„Schlagt euch die fucking europäischen Großstädte aus dem Kopf.“ Ist das nicht ein Stück nachvollziehbar? Angenommen man sitzt in einem Café in einer dieser Großstädte, um einen herum schlürfen schöne junge Menschen Latte macchiato und sprechen über ihre Kulturprojekte. Dann entdeckt man, dass der Cappuccinoschaum mit einer filigranen Blume verziert ist, und auf Nachfrage beim Kellner bekommt man zu hören, dass das seine „latte brand“ sei. Wer an diesem Punkt „Zum Kotzen!“ denkt, ist schon mittendrin in Matias Faldbakkens Trilogie, die mit Skandinavische Misanthropie untertitelt ist und deren dritter Band Unfun kürzlich bei Blumenbar erschien. Den ersten beiden Romanen The Cocka Hola Company und Macht und Rebel merkt man deutlich an, dass ihr Autor aus der bildenden Kunst kommt: Neben der vulgären Sprache wird einem schnell klar, dass es hier vor allem um die radikale Durchführung seiner stringenten Misanthropie geht und nicht darum, sich sprachlich in das Genre Roman einzuschreiben. Was man schnell als Mangel sehen könnte, erweist sich ob der Frische und Radikalität mit der Faldbakken sich in das Unternehmen stürzt als Freude am Experiment, deren Kraft die Romanlandschaft definitiv aufmischt. Größere Lust am Erzählen zeigt sich gleich zu Beginn im dritten Roman Unfun: Wo die ersten Romane direkt mit einer Penetration beginnen, die von heteronormativen Vorstellungen radikal abweichen, ist im dritten Roman eine detaillierte Raumbeschreibung vorgeschaltet, bevor in den Körper der Erzählerin eingedrungen wird. Die Penetration folgt im zweiten Kapitel mit dem Titel: Patsch. Spuck. Vier Finger. Ohne die drei Szenen, in denen Gurke, Dildo und DV-Kameras als Statisten auftreten, genauer zu beschreiben, ist eines klar: Es geht um Provokation, Grenzüberschreitung, Rebellion. – Abgeschmackt mag man sich denken: Provokation durch Sex und Gewalt. – Würde nicht die Romanfiguren genau das umtreiben: Wie entkommt man der überall in Form von Markenemblemen anwesenden Massenkultur? Simpel, Protagonist in The Cocka Hola Company, dessen Meinung über die europäischen Städte wir zu beginn hörten, formuliert es so: „… wir hatten ein paar Sachen scheiß über. Ja, eigentlich zwei Sachen. Einmal, dass die Leute die ganze verdammte Zeit übers Geld jammern, dass alles so teuer ist und dass es vorne und hinten nicht reicht und so. … Und das andere, wovon wir die Schnauzte voll hatten, das war der Rest der Welt.“ Wie man Lust und Geld zusammenbringt ist einfach: Man produziert Pornos – für und gegen den Rest der Welt. Wo Porno in der ersten Misanthropie die scheinbare Lösung gegen die abgeschmackten Werte der bürgerlichen Gesellschaft ist, stellt sich in Macht und Rebel direkt die Frage, wie man sich von der Massenkultur absetzt. Von einer postmodernen Guerilla werden im Osloer Untergrund gefälschte Nike-Schuhe verkauft, die natürlich wesentlich cooler sind als die Originale. Spätestens an dem Punkt an dem Nike sich in das Geschäft mit den Fälschungen seiner eigenen Produkte einmischt ist klar, wer der Sieger ist. Später schlägt sich eben diese Guerilla mit Einwandererkindern, die sich die Markenzeichen schlechthin auf ihre Oberkörper tätowiert haben: Hakenkreuze und SS-Runen. Und worum geht es dabei? – Ursprünglich um den Kampf gegen ein unmoralisches, nur auf Profit ausgerichtetes Unternehmen. Während der Straßenschlacht, stehen die Drahtzieher, die sich schon längst mit den angefeindeten Konzernen verbündet haben, auf einer edlen Konzerndachterrasse und genießen mit ihren minderjährigen Freundinnen im Arm die siegesgewissen Drinks. Der Sklaverei der Masse entkommt keiner und genau darauf reagiert der dritte Roman Unfun. „Slave of the system master of the flesh.“ Das ist Mbo, ein Koloss von einem Afrikaner, der in der rassistischen europäischen Gesellschaft seinen Platz eingenommen hat: Im Herzen der europäischen Kulturmetropolen, Paris, steht er mit Tinnitus und Staublunge – Folgen der Schutzbestimmungen, die nur für Weiße gelten – die Steinsäge „Tuck“ in der Hand auf der Straße und sieht angelinkste Studenten vorbeilaufen, die sich über Marxismus, das Scheitern der Linken und den wahren Fortschritt unterhalten. Bobos und Straßenarbeiter? Schwarze und Weiße? Steinsäge Tuck und schicke Lederschuhe? Die Rechnung geht auf: Im Computerspiel „Deathbox“, das der selbsternannte Gewaltintellektuelle Slaktus realisieren will, ist der Spieler nach dem Vorspann Mbo: In Egoshooterperspektive kann er mit Steinsäge Tuck in der Hand tun und lassen was er will. Wie das Computerspiel als Egoshooter anfängt, endet Unfun mit einem brutalen Gewaltakt aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Lucy… Und der Leser? Sollen wir uns nun darüber empören, dass uns als einziger Ausweg Porno, Gewalt und Nazisymbolik bleiben? Wir sehen vom Feuilleton zu den Latte-macchiato-Trinkern um uns auf, denken an Sade, Bataille, die Logik der Überschreitung und fragen uns, was das Ganze eigentlich soll. Dann, zum Schluss des dritten Romans, erinnern uns die Falschgeldberge, mit denen das letzte Blut aufgewischt wird, daran, dass Fiktion Fiktion bleibt: Und gerade deshalb sollte man Faldbakkens Trilogie lesen und voll auf die falsche Wirklichkeit spekulieren, die uns die Misanthropie gibt.
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Tilmann Severin
Prosa
GO. Projekt 60
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