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Literatur in Cafés und Kneipen

Rumbalotte continua – Berlin Prenzlauer Berg
  Reportage von Johanna Hemkentokrax | 2. Teil

Johanna Hemkentokrax besuchte für die aktuelle Ausgabe des Magazins poet (nr. 11) vier literarischen Kneipen und Cafés und hielt ihre Eindrücke in einer Reportage fest. Die Illustrationen besorgte Miriam Zedelius.

  Teil 1 – Kaffee Burger
Teil 2 – Rumbalotte continua
Teil 3 – Helheim Plagwitz
Teil 4 – Literaturweinstube Apolda

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Dämmerlicht, Zigarettenrauch, Alkohol: Plätze, an denen Menschen sich zum Trinken treffen, bereiten seit jeher die besten Böden für Literatur. Bars, Absteigen und Spelunken. Orte, nicht explizit der Kultur verschrieben – aber sie kann hier entstehen. Orte zwischen Tag und Nacht; wer sie betritt, bringt seine eigene Geschichte meist schon mit; Himmel und Hölle liegen wohl nirgendwo auf dieser Welt so dicht bei­ein­ander wie am Tresen der Stamm­kneipe. Es gibt auch Kneipen, die sich explizit der Literatur ver­schrieben haben. Die literarische Kneipe kann ein Ort für Lesungen sein, an dem man sich austauscht oder sogar schreibt. Eins ist sicher: Die Kneipe ist ein Schutzraum. Und sie ist einer der litera­rischsten Orte dieser Welt. Johanna Hemkento­krax hat sich auf eine lite­rarische Kneipentour begeben und viel Spaß gehabt.


Ein paar Straßenecken weiter im benach­barten Prenzlauer Berg verfolgt Bert Papenfuß seine eigene Vision von der litera­rischen Kneipe und ist von Kummer­falten und Hedonismus weit entfernt. In der Rumbalotte continua stehen die Türen offen. Drinnen läuft Musik, Papenfuß steht hinter der Bar, testet die Anlage für die Lesung am Abend – und hat das Inter­view ver­ges­sen. Macht nichts, ein paar Minuten mehr, um sich umzusehen und das Bild, das der Internet­auftritt der Rumbalotte zeichnet, zu korri­gieren. Die Rumbalotte continua ist Teil des Hauses der Anarchie heißt es da – ein Konstrukt (so etwas wie eine Dach­gesell­schaft nur eben ohne Dach, beste­hend aus der Rumbalotte, der Staats­galerie Prenz­lauer Berg und dem Buch­laden Straßen­schaden) wie Papenfuß später erklärt. Wer das nicht weiß, vermutet Besetzung, Abrissflair, einen Rest Nach­wende­anarchie im schicken Prenz­lau­er Berg, vielleicht. Tatsächlich unter­schei­det sich die Rumbalotte rein äußerlich wenig von anderen Szene­bars – alles ist sehr schön hier. Die roten Leder­sessel, die geschlif­fene Bar aus dunklem Holz, der Spiegel hinter der Bühne, die Bilder an der Wand (»Wir haben das so übernommen, wir hatten kein Geld und keine Zeit hier alles innerhalb von 14 Tagen nieder­zu­reißen«).
  Neben einem Fenster hängt ein gerahmtes Motör­head­poster. Irgend­wie sehen sie sich doch ein bisschen ähnlich, Rock'n-Roll-Legende Lemmy Kilmister und Bert Papenfuß. Papenfuß hinter der Bar, Kilmister an der Wand: Papen­fuß eine Berliner Lyrik­legende – auch Rock’n Roll, nur eben lite­rarisch – prägt den Lite­ratur­unter­grund der Haupt­stadt konse­quent und seit Jahr­zehnten. Dass er sich dabei nicht um Trends schert und die Yuppisierung des Viertels irgendwie an ihm abzu­perlen scheint, macht die Idee der Rumbalotte noch sympa­thischer. In der Kneipe Torpe­dokäfer hat Papen­fuß 1994 zusammen mit Stefan Döring zum ersten Mal das Konzept Kneipe und Lite­ratur aus­pro­biert, erzählt er, setzt sich und zündet sich die erste (von vielen) Zigaretten an. Zusammen grün­deten sie auch die Zeit­schrift Sklaven, die befreundete Autoren aus den 70er, 80er Jahren mit neuen Stimmen des litera­rischen Unter­grunds zusam­men­brachte. Im Torpedo­käfer fanden Lesungen statt. Hier trafen sich Autoren, Verleger von unab­hän­gigen Kleinst­ver­lagen und Zeit­schriften­heraus­geber. Als es dort nicht weiterging, hat Papenfuß viel aus­probiert, andere Lese­reihen in anderen Kneipen, unge­zählte Magazine, Zeit­schriften, Projekte. Mal mehr, mal weniger schräg, doch immer politisch. Allein, in der Gruppe, im eigenen Verlag. Das Tra­ditions­lokal Kaffee Burger hat er auch mal mit­betrie­ben, aber als Berlin Mitte dann Szene wurde und die Lesungen immer mehr zu Partys, ist er aus­gestiegen. »Die Gentri­fizierung hat mächtig zuge­schla­gen«, sagt Papenfuß. »Es war dann eher ein Amüsier­schuppen.« Eigent­lich habe er mit dem Geld durch den Verkauf erstmal Pause machen wollen. »Nach zwei Jahren habe ich mir dann gedacht, eigent­lich gibt es gar keinen Ort mehr für so eine Art Literatur. Subkultur oder Under­ground in Anfüh­rungs­strichen.«

Stillstand ist bei jemandem wie Bert Papen­fuß nur für begrenzte Zeit möglich. Seit September 2010 betreibt er nun die Rumbalotte continua (hinter dem Namen verbirgt sich, wen wundert's, ein anstößiger Seemanns­witz und eine gleich­namige Buchreihe von Papenfuß). Die Rumbalotte ist fast eine Art Reser­vat, in dem die Tradition der literarischen Kneipe lebendiger ist denn je. »Wir wollten, dass das hier stattfindet«, sagt Papenfuß, drückt eine Ziga­rette im Aschen­becher aus und zieht schon die nächste aus der Packung. »Hier in dieser Region. Die Idee war schon, uns in dieser Gegend zu behaupten.« Nur 500 Meter entfernt liegt die Szenemeile Kastanien­allee (»Ich komm da selten hin, aber da sind ja auch noch ein paar gute Läden«). »Es gibt trotz der Fluk­tuation noch Leute, die hier leben und diese Art von Literatur zu schätzen wissen.« Diese Art von Literatur ist die Art von Lite­ratur, die das Programm der Rumba­lotte aus­macht. In Richtung Sprach­experi­ment, Sprach­kritik und Under­ground, auch oft politisch moti­viert gehe das Programm. Es sei schwer, kritische, wider­ständige, aber trotz­dem boden­ständige und poli­tische Lite­ratur zu um­schreiben, sagt Papenfuß. Die so genannte Prenz­lauer Berg Connection ist auch zer­fallen. Unter­grund scheitert oft am Konsens. Sozial­kritik ist der kleinste gemein­same Nenner. Sub­kultur ein großes Wort und auch das Falsche, sagt Papenfuß.

Das Programm der Rumbalotte geht deshalb darüber hinaus. Das Lauter-Niemand-Lite­ratur­labor findet hier auch sonntags statt. »Was mir nicht so lieb ist, sind Lese­bühnen. Was so in die Richtung Kaba­rett geht, das möchte ich nicht so gern hier haben«, sagt Papenfuß. »Es muss schon rocken«, sagt er nach­denk­lich, »ich versuch die Lite­ratur zu finden, die rockt.« Nach­mittags kommen Leute und arbeiten hier, teilweise sind das dieselben Autoren, die abends lesen. Es gibt Internet, einen Drucker, (»Ich selbst schreib eigent­lich überall«, kommen­tiert Papenfuß. »Mir egal ob ich vor oder hinter dem Tresen sitze. Für mich wär eigentlich Gefängnis ideal«, er lacht, »aber das würde mir eben nicht passen.«) Die Zei­tung Prenz­lauer Berg Kon­nektör liegt aus. Die Rumbalotte ist ein Ort, an dem Lite­ratur nicht nur auf die Bühne kommt, sondern auch entstehen kann. »Ich glaube, dass sich da auch in den letzten 100 Jahren wenig geändert hat«, sagt Papenfuß. »Literatur, Unter­grund und Kneipe habe schon immer zu­sammen­gehört. Da hat sich im Prinzip wenig dran geändert«. Jeden­falls nicht in der Rumbalotte continua. Es gibt wohl kaum einen geeig­neteren Ort für diese Art von Literatur. Außer einem Haufen Lite­ratur­zeit­schriften, schrägen Fanzines und Lyrik­antho­logien aller Art kann man noch ein paar Er­kennt­nisse mit nach Hause nehmen: Es gibt sie noch, die künst­lerische Sub­version. Sie muss nicht im Abbruch behei­matet sein und lite­rarischer Rock'n Roll geht auch im Prenzlauer Berg noch ganz gut.



 

Diese Reportage
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zum Thema in poet nr. 11.





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Johanna Hemkentokrax    16.12.2011     

 

 
Johanna Hemkentokrax
Prosa
Reportage