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Carl-Christian Elze: gänge
Christian Kreis: Nichtverrottbare Abfälle

Nichtverrottbare Jenseitspiloten

Kritik
Carl-Christian Elze  | gänge
  Carl-Christian Elze
gänge
Gedichte
Connewitzer Verlagsbuchhandlung 2009


„gänge“ von Carl-Christian Elze, sein zweiter Gedichtband, beginnt mit einem „Aufgang“, genau genommen mit einem Aufstieg in höchste Höhen, mit einem Flug: „wenn menschen fliegen, ist das kein fliegen, // wenn vögel fliegen, ist das kein fliegen // fliegen ist gar nicht zu spüren auf erden“. Von einem Hauch eschatologischer Fragen gestreift, blickt das lyrische Ich ins Leere: „fliegen gibt's noch gar nicht hier.“ Es sind die großen Fragen, die Elze aufrollt und er rollt sie mit einer Luzidität auf, wie sie sonst nur Kinderaugen aufbringen („beide lungenflügel klappen auf // klappklapp wie ein wolf […] was ich euch bringe, ist fleisch // aus eurem fleisch: ein dicker hund.“).

Die Diminutive, das sind Elzes Verbeuger vor der Schöpfung, das ist seine Kleinschrift. Tiermetaphern, Wölfe, Lämmer, Viehzeug, daneben irgendwo ein Mensch. Es ist die elende Resignation vor dem Tod, eine Resignation, mit der zugleich alle Wunder der Schöpfung hinterfragt sind. Der Falle des Zynismus sogerade entkommen, ist es eine feierliche zelebrierte Ironie (Religiösität?), die das junge lyrische Ich vor den Depressionen rettet. Wer redet wahr? Es sind die Kinder, die Greisen und Wirren. Carl Elze gelingt es offenbar spielend, derlei Anteile anzuzapfen, etwa wenn es heißt: „sitze im flieger & schreibe, ein löffel // für mama, ein löffel für papa, versteht sich // den alten jenseitspiloten.“ Wieder das Ringen um den ständigen Verlust, die Sehnsucht nach verlustigen Personen. Erst ein Lachkrampf verschafft Abhilfe: „zum beispiel kommt so ein kabinenmädchen & sagt // bitte schnallen! Schon muss ich fast unanständig völlig kräfteraubend LOS­WIEHERN! Oder anders, der kapitän // telefoniert mit uns, was der kapitän macht. // ich könnte kinder kriegen, so press ich.“

Mit grossem Risiko wird hier geflogen, immer kurz am Abgrund der Albernheiten entlang, ein mutig-sarkastischer Flug ist es, ein veritabler Kunstflug. Anklänge an Kinder- und Wiegen- und religiöse Erbauungslieder allerorten, so auch beim Betrachten eines Bildes in „manhattan“: „auf- // geklafft die avenue, das gold // geht durch den augenschacht // & jeder blick hat himmelklein. // ist es ein brunnen & am grund ein ausgesetztes tier, kadaver- // glanz, ein langes messer // geruch nach lamm, nach wolf? // ist alles pelz, falsche befehle? // was ist es, freund - wo sind wir?“ Vielleicht weiß Benn, der alte Zyniker, einen Ausweg? Ein Besuch in der „bozener straße, schöneberg“ soll Klarheit bringen: „im kühlen treppenhaus: passable leichentemperatur.“ Und doch, „da hängt ja schon ein blauer schimmer in den ritzen. // wer ich bin, ich weiß nicht wer, ich bin so sehr vernetzt. // kommt ein dicker engel mit lider auf halbmast um die ecke // zum sitzen.“

Ein Witz, halb angefangen, die Pointe versandet, bleibt im Halse stecken und trotzdem ist Herr Elze vor allem eins: einer der größten und besten Witze- und Geschichtenerzähler der neueren deutschen Lyrik.
Kritik
Christian Kreis | Nichtverrottbare Abfälle
  Christian Kreis
Nichtverrottbare Abfälle
Gedichte
Mit Aquarellen von Ulrike Großwendt
Mitteldeutscher Verlag 2008

Kritik im Poetenladen von Tobias Amslinger



Als ähnlich unverrottbar erweisen sich die Produkte von Christian Kreis. Seine „Nichtverrottbaren Abfälle“, erschienen im Mitteldeutschen Verlag (wo auch Elzes lesenswertes Debüt publiziert ist), umweht eine trashig, kämpferische Aura. Hier geht es derb zur Sache, so in „Dialektik“: „Des Morgens lese ich Adorno // Ich bin ein Mensch im Widerspruch // Denn abends schau ich einen Porno // Und wichse in mein Taschentuch.“

Ist doch banal so was, höre ich schon die ersten Zweifler monieren. Sicher, es ist banal, aber gesagt werden musste es. Was machen die Dichter den Rest des Tages? Sie schauen den ganzen Morgen Big Brother, abends lassen sie sich von Peter Zwegat in fremde Haushalte entführen und nebenbei wird hehre Literatur konsumiert oder gar produziert. Am Ende gar alles ähnlich sinnvolle Beschäftigungen?

Ein Rocker ist Kreis, speziell dann, wenn er seine „Brechtjacke“ anhat, „Sie stinkt nach Zigarre // Und Übermut“. Dieser Übermut, er ist bekanntlich nicht selten in der neuesten jungen Lyrik. Selten allerdings ist er gepaart mit soviel dreistem Humor. Doch auch hinter der postpubertären Fassade verkriecht sich ein sensible lyrisches Ich: „Mich einmal an dir gelabt // hätte ich wohl gern. // Aber du hast mich abgeblitzt // und alles wie gehabt.“ Kreis brilliert in der kurzen Form, den Schalk im Nacken (und mit Wedekind als Werbetexter), legt er los. So in „Schleichwerbung“: Als die Samen kamen // Gab es Lakendramen // Später kamen Damen // Die mich auch mal nahmen // Sollte ich erlahmen // Stärkt mich Staropramen.“ Dem bleibt nichts mehr hinzuzufügen.
Daniel Ketteler     12.06.2009   
 
Daniel Ketteler
Lyrik