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Adolf Endler | Peter Rühmkorf
Krähenüberkrächzte Rolltreppe | Paradiesvogelschiß

Krähenüberkrächzter Paradiesvogelschiß

Peter Rühmkorf und Adolf Endler melden sich mit zwei grandiosen Gedichtbänden zu Wort

Peter Rühmkorf | Paradiesvogelschiß
Peter Rühmkorf
Paradiesvogelschiß
Gedichte
Rowohlt, 2008
Betrachtet man das oft verkrampfte und artifizielle Treiben der jungen Lyrikergeneration und nimmt dann einen Band wie die Krähenüberkrächzte Rolltreppe von Adolf Endler oder den jüngst erschienenen Paradiesvogelschiß Peter Rühmkorfs zur Hand wird klar: Narrenfreiheit, das ist nicht nur etwas fürs Altenteil. Angst vor der zwielichtig krummen Formulierung? Angst vorm überall lauernden Kalauer? Verbeugung vor dem politisch korrekten, vor dem Feuilletonopportunen? Oder bildungsbürgerlich aufgepimpte Hirnforschungslyrik? Nichts davon.

Aus den Bänden beider Lyriker atmet buntes Leben, bei Endler ist es im Unterschied zu Rühmkorf ein Best-of seines Schaffens, aber auch Rühmkorfs lyrischer Reigen fügt sich nahtlos in eine lebenslange Schaffenstradition.

Bei beiden Lyrikern ist die Ursuppe der eigenen Kreativität gegen jede gekünstelte Versjonglage gerichtet, der Dichter mit dem spitzen Bleistift, der sog. »poeta doctus«, bekommt eine (selbst-)ironische Zuckerung, denn, so ist bei Rühmkorf zu lesen: »poeta doctus / Er war ein Dichter vom Schuh bis zum Scheitel / mit Bildung gefüllt / wie ein Staubsaugerbeutel.«

Klar wird, Bildung und Dichtung befruchten sich, dies aber nur unter Ausschaltung höherer Instanzen, denn »Ich kannte mal eine Unschuld vom Lande, / die war praktisch zu gar nichts im Stande, / außer zu fressen, zu trinken, zu lachen / und noch ein paar weiteren Sachen.«

Also Machismus in Reinform? Viagra oder freundliches Omnipotenzgebahren eines Grand senior der lyrischen Volksmusik? Gerade dann, wenn die eigene Lebensflamme langsam weicht, wird hier die gewohnt uneitle, bisweilen einfache Sprache messerscharf eingesetzt, Kalauerklaps inbegriffen. Die Herren lassen es also noch einmal krachen, und zwar in bewährtem Hedonismus.

Dann plötzlich das drohende Verscheiden, Damoklesschwert, »Ansteckende(s) Pfeifen«: »Nach einem Tal, so tief, so tief, / daß ich wirklich geglaubt hab, / hier wär kein Rauskommen mehr – / Und es hat mich sogar noch gejuckt, vor meine Mitmenschen hinzutreten: / Sterbliche ! / Wenn Sie bittemal meinen ausgetrockneten Zeigefinger / folgen wollen, objektiv, was sehn Sie? / Na, ich will es nicht gerade schwieriger machen, / als es ist: / DIE GRUBE – «.

Das ansteckende Pfeifen, jenes auskultatorische oder bereits mit bloßem Ohr hörbare Pfeifen, Giemen und Brummen, z. B. im Rahmen einer Lungenentzündung, korrespondiert hier mit der Todesverdrängung des lyrischen Ichs und dem seiner Leserschaft, lakonisch wird alles auf ein Wort zusammengedampft, reimlos und hart heißt es: »DIE GRUBE – «, wohlgemerkt mit offenem Gedankenstrich. Der Dichter also, wie immer besoffen und alle Antworten offen? Das lyrische Ich, soviel ist klar, pfeift aus einem wie auch immer gearteten letzten Loch, wobei dieses schonungslose Selbstbekenntnis den Leser an dieser Stelle betroffen zurücklässt. Ein Erfolgsdichter lässt sein Leben Revue passieren und fragt nach seiner postumen Bedeutung: »Und es zog mir siedend durch den Sinn, / daß es, um nur einen Schein von frühem Glanz zu wahren, / mehr bedarf, als im getunten / FIAT-Ritmo aufzufahren: / Gas – Und durch! – Und vorwärts mit Gewinn.«

Hier drückt jemand auf die Fiat-Rhythmus-Tube und fordert dies auch von den jungen Kollegen ein, denn »Sag, wie hältst du's mit der Gegenwart!? / Siehe Kant: Was kann ich wissen? / Soll ich tun? / Was darf ich hoffen? / Wo das Publikum schon ungeduldig / hörbar mit den Wanderstiefeln scharrt.«

Nur sehr wenige Dichter der aktuellen Lyrikergeneration schaffen es, so viel Welthaltigkeit und Introspektion aufeinanderprallen zu lassen.*

Adolf Endler | Krähenüberkrächzte Rolltreppe
Adolf Endler
Krähenüberkrächzte Rolltreppe
Gedichte
Göttingen: Wallstein 2007

Adolf Endler kommt auf dem ersten Blick etwas sperriger um die Ecke, nicht derart eingängig sind seine Texte und darum vielleicht auch letztlich ein stückweit differenzierter. Auch hier trifft Burleskes auf feine Melancholie: »VIELLEICHT IM FRÜHLING - ein lila Dunst / Spielt mit den Konturen der Blätter: / –, Noch das Stündchen, Tod! Dann probier deine Kunst!' / –‚ Nein, auch du schreibst in jedem Wetter!'«

Auch hier ringt das lyrische Ich (das Gedicht stammt aus dem Jahre 1962!) seiner Vergänglichkeit jeden Buchstaben ab, auch hier fallen lyrische Späne, dies bei Wind und Wetter, denn »Ich schreib mürrisch mein Leben und werd es nicht leid, / Ein dickes, ein dünnes Buch?«

Nicht nur in der »EINSENDUNG ZUM SCHLAGERWETTBEWERB« lässt sich, wie bei Rühmkorf, ein Liedcharakter ausmachen, auch in »MEIN HERZ DREHT SICH BASS / Draußen geht etwas […] Mein Herz ist schnapsversengt / Mein Fenster ist verhangen« wirken die Melodien nach, wobei, im Gegensatz zu Rühmkorf, die harmonische Schlusspointe in einer brutalen Dissonanz ausklingt. Dies ist hier durchaus Programm, nicht zuletzt damit das Gedicht nicht zu glatt den Leserschlund herabglitschen kann, trägt es Widerhaken, denn »Mein Vers hat ein scharfes Ende / Und nicht Einer für ihn Fand [sic!] die Noten«.

Sperriger Duktus, orthographische Irritation als Kalkül, Moment des Verharrens, Innehaltens. So auch in »MIT SECHSUNDSIEBZIG«: »Ach, die Jahre kürzer und kürzer / Wie länger die Straße, die Straße – «.

Auch hier, wie schon bei Rühmkorf, ein ins Leere endender Gedankenstrich, kein weises Zurückblicken, keine selbstzufriedene Nostalgie sondern inflationäre Zunahme offener Fragen und neuer Technologien. Entgegen einer rein-selbstverliebten Sprachmontage folgt dann als finaler Paukenschlag der politische Schock, und zwar in »ENDLERS BLOG«: »Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose / Und Auschwitz ist Auschwitz ist Auschwitz ist / Auschwitz«.

Was bleibt zu sagen: Junge Autoren, befragt nicht lang die Horen, lest diese Alten und – werdet (neu) geboren!
* An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich auf die Lyrik Carl-Christian Elzes und Christoph Wenzels hinweisen, welche, zuletzt in wunderbaren poetologischen Aufsätzen, Krankheit und Tod sowie hiermit verbundene Ängste als Motor für lyrische Sublimationen herausarbeiten (In: Hermetisch offen. Eine Sonderausgabe der intendenzen in der Bibliothek Belletristik. Hrsg. von Ron Winkler, 2008, S. 60-72).

Daniel Ketteler     31.03.2008    

Daniel Ketteler
Lyrik