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Walter Klier
Leutnant Pepi zieht in den Krieg

Das Tagebuch des Josef Prochaska

  Kritik
  Walter Klier
Leutnant Pepi zieht in den Krieg:
Das Tagebuch des Josef Prochaska
Roman
überarbeitete Neuauflage
Limbus TB, Innsbruck 2014
560 Seiten, 14.90 Euro



Josef Prochaska, 1914 ausgezogen in den später so genannten Ersten Weltkrieg und 1918 gesund, wenngleich nicht unverwundet, heimgekehrt, war der Großvater des öster­reichi­schen Autors Walter Klier. Seine Tage­bücher und Feld­postbriefe stehen im Zentrum von Kliers Roman „Leutnant Pepi zieht in den Krieg“, ein Titel, dessen fröhliche Harm­losig­keit nur über die ersten Monate nach der Einbe­rufung des jungen Offiziers etwas aussagt. Auch die Bezeich­nung „Roman“ scheint nicht ganz stimmig. Eher läuft Kliers lite­rarische Methode auf die kakanische Variante von Walter Kempows­kis „Echolot“ hinaus. Mit dem Unter­schied freilich, dass Kempowskis „Lieferanten“ keine Schrift­steller waren, Klier aber in seinem Groß­vater einen ver­kappten Dichter entdeckte.
  Nur insofern ist es denn auch vermessen, Kliers Publikation mit Kempowskis auf jahre­langer Sammeltätig­keit basierenden Collagen zu vergleichen, die gleich­berech­tigt alles in den Blick nahmen, was sich im Unter­suchungs-Zeitraum – für den deut­schen Autor waren das vier Tage am Ende des zweiten Welt­kriegs – in seinem Archiv befand. Klier arbei­tete anders: Von vorn­herein hegte er nicht den Anspruch, eine ganze Epoche sicht­bar zu machen. Das bedeutet aber keines­wegs, dass er nicht gleich­falls an der bestür­zenden Ungleichzeitigkeit von öffent­lichem und privatem Leben in der Zeit des unter­gehen­den Habs­burger­reiches interes­siert gewesen wäre: zwi­schen Pepis Erleb­nissen tauchen immer wieder Zeitungs­mel­dungen, General­stabs­berichte und Lexikon­einträge auf. Deren Ver­knüpfung betreibt Klier – Heraus­geber und Autor in einer Person – aller­dings so kunst­voll wie diskret.
  „Bis jetzt ist der Krieg ganz lustig“, schreibt Pepi seinem Vater, einem ver­wit­weten Fors­trat nach Innsbruck, auf seiner ersten Post­karte. Und er be­wahrt auch noch lange Gleich­mut, der gar nicht einmal so hurra-patrio­tisch ge­sinnte Pro­chaska, der im zivi­len Leben Jurist, Klavier­spieler, Fotograf, Ski­fahrer und Opern­lieb­haber ist. Auch in den vielen Schüt­zen­gräben, in denen er sich „häuslich“ ein­richten muss, will er seine zivile Existenz nicht aufgeben. Und den ersten Schock – den Tod seines eben­falls einbe­rufenen Bruders – steckt er noch halb­wegs „mann­haft“ weg. Dann aber wird er all­mählich doch zermürbt an der „Ostfront“, in Galizien, wo er zweimal ver­wundet wird, und später, an der „Südfront“, im Stellungs­krieg gegen die Italiener, wo er in den Tausender-Höhen der Dolomiten nicht nur „den Feind“, sondern vor allem Lawinen, Frost und seine immer wieder aus­brechende Schwermut bekämpfen muss.

Der Krieg und die Literatur: sie sind ein heikles Kapitel. Kriegs­hand­lungen in Worte zu fassen, ist schwierig: Ernst Jünger hat es versucht, in seinem immer wieder über­arbei­teten Tagebuch „In Stahl­gewittern“ schildert er vor allem sich selbst als Helden in kühl-elitärer Attitude und lässt sich nie in die privaten Karten blicken. Erich Maria Remarque schrieb seinen Best­seller „Im Westen nichts Neues“ immerhin aus Sicht der einfachen Soldaten, hat aber nie selbst an Kampf­hand­lungen teil­genommen. Und Karl Kraus betrieb in seinem gigan­tischen Werk „Die letzten Tage der Menschheit“ Sprachkritik mit Hilfe von Zitaten und geißelt die Presse als die eigentliche Urheberin des Ersten Weltkriegs.

Dass auch Klier bald ganz auf die Unverfälschtheit der Tagebücher vertraute, anstatt sie als besser­wisseri­scher Nach­gebo­rener nur auszubeuten, lag gewiss an Leutnant Pepis überwäl­tigend sanftem Charisma. Und der Sog, in den auch der Leser gerät, gibt Klier recht: hätte er sich doch sonst kaum getraut, aus seinem Großvater einen derart sympathi­schen und im Grunde bruch­losen fik­tiven Helden zu gestal­ten. Zu­nehmend wächst dieser einem denn auch ans Herz: weil er sich selbst nicht wichtig nimmt und dennoch so tapfer seine zivilen Tugenden verteidigt. So lässt er sich seinen Malkasten schicken, liebt seinen rumä­nischen Burschen, küsst seinem „lieben Papa“ am Ende seiner Briefe die Hand, lernt Rumänisch und Ungarisch, damit er sich in der vielsprachigen Armee, in der er dient, adäquat ver­ständigen kann. Und bittet immer wieder dringend um Süßigkeiten, so als ob er nur damit den bitteren Geschmack auf seiner Zunge hätte ver­treiben können.

In jenen Blutrausch, den Jünger so analytisch beschreibt, gerät er nie. Aber auch Zweifel erlaubt er sich keine, nicht solche jedenfalls, die über harmlose Kritik an der Trägheit seiner Vorge­setzten hinausgehen. Pepi bleibt brav, so brav wie sich in Thomas Manns „Zauberberg“ Hans Castorp seinen Vetter Joachim imaginiert hat, der stets in den Krieg ziehen wollte und dann doch „als Soldat und brav“ im Bett sterben musste. Aus der Tatsache, dass Prochaska der Tod von Kaiser Franz Josef keine drei Sätze wert ist, lässt sich jedenfalls nicht schließen, dass er den Untergang der Monarchie herbeigesehnt hätte.

Pepi interessiert sich nicht für Politik. Aber er beschreibt den Krieg. Mitsamt den Läu­sen, dem Durch­fall, den zerstörten Dörfern, den zer­fetzten Leichen und neben ihm ein­schla­genden Kugeln. Drastisch, mit hoher sprach­licher Präzision. Manchmal schwärmt er seitenlang von der Ein­sam­keit galizischer Urwälder und deren pflanz­licher Vielfalt. Er stößt auf Urwelt­funde, notiert, katalo­gisiert. Schil­dert das Elms­feuer im Hoch­gebirge, ein sehr selten vor­kommendes elek­tro­magne­ti­sches Phänomen, das die Welt in bläu­liche Strah­lung versetzt. Und er doku­mentiert sein gefähr­detes Leben durch Fotos, viel­leicht weil er meint, dass Sprache nicht ausreicht, um vom Krieg zu berichten. Wobei dies nicht stimmt. Pepis Notate sind viel klarer als alles, was von seinen Fotos übrig­blieb. Einige davon bilden den letzten Teil von Kliers „Roman“, der keiner ist.
Gabriele Weingartner   21.03.2014    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht   

 

 

 
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