Dieter M. Gräf
FELTRINELLI SCHENKT ZUR HOCHZEIT
EINEN ASCHENBECHER
„und scheitern, ja, das bringts in diesem leben“
Th. Kling, Leopardi: L'Infinito / Das Unendliche
einen so großorange tischfüllenden Aschenbecher
schenkt Giangiacomo Feltrinelli zur Hochzeit
von Renate und Walter Höllerer, als wollten sich
alle darin ausdrücken, Asche im Design sein:
hier sind die Toten, noch bevor die Schüsse fallen.
Auf einem der schönen Sessel liegt, achtlos
hingeworfen, der Gurt mit der daran angehängten
riesigen Pistole. Nun in Havanna, in einer
kleinen Wohnung von siebzig, achtzig Quadrat
metern, sie gehört Fidel Castro. Quasselt
wie ein Buch, so dass es nie zustande kommt, und
Inge, nunmehr la Feltrinelli, fotografiert ihn
im Pyjama, den er bestimmt heute noch gern trägt.
Giangiacomo trug zwei Häute und sah seltsam
aus, als es ihm endlich gelungen war, sie loszuwerden.
Lief dann über Wiesen, die Zähne verkamen ihm,
getrocknete Hülsenfrüchte machte er nutzbar, indem
er zeigte, dass sie ihr Volumen in Wasser
vergrößern, so dass ein Metallplättchen nach oben
gedrückt werden kann, einen Zündmechanismus
auslösend; mische chlorsaure Kaliumtabletten aus
der Apotheke und Puderzucker oder flüssiges
Paraffin und Sägemehl, kombiniert mit Schnitzeln
von Waschseife. Der Verlag war fauve geworden,
kadmiumgelb, dunkelgrün, signalrot. Er grub sich
allmählich weg, noch konnte man ihn an
nikotinfarbenen Fingern erkennen, den Geldspritzen,
doch ist es gemein, zu sagen, dass das Grundstück
ihm gehört habe, auf dem er einen Hochspannungsmast
sprengen wollte und selbst in die Luft flog.
Es ist nicht leicht, nach unten zu kommen, und
nicht sinnlos, aber keiner sieht gut dabei aus.
Er griff zu Patronen, verchromt und glänzend, die
Rundung von intensiv leuchtender Farbe. Ich
bat ihn darum, mir eine zu schenken (Morucci).
Der Aschenbecher befindet sich nach vierzig
Jahren noch immer in Berlin-Charlottenburg, in
der Heerstraße, nun auf dem Boden, wie ein
Hundenapf, der nie seinen Hund sah. Briefmarken
wurden hier abgelegt, Expressaufkleber, auch
das schöne Sachen, die bald keiner mehr braucht.
Aus: Buch Vier, Frankfurter Verlagsanstalt 2008
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Dieter M. Gräf
Lyrik
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