Bei Angehörigen meiner wie auch der nachfolgenden Generation weckt der Name Bydlinski schöne Kindheitserinnerungen. Schließlich war es dieser Autor, von dem man gelernt hat, dass man „Lama“ auf „Pyjama“ reimen kann, dass jedes Ding, und sei es noch so unscheinbar, träumen kann und dass Freunde eigentlich immer wichtig sind. Unrettbar erwachsen geworden, verlieren viele, allzu viele den Zugang zur Poesie und lesen keine Gedichte mehr. Die Poesie erscheint ihnen wie ein verschlossenes Zimmer. Sie stehen vor den Türen zu diesem Zimmer – es sind ihrer viele – und können keine einzige davon öffnen, da sie sämtliche Schlüssel verloren haben Kein Wunder, dass auch jemand wie Georg Bydlinski den meisten Menschen, die ihn als Kinder gelesen haben, heute, da sie erwachsen sind, unzugänglich geworden ist. Von seiner Lyrik für Erwachsene jedenfalls weiß, wie mir scheint, nur ein vergleichsweise kleiner Kreis von Fachleuten und passionierten Leserinnen und Lesern. Darüber hinaus teilt er das Los nahezu aller vielseitigen Autoren –: seine Zeitgenossen, zur Vereinfachung erzogen, suchen sich eine Seite aus und ignorieren, so gut es geht, alle anderen. Vielseitig war er bereits mit 25, als Debütant. Weder hat er sich, wie dies gar nicht selten geschieht, nach jahrelanger Produktion von „schöner Literatur“ auf das Kinderbuchschreiben verlegt noch umgekehrt mit Kinderliteratur begonnen, um dann irgendwann „höher hinaus“ zu wollen, sondern von Anfang an beide Felder bestellt: jenes für Kinder jenes für Erwachsene, und beiden bis zum heutigen Tag die gleiche Bedeutung zugemessen und die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet. Das hat nicht nur Kinderbucherfolge wie „Der Zapperdockel und der Wock“ gezeitigt, sondern auch ein umfangreiches, vielschichtiges poetisches Werk. In seiner beeindruckenden Spannweite reicht es von religiöser Lyrik („Distelblüte“, 1981) bis zu politisch-zeitkritischen Stenogrammen, wie sie der Band „Im Halblicht“ von 1991 enthält. Manches in diesem Werk ist Variation, nichts jedoch Wiederholung. Wer so wie er früh bereits eine eigene lyrische Gangart gefunden hat, muss sich nicht jedes Jahr – oder jeden Bücherherbst – neu erfinden, kann es sich erlauben, nach und nach neues Terrain zu betreten, ohne dort gleich aus dem Schritt zu kommen und sich selbst aus den Augen zu verlieren. Was Verlage anbetrifft, war Bydlinski, der Lyriker, nicht gerade vom Glück verfolgt. Als der altehrwürdige Herder-Verlag sich aus Wien – und damit auch aus der Belletristik – zurückzog, verlor er seine bis heute vielleicht wichtigste Heimstätte. Eine zweite Heimat fand er, nach einem kurzen Intermezzo mit dem Band „Wintergras“, 1995, in der Edition Umbruch, einem Mödlinger Autorenverlag, an dessen Gründung und Aufbau er beteiligt gewesen war, schließlich in der Wiener Edition Atelier, wo man lange Zeit für Lyrik nicht nur ein offenes Ohr, sondern auch viel Platz im Verlagsprogramm übrig hatte. Seit Jahr und Tag jedoch macht dieser Verlag ernsthafte Anstalten, sich aufzulösen und von der Bildfläche zu verschwinden, und infolgedessen sah sich Bydlinski neuerdings gezwungen, auf Herbergssuche zu gehen. Fündig wurde er im Rheinischen, in Boppard, wo Martin Ebbertz seine kleine, aber feine Edition Razamba betreibt. Dort ist nun, drei Jahre nach seiner „Schattenschaukel“ ein neuer Gedichtband erschienen, in den mit Bedacht und in strenger Auswahl viel Altes, Vergriffenes aufgenommen wurde – insgesamt sind es, wie schon der Untertitel verrät, 60 Gedichte aus dreißig Jahren, chronologisch gereiht –, eine Publikation, die sich zweifellos gut dazu eignet, mit der Sprache und Bilderwelt dieses Autors nicht nur erste Bekanntschaft zu machen, sondern auch gleich Freundschaft zu schließen. So gut wie alle zentralen Gruppen und Partien seiner Lyrik lassen sich darin wiederfinden. Da ist einmal die Gruppe der, wie ich sie nennen möchte, „Haus- & Familiengedichte“, die den familiären Alltag einfangen und reflektieren und von großer, inniger Zuwendung und Zuneigung geprägt und getragen sind (z.B.: Für ein Kind, Sohn, Schatten – Für Birgit, Christian im Schnee, Krank sein, Abfahrt zum Schulschikurs); sodann die lyrischen Mitbringsel von Reisen, insbesondere von den vielen Lesereisen, die Bydlinski jahraus jahrein, mit dem Gitarrenkoffer und einem Koffer voller Bücher in der Hand, landauf und landab, von Schule zu Schule unternimmt (z.B.: Fahrtspiele; Kohelet auf dem Kölner Dom; Hartberg, Hotel Sonne); des Weiteren eine Gruppe von Gedichten, die ich als „Einübungen in die Stille, in das gestillte, gesättigte Schauen“ bezeichnen möchte (z.B.: Elementar, Im Dunkeln, Lichteinfall, Nature vivante, Mündung, Leuchtkäfer,Septembertag) und schließlich Reflexionen über das eigene Schreiben, in denen der enge, der intuitiv erahnte und erfasste Zusammenhang von Text und Welt, von Silbe und Samenkorn, Atem und Brandung, Herzschlag und Stundenschlag thematisiert wird. Besonders exemplarisch hierfür ist das Gedicht „Metrik“: Das rhythmische Klappern Bydlinski scheut, wie sich an diesem, aber auch an vielen anderen Beispielen zeigt, keineswegs davor zurück, die Dinge, selbst die alltäglichsten, bei ihren Namen zu nennen und deutlich zu werden, doch wird er deshalb niemals plakativ. Seine Texte sind leicht zugänglich, sind einfach, aber niemals simpel. Seine Hauptarbeit, sein Tagewerk als Dichter besteht im Wesentlichen darin, „einen Blick“ zu suchen, „der frisch bleibt / und alles verbindet“ (wie es in einem Gedicht des hier bereits erwähnten Bandes „Wintergras“ heißt), inmitten des größten Lärms die Stille zu ernten, sie einzubringen in die Scheuer des Gedichts und dabei Schauen, Sprechen und Schweigen immer wieder und wieder neu zu erlernen.
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Christian Teissl
Lyrik
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