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Johanna Hemkentokrax
Morgens in den Städten   –   Intro
Romanauszug

Draußen steht die Straße still. Draußen ist es fast schon dunkel. Du machst das Fenster auf, nimmst dir ein Bier aus dem Blumenkasten auf dem Fenstersims. Unten auf dem Gehweg läuft ein Hund vorbei, hält an der Laterne unter dem Fenster, schnuppert, pisst, läuft weiter. Stalin, schreit jemand aus dem Nachbarhaus. Die Stimme hallt zwischen den Häusern wider. Is hier, brüllst du. Drehst dich um. Lehnst dich mit dem Rücken ans Fensterbrett.

Kein Ende in Sicht. Warum du bleibst, weißt du selbst nicht genau. Am liebsten würdest du gehen. Obwohl du alles hinschmeißen könntest, hält dich etwas am Fensterbrett fest, nagelt deine Stiefel an den Boden. Alex liegt im Bett, das Kissen an die Brust gedrückt. Macht keine Anstalten es zu beenden, aufzustehen oder etwas anderes zu tun, als dazuliegen, dich quer durch das Zimmer hinweg anzustarren. Ihr Gesicht ist weiß und verquollen. Der Blick hat sich an dir festgeheftet. Du siehst weg, siehst dich im Zimmer um. Die nackte Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hängt, leuchtet auch die letzten Ecken aus. Deine Sachen zu packen wird nur ein paar Minuten dauern. Die Plattenkisten, der Karton mit Büchern und der Rucksack mit Klamotten. Die Bücher kannst du auch hier lassen. Mirko würde dich bestimmt mit dem Auto abholen. Du kannst schon alles zusammenräumen. Alles in die Ecke neben der Tür packen.

Der Rest der Wohnung ist voll gestopft mit Alex´ und Lenas Krempel. Schränke mit Postkarten an den Türen, Webteppiche, bunte Schalen und Schachteln, Kurkuma im Gewürzregal, Poster an jedem freien Fleck. Im Bad sagt Pippi Langstrumpf, Bildet Banden. Du hast hier sowieso nicht richtig gewohnt. Bist zwischen den ganzen Sachen verschwunden. Deine Spuren zu verwischen wird nicht lange dauern und das Zimmer bei Kralle steht seit zwei Wochen leer. Das ist nicht das Problem. Vielleicht sind es die Gegebenheiten, sagt Alex vom Bett aus, vielleicht ist es die Wohnung oder die Stadt, der Winter, vielleicht bist es du. Aha. Die Umstände, sagst du, vielleicht. Lachst, obwohl dir etwas im Hals steckt und deine Mundwinkel sich verkrampfen. Öffnest das Bier mit dem Feuerzeug. Der Kronkorken springt ab, fällt auf den Boden, rollt unter das Bett. Das Geräusch ist lauter als dein Lachen. Den Sarkasmus kannst du dir schenken, sagt Alex. Die Umstände bist du, wann kapierst du das endlich? Irgendwann holt einen alles ein. Du nimmst dich überall selbst mit hin, weißt du das? Da liegt sie falsch. Deine Sachen zu packen wird dich nur ein paar Minuten kosten. Deine Spuren zu verwischen auch nicht länger. Du bist sowieso nicht richtig hier gewesen. Sie wird sich wundern, wie schnell du weg sein kannst. Und dass du ohne sie zurechtkommst.

Das Fenster ist immer noch offen und in das kalte Zimmer kommt noch kältere Luft. Dann bin ich aber nicht mehr da, sagt Alex, wenn du´s endlich kapierst. Dann ist es zu spät. Ihre Augen sind wütend zusammengekniffen und leuchten in den Winkeln feucht. Gleich wird sie anfangen zu heulen. Aha, sagst du und schluckst. Deine Kehle schließt sich. Du bekommst kaum noch Luft und sie hat nicht mal gehört was du gesagt hast, weil draußen ein Auto vorbeigefahren ist. Was? fragt sie. Du zuckst mit den Schultern, beugst dich raus. Unten auf der Straße gehen Loschi und Kralle vorbei. Sie laufen runter Richtung Ajo, die Hände in den Taschen, die Arme wegen der Kälte an den Körper gedrückt. Loschi lacht über etwas, das Kralle sagt. Wirft den Kopf in den Nacken. Das Konzert fällt dir ein. Du reckst den Kopf weiter aus dem Fenster. Was, wenn du rufen würdest, deine Jacke, die im Flur hängt, nehmen, einfach gehen würdest. Schlimmer kann es auch nicht werden. Was jetzt kommt, hast du alles schon gehört. Neben Kralle läuft im Halbdunkel an der Hausmauer eine Gestalt mit dicken Haaren und Jeansjacke. Goa. Schnell ziehst du den Kopf zurück. Muss nicht sein. Den musst du dir heute Abend nicht geben. Weißer Lack splittert an der Unterkante des alten Rahmens, als du das Fenster schließt. Die Stückchen fallen auf den Boden. Du verteilst sie mit der Stiefelspitze, trinkst einen Schluck, setzt die Flasche ab und Schaum schießt im Flaschenhals hoch, tropft auf die Dielen, verteilt sich in den Ritzen. Wegwischen lohnt nicht. Alex schüttelt den Kopf, als du ihr die Flasche hinhältst. Wer nicht trinkt, bleibt dumm. Sie holt tief Luft. Du merkst überhaupt nichts, oder? Morgen zieh ich aus, sagst du. Sie lässt das Kissen los, knüllt es im Nacken zusammen unter den dunklen Haaren, die kurz sind und von Lena geschnitten. Das löst das Problem nicht, sagt sie, das weißt du hoffentlich. Du siehst an ihr vorbei. Starrst auf das Chiapas-Poster an der Wand neben dem Ofen, der ausgegangen ist. La Lucha Sigue! und darunter ein Zapatist mit Hassmaske und MG vor der Brust. Dahinter die Berge von Chiapas. Du hast bloß Schiss. Jetzt wird sie laut. Ihr Kinn fängt an zu zittern. Das ist dein Problem. Die Sonne geht hinter den Bergen unter. Der Zapatist verschwindet in der Dunkelheit. Du hast Schiss, oh Mann, du bist echt so einfach! Zum Kotzen! Ihre Wangen sind jetzt rot, vielleicht von der Kälte, gleich heult sie. Schneewittchen ist selbst schuld. Ihr Blick ist auf dich gerichtet, heftet dich fest. Die Zwerge ersticken daran. Besser, du wärst vorhin gegangen, aber dafür ist es zu spät. Hitze steigt in dir hoch. Ich hab kein Scheißproblem, brüllst du, was willst du denn? Weißt du, wie sich das anfühlt, wenn dir da die ganze Zeit jemand ins Ohr bläst, warum machst du dies nicht und das nicht? Du bist ein Scheißklischee, weißt du das? Das macht mich krank, echt. Warum machst du das eigentlich noch, wenn alles so schlimm ist? Du verschränkst die Arme vor der Brust. Ist doch eh nur noch beschissen krampfig. Holst Luft. Sie sieht dich an. Nimmt eine Zigarette aus der Schachtel, die neben ihr auf dem Bett liegt. Zündet sie an. Bläst den Rauch in deine Richtung. Und es wird Nacht hinter den sieben Bergen. Verzieht das Gesicht. Ihre Stimme klingt hart und betont jedes Wort. Weil vielleicht nicht jeder so abgeschrieben hat wie du. Ein paar Augenblicke lang ist es still. Ich renn dir jedenfalls nicht mehr hinterher, sagt sie dann. Mach doch was du willst. Schnell trinkst du noch einen Schluck Bier. Ein paar Tropfen rinnen dir aus dem Mundwinkel, du wischt sie mit dem Ärmel weg, schluckst. Deine Kehle ist fast wieder frei. Stellst die Flasche auf das Fensterbrett. Brauchst du auch nicht, sagst du. Ich geh Kohlen holen, morgen bin ich weg. Nimmst den Eimer, gehst aus dem Zimmer. Hinter dir schlägt die Tür mit einem Knall zu. Im dunklen Flur knarren die Dielen unter deinen Füßen, als du dich an der Wand entlang tastest. Die Stiefel zieht ihr längst nicht mehr aus.

 

Johanna Hemkentokrax    02.10.2008   
Johanna Hemkentokrax
Prosa
Reportage