medialen Mitteln. Paralinguistisch werden die Brüche durchaus kongenial von den Sprechern – wenn auch oft an andere Stelle verschoben – durch Pausen, Betonungen und Phrasierungen wiedergegeben. Außerdem ist die Montage überaus rhythmisch-akzentuierend. Mal macht sie den Drive mit, mal setzt sie starke Kontrapunkte. Das Fragmentarische des Beschreibungsobjektes wie des Gedichttextes wird durch herangezoomte(Fleisch-) Körperteile der Sprecher ebenso wie (Marmor-)Körperteile des Frieses in performativen Gleichlauf gesetzt. Fragmentiert bleiben auch die Torsi der Sprecher, die meisten ebenso steinern-statisch wie der Fries – nur in wenigen kurzen Einstellungen rufen sie durch starke Körpergesten die potentielle Bewegung der Gigantomachie auf. Diese Lyrik-Clips sind keine Verfilmungen von Gedichten. Das Filmische ist einer ihrer nicht weg zu kürzenden Bestandteile. Es sind originär multimediale Texte. Damit sind sie zwar manchen künstlerischen Kurzfilmen ähnlich, strukturell jedoch bisher fast einzigartig. Nur Jürg Halter hat meines Wissens ähnlich überzeugende Lyrikclips in dieser Tradition gemacht: »Leicht werden« und »Spiegelbild« sind im Netz zu sehen.11 Ein ähnliches Genre ist als ›Poetry-Clips‹ bekannt. Bas Böttcher und Wolfgang Hogekamp von SpokenWordBerlin zielen mit ihrer Verbindung von Film und Lyrik auf eine filmische Umsetzung von »Spoken-Word-Dichtung«12 ab, also alles vom Poetry-Slam bis zum Rap. In diesem Sinne sind Rapvideos die Vorläufer von Poetry-Clips. In deren Ästhetik und Thematik schreiben sie sich vehement ein. Der englische Titel der Pergamon Poems führt hier (leider) auf eben diese falsche Spur: Mit Musikvideo, Rap oder Poetry Slam haben sie nämlich kaum etwas zu tun.13 Falkner, Boehm und Lieb geht es vielmehr um den Anschluss an ›klassische‹ Formen der Lyrik-Performance. Sie schreiben sich in die deutsche Tradition der Gedichtrezitation ein, in der die Stimme mehr Stimme und weniger Instrument ist.14 Mit dem Pergamon-Fries als Dichtungsgegenstand gehen die Pergamon Poems zudem ganz an den Anfang der westlichen Tradition zurück: an Rhapsoden-Hymnen wie die homerischen. Dies wird formal durch die gewählten Versmaße verwirklicht: freie Rhythmen, die sich manchmal sehr stark, manchmal nur tendenziell an Hymnendichtung annähern. Die Schauspieler sprechen diesen hymnisch-elegischen Stil mit einem gekonnten Mix aus Strenge und Leichtigkeit. Mit der Synthesizer- und Klavierbegleitung (komponiert von Therese Strasser, die Klangregie führt Johannes Hampel) ist auch Filmmusik Teil des Ganzen – und zwar wiederum als irreduzibler Teil. Mal parallel, mal kontrapunktisch werden die Texte und Bilder stark rhythmisch begleitet. Durch den wiederholten Wechsel vom Harmonischen ins Atonale, mit längeren Tonreihen, einzelnen lang ausgehaltenen Tönen und durch lange Pausen werden auch auf der Ebene der Filmmusik Fragmenthaftigkeit und Clash performiert – die inhaltlichen Verweise der Gedichte auf Musik erhalten hier ihre Realisierung. Die Konzentration der Texte auf einzelne Fries-Stellen wiederholt sich in Nahaufnahmen (Kameramann ist Till Vielrose) eben dieser Stelle. Ganz so werden auch Körperstellen der Sprecher_ Dieser eingrenzende subjektive Blick wird in den Filmen zudem noch als Bildmotiv aufgegriffen, wenn wiederholt auf die Augen der Sprecher_innen gezoomt wird und besonders, wenn die sich verengenden, sich den äußeren Licht- und Raumverhältnissen anpassenden, Pupillen abgefilmt werden. Übrigens sind sie ›Lyrik-Clips‹ in dreifachem Sinne, denn sie nutzen nicht nur konkret das Medium Film, sondern sind bereits filmisch geschrieben (mit Zooms, Blenden etc.) und thematisieren noch einmal Visualität und sogar Film und Kino: »(Götterkino)«3/18 eben.15 Die Unsicherheit über die Sprecherinstanz der Texte wird in den Clips mit der Aufteilung auf fünf Sprecher_innen realisiert. Wer diese fünf sind, woher sie ihr Wissen haben, von wo aus genau sie betrachten, all das ist im Text kaum eruierbar (hier könnte es auch nur eine Instanz sein) und auch in der filmischen Realisation absolut uneindeutig; mal scheinen sie allwissende Götter zu sein, wie lebendig gewordene Teile des Frieses, mal aber sind sie ganz menschliche Instanzen mit beschränktem jetztzeitlichen Blickwinkel. Auch die Sprecher_innen selber bleiben als Torsi Fragmente und somit auch film- Die Subjektivität auch der filmischen Wahrnehmung wird durch verschiedene Objektivgrößen realisiert. Zentralperspektivisches Sehen – seit der Renaissance der Garant für Wahrheit und Authentizität künstlerischer Mimesis – wird dadurch vehement verhindert, Schwenks und Unschärfen unterstützen die eher chaotische als ordnende Wahrnehmung. Schon die erste Einstellung zeigt keinen prototypischen Blick auf den Altar: Statt einen zentralperspektivischen Eindruck zu vermitteln, wie ihn auch der Museumsbesucher erhält, führt der erste Kameraschwenk aus der Froschperspektive die Treppen am äußeren Rand des rechten Risaliten hinauf. Diesem Blick von unten nach oben entspricht dem Heben des Kopfes der Sprecherin in der nächsten Einstellung. Und zwar mit geschlossenen Augen, die sich beim ersten Wort öffnen: Wir haben es hier mit einem mehr imaginierenden als mit einem wirklichkeitsgetreu beschreibenden Blick auf den Altar (oder vom Altar aus?) zu tun. Es gibt keinen den Fries in seiner tatsächlichen räumlichen Anordnung wiedergebenden filmischen Blick, keinen ordentlichen Schwenk von einer Seite zur anderen und auch keine ordnende, narrative Montage, sondern eine rein subjektive Kamera. Kurze Einblendungen, die manchmal extrem nah an den Marmor heranzoomen, lassen kaum noch erahnen, dass es sich hier um eine Falte, einen Arm, ja, eine Lücke handelt. Jede dieser Einstellungen sagt immer wieder: Ich bin medialisiert. Ich richte das Bild so zu, wie ich es will. Diese multimedialen Texte betonen also immer wieder ihre Subjektivität und Poetizität (auch im Sinne von poiesis – ›machen‹). Es war schon die Rede vom Zusammenhang zwischen Erinnerung und ihren Medien. Als Meta-Panorama stellen die Pergamon Poems nun genau das aus: Die Abhängigkeit des (kulturellen) Gedächtnisses von zwangsläufig subjektiver Impression und seine fundamentale Verbindung zu den Apparaturen des Wahrnehmens. Das macht eben die ideologiekritische Seite der Pergamon Poems aus. Wider postmodernes anything goes Nun könnte man versucht sein, die Pergamon Poems unter dem Label ›postmodern‹ zu verbuchen, betreiben sie doch exakt jene Radikalisierung so vieler schon für die Moderne in Anschlag gebrachten Merkmale: Krise der Repräsentation, Skepsis gegenüber jeglicher Erkenntnisfähigkeit, Einebnung und Verbindung kultureller Hierarchien, Pluralisierung von Lebenswelten, Betonung der reinen Simulation von Wahrheit qua Medien und Medialität uvm. All das führte nicht nur zu einer Krise des wahrnehmenden Subjekts, sondern geradezu zu seiner Vaporisierung im inter- oder trans-medialen, -diskursiven und textuellen Kräftefeld. Dem aber setzen die Pergamon Poems allerdings auch eine Form starker, fester Subjektivität hinzu, denn frei von wertenden Reflexionen sind sie ganz und gar nicht. Typisch für ältere Ekphrasis-Texte wird in ihren jeweils abschließenden Teilen mitunter harsche Kulturkritik an einer im Vergleich zur Antike defizitären Jetzt-Zeit geübt: das ganze Geheimnis liegt immer in den größeren Solche Abstraktionen und Reflexionen rutschen nicht nur hinüber ins Narrative, sondern geben klare Interpretationsanweisungen.16 Sogar ein »du« wird angesprochen – fast schon eine Lehrsituation. Man geht wohl nicht zu weit, wenn man hier Gerhard Falkner selber sprechen hört: Nicht nur das Ich aus so manchem seiner Gedichte, sondern auch das Ich der Preisreden, Poetiken und Streitreden, von denen Falkner jeweils nicht wenige produziert hat, ist hier in gewohnt kulturkritischer Deutlichkeit zu hören. Die Pergamon Poems entfalten hier ein typisches ›Falkner'sches Paradox‹: Die gleichzeitig schöne Zweckfreiheit des Gedichts und seine gesellschaftliche Aufgabe. Das Gedicht ist autonom, aber nicht autark! Der Künstler hat daher eine Aufgabe: Er muss (und das ist in Falkners Poetik durchaus normativ gemeint) Kulturkritiker sein: »Nichts darf vor dem Gedicht sicher sein, nicht einmal die Benzinpreise, alles aber darf das Gedicht im geeigneten Fall gelassen verschmähen. Nur durch das Wissen um die eigene Zeit erwirbt sich das Gedicht die Starterlaubnis in den zweckfreien Raum.«17 Seine Zweckfreiheit als Kunstwerk macht es dem Gedicht möglich, sich nicht an die Regeln der geführten, ideologischen Sprache halten zu müssen und somit Widerstand zu leisten. Gerade die Kombination aus Zweckfreiheit und Kritik ermöglicht es, über die Welt, wie sie eingerichtet (worden) ist, nachzudenken. Dem postmodernen anything goes entgehen die Texte also dadurch, dass sie klare, kritische Worte finden, – noch dazu eng angebunden an ihren lebensweltlichen Autor und seine Sicht der Dinge. Die letzte Versgruppe des abschließenden Gedichts treibt dieses, vielleicht ›postpostmodern‹ zu nennende, Verfahren auf die Spitze:
nach allem, dieser Frische, dieser jugendlichen Kraft Die Banalität der Jetztzeit prangert der Text hier komisch-überspitzter Weise an. Filmisch wird dieser vereindeutigende Kommentar mit einem erhöhten panoramatischen Blick vom Altar aus auf Besucher und Museumswärter unterstrichen, die Filmmusik läuft gleichzeitig hyperharmonisch in Dreiklängen die Tonleiter hinauf – um sich gemeinsam im Fadeout zu verströmen. Dieser multimedial harmonisierende Gleichlauf untergräbt jedoch in seiner überspitzten Ausführung die eigene Aussage: Er setzt sich selber in Anführungszeichen, markiert sich als subjektiv. Aufgehoben und bewahrt vor einer führenden ideologischen Wahrheitsrhetorik sind die sentenzenhaften Textstellen auch durch ihre entautomatisierende Poetizität, wenn nicht Herz auf Schmerz, sondern »Schöne« auf »Klingeltöne« gereimt wird. Außerdem schützt die so stark gemachte Medialität davor, diesen Textstellen ungebrochene Wahrheit zuzuschreiben. Zwar nutzen sie auch eine Ästhetik des Widerstands, doch eine, die immer mitsagt: Ich bin Kunst, ich bin nicht (nur) wahr, ich bin (auch) schön. Der Pergamon-Fries wird in dieser Hinsicht als Komplize inszeniert, der ebenfalls dieses Paradox mit sich führt: er ist gleichzeitig Kunst und hoch ideologisches Artefakt. Immer wieder wird dafür die »endogene« (wiederum ein Falkner'scher Begriff)18 Struktur des Objekts aufgerufen:
Nie wieder ist ein Körper so ans Licht getreten Die Schönheit des beschriebenen Kunstwerks ist eine mit ganz eigener, innerer Ursache: Falkner findet damit neue Worte nicht nur zur Belebung des Steins, sondern auch zur Beschreibung des autonomen Kunstwerks in seiner endogenen, also vom Beobachter ganz unabhängigen Schönheit, der nicht mehr sinnhaft, sondern lustvoll begegnet werden kann. Der Effekt eines solchen Ausgeliefertseins gegenüber einem autonomen Kunstwerk ist die Invertierung der Subjekt/Objekt-Relationen. Der Beobachter gerät über seine Augenlust in Abhängigkeit vom Objekt: Die Affektion des Besprechenden drückt sich in sexualisierenden Bildern aus, »mit Schenkeln wie aus bestem attischen Gestüt«2/2, die Beschreibung erhält stark voyeuristische Züge; die fünf Verse im dritten Gedicht, die das Knie der Artemis fokussieren, kommen geradezu fetischisierend daher; an einer Stelle wird explizit über diese Lust am Fries (man denke hier durchaus an Roland Barthes‹ Lust am Text) reflektiert: Die scheinbare Passivität des Objekts und sein scheinbar aktiver Betrachter geraten in eine ver-rückte gegenseitig penetrierende Blickorgie:19
das Licht der Sonne wird verrückt Das ist freilich in einen größeren Zusammenhang zu stellen, einen, den Falkner schon viele Male aufgegriffen hat: Wie funktioniert unsere Wahrnehmung und damit unsere Erinnerung, wo doch alles medial vermittelt, auf die Medien der Vermittlung aber kein Verlass ist? Derrida hat das einmal für die filmische Herstellung wichtiger Ereignisse im Fernsehen (er nennt den Golfkrieg) so beschrieben: »Tatsächlich ist die Interpretation produktiv [...] Stillschweigend und ohne es zuzugeben, lässt man ein Sprechen, das das Ereignis macht, als simple Mitteilung des Ereignisses durchgehen. Die politische Wachsamkeit, die das von unserer Seite fordert, besteht offenkundig darin, ein kritisches Wissen von den Apparaten zu organisieren, die vorgeben, Ereignisse mitzuteilen, die sich aber in Wirklichkeit interpretieren, hervorbringen oder machen.«20 Falkners Pergamon Poems sind apparat-sensitive Meta-Ekphrasis in diesem Sinne. Sie stellen aus, was sonst durch Automatisierung der Wahrnehmung und durch institutionelle Wahrheitsrhetorik aus dem Blick gerät: Wahrheit wird hergestellt, Weltwahrnehmung ist subjektiv. Sie nehmen das Kunstwerk Pergamon-Fries zum ideologiedestabilisierenden Komplizen. Die Blicke springen quer über das Dargestellte, suchen sich mal einzelne Körperteile, mal Figurengruppen, mal gerade die Leerstellen: Schwenke, Schnitte und Zooms vom Ganzen aufs Teil, auf die Sprecherinstanz und wieder zurück – die Clips setzen das kongenial um. »Wo sich ein Gott in Szene setzt«1/4 ist dann durchaus auch als Selbstreferenz zu lesen: Erst der Blick macht das Objekt, es ist immer schon mise-en-scène.21 In einen solchen Quadrage-Rahmen gesetzt, werden auch große Worte in die Offenheit des Gedichts überführt – verdichtet. Statt fester Sinnbrücken: »torkeln«, »irre«, »Lust«, Kontrastästhetik, Fragment und Bruch. Wer die Clips im Netz sieht (oder bald als Werbetrailer im Kino), mag im besten Falle eine gewisse Rezeptionslenkung erfahren: als lyrisches Warnschild vor automatisierter Museumswahrnehmung für einen zukünftigen Besuch oder als nachträgliches Korrektiv – im schlechteren Falle sind sie einfach gute Werbung. ________________________ 1Freilich darf man diesem so empathisch zu erfahrenden Erlebnis nicht auf den machtdiskursiven Leim gehen: Zwar wird der Betrachter ins Zentrum gestellt und scheint alles zu überschauen; letztlich ist aber gerade dies ein Museumsraum gewordener Teil der von Michel Foucault beschriebenen modernen Machttechnologien der Disziplinierung des Subjekts: Das Medium des Panoramas ist nicht zufällig gleichzeitig mit seinem Zwilling, dem Zuchthaus-Panopticon, zur kulturellen Institution geworden: Wird bei letzterem die Überwachung der Insassen vom allsehenden Zentrum aus bewerkstelligt (sogar dann, wenn gar kein Wächter da ist), so scheint uns das totale Panorama-Bild die Wahrheit einer wiedergeholten Wahrheit zu sein.
Dem Panorama-Künstler Yadegar Asisi ist jedoch zugute zu halten, dass er auch ironisch-brechende Elemente einbaut, um die reine Illusion in ihrer Entfaltung tendenziell ein wenig zu stören: So, wenn er das bildkünstlerische Motiv des Dornausziehers, hier als pergamenischen Jungen von nebenan ›zum Leben‹ erweckt – dennoch will das Panorama insgesamt Wahrheit einer wiedergeholten Vergangenheit sein und seine Illusion vergessen machen. 2Pergamon-Panorama 3 Die eigentliche Message des Frieses ist ganz klar durch den Mythos vorgegeben: Aus der Gigantomachie werden die Götter als ordnendes Prinzip über die Giganten als Sieger hervorgehen: Kosmos besiegt letztlich Chaos – und was wäre ideologisch aufgeladener als ein Sakralbau? In der Literaturgeschichte diente die Betrachtung antiker Schätze häufig der Fundierung einer eigenen Ideologie. In der deutschen Literatur ist der Fries z.B. von Peter Weiss in seiner Ästhetik des Widerstands behandelt worden – wiederum zu ideologischen Zwecken: Die Giganten stehen dort für Proletarier, die den Kampf zwar verlieren werden, jedoch zumindest im Untergang so etwas wie eine Stimme bekommen. 4 Michael Braun zeigt, dass die »Vereinigung der Gegensätze« eine typisch Falkner'sche Dichtungstaktik ist. Ich danke ihm für die Einsicht in seinen gleichnamigen Beitrag zum entstehenden Sonderheft zu Gerhard Falkner von TEXT+KRITIK. 5 Gerhard Falkner: Über den Unwert des Gedichts, Berlin u. Weimar 1993, 9. 6 Im Übrigen haben wir es hier mit einem romantischen Verfahren zu tun, wenn verschiedene Genres ebenso wie die verschiedenen Künste in die Poesie integriert werden: Dort heißt das dann: Universalpoesie. Die Pergamon Poems sind solche universellen Texte – mit heutigen Medien verwirklicht. Wobei die Poesie hier nicht als homogenisierende Über-Gattung fungiert, sondern das Heterogene der Künste betont. 7 Gerhard Falkner hat das Cento schon einmal für einen Gedächtnistext genutzt: In Der letzte Tag der Republik werden lauter Zitate zu einem Neuen gebildet. Falkner nimmt auch dort das ›Fragmenthafte‹ seines Objekts als Ausgangspunkt des eigenen Dichtens und Denkens: In diesem Fall sogar die ›absolute Leerstelle‹: Es ist ein Gedicht über den abgerissenen Palast der Republik. Dabei geht es im Letzen Tag der Republik wie auch in den Pergamon Poems nicht darum, die Leerstelle, die die Kluft anzeigt, zu füllen, sondern darum, das kulturell vorgegebene Erinnern zu entautomatisieren und darum, die Art und Weise auszustellen, in der erinnert wird. So kommen auch im Letzten Tag der Republik verschiedene Medien zum Einsatz: Ein hoch ästhetischer Film vom Abriss des Palasts von Reynold Reynolds und ein wissenschaftlicher Essay von Moritz Holfelder samt Screenshots im Buch und englischer Übersetzung ergeben auch hier einen multimedialen Mix. 8 In der »Karyatide« beschwört Benn deren scheinbar aus ihrem statischen Steinzusammenhang heraustreten wollende Bewegtheit so: »Stürze / die Tempel vor die Sehnsucht deines Knies, / in dem der Tanz begehrt«10-12 – Falkner nimmt darauf überaus deutlich Bezug. Dirk Kretzschmar danke ich nicht nur für diesen Hinweis! 9 Mit dem Ende der Regelpoetik, so könnte man meinen, hätte sich die Poesie auch den Regeln des aptums entledigt, also der Adäquatheit der Sprechweise gegenüber dem Sprechgegenstand. Scheinbar hat sich jedoch einiges von dieser vormodernen Kunstauffassung bis in unsere Zeit gerettet: Sonst würden uns die Kontraste nicht in solch starker Weise inadäquat erscheinen. 10In der Buchversion samt DVD werden die Texte in beiden Medien präsentiert – ihre materielle Seite (runder Kunststoff in eckigem Papier) wird dadurch nur umso stärker betont. 11 Hier ( juergenhalter.com ) rezitiert jedoch der Autor seine Texte selbst, die Sprechsituation wird aber nicht explizit gemacht, die Stimme bleibt im Off – eine durchaus überzeugende Inszenierung eines poetischen, manchmal gar traumhaften Gedanken- und Imaginationsraums. 12 www.basboetcher.de 13 In der Buchvariante wird eine parallel gedruckte Übersetzung ins Englische dieses Manko, das im Moment wohl auch der intendierten Werbewirksamkeit geschuldet ist, ein wenig beheben. 14 Der hier vorgeschlagene Terminus ›Lyrik-Clip‹ scheint als Distinktionsmerkmal gegenüber den Poetry-Clips also – wenn auch auf Denglisch und etwas holprig – durchaus genauer. 15 Das Genre des Kino- und Filmgedichts hat Jan Volker Röhnert ähnlich eingeteilt: »Kino-Gedichte« behandeln schlicht das Thema Film/Kino, »filmische Gedichte« nutzen auf der Formebene filmische Verfahren, und das »Filmgedicht« ist die Synthese aus beiden (Springende Gedanken und flackernde Bilder. Lyrik im Zeitalter der Kinematographie. Blaise Cendrars – John Ashbery – Rolf Dieter Brinkmann. Göttingen 2007). Lesenswert ist auch die von ihm herausgegebene Anthologie: Die endlose Ausdehnung von Zelluloid. 100 Jahre Film und Kino im Gedicht. 16 Mit dem häufigen Aufrufen von Teil/Ganzes-Beziehungen ist sogar die Mutter der Lehren von der Interpretation, die Hermeneutik, auf dem Plan. 17 Gerhard Falkner: »Mind the gap. Über die Lücke zwischen Lyrischem Ich und Wort«, in: Gottfried Benn: Probleme der Lyrik. Späte Reden und Vorträge. Stuttgart 2011, 7-30, hier: 10. 18 Gerhard Falkner: Endogene Gedichte, Köln 2000. 19 Damit werden übrigens auch die gegensätzlichen Positionen in der Bewertung der antiken Götterkultur aufgerufen: Die Verbrämung der olympischen Gewalt zugunsten von Schönheit und Natürlichkeit der Antike (z.B. bei Winckelmann und Schiller) stand immer schon der Betonung ihrer Grausamkeit entgegen. In den Pergamon Poems werden Schönheit, Sexualität und Gewalt kombiniert. 20 Jacques Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen. Berlin 2003, 23. 21 Damit wird auch die Darstellung des Mythos auf den Friesen als Inszenierung ausgestellt. _______________________________ Stefan Schukowski studierte Komparatistik, Hispanistik und Neuere deutschen Literatur in München und Salamanca und ist derzeit Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Komparatistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Er promovierte zum Thema Gender im Gedicht. Diskursreaktivität homoerotischer Lyrik.
|
|
|
poetenladen | Blumenstraße 25 | 04155 Leipzig | Germany
|
virtueller raum für dichtung
|