Geht es um Musik oder Bildkunst, scheint das Etikett Pop allen klar zu sein. In der einen Branche ist es all das, was der Dudelfunkt tagtäglich in der Rotation hat, in der anderen wird es vor allem durch die Überfigur Andy Warhol ausgefüllt. Doch Pop-Literatur? Auf eine stichhaltige Definition, die mal in den Lehrbüchern der Germanistikstudenten auftauchen könnte, wollen sich Kerstin Gleba und Eckhard Schumacher nicht einlassen. Zu kurzschlüssig wäre allerdings eine eigentlich naheliegende Verbindung zum Prädikat populär, so wie es in der Musik einigermaßen zutrifft. Wirkliche Quotenbringer sind die hier versammelten Autoren und Autorinnen nicht unbedingt. Und die tatsächlichen Bestsellermacher wiederum gehören nicht zu Pop. Die Bestimmung muss darum vor allem über das Ausschlussverfahren erfolgen. Auf keinen Fall ist Pop Hochliteratur, was immer auch das wieder sein möge. Doch auch andere Abgrenzungen erscheinen nötig. Zehn Jahre zuvor erschien bei Rowohlt der Band „Poetry! Slam!“ mit dem unglücklichen Untertitel „Texte der Pop-Fraktion“. Diesen Fehler wiederholen die KiWi-Redakteure nicht. Auch wenn es zwischen Slam-Poesie und Pop eine gemeinsame Opposition gegenüber der geweihten Wettbewerbs-Literatur gibt, so verlaufen zwischen ihnen doch tiefe Schützengräben. Hat Slam eher Affinitäten zu Rap, Grunge und Punk, so lieben die Popper die Synthi-Sounds der Achtziger ebenso wie Techno und dessen Ableger. Synthetisch, schillernd, gegenwartsbezogen, oberflächlich - das sind Attribute, die man dieser Richtung zuspricht, um sie im nächsten Satz sofort wieder zu relativieren. Die Pop-Texte sind nicht unbedingt leicht zu konsumieren, das unterscheidet sie von der gleichermaßen etikettierten Musiksparte. Ein wichtiges Arbeitsmittel ist Cut-up, da wird fröhlich geschnippelt und neu zusammengesetzt. Auch das Auflisten gehört zum Werkzeugkasten. Das kann bis zum totalen Abschreiben führen. So hat ein damals junger Autor die Top 20 der japanischen Hitparade vom 25. Mai 1968 unkommentiert als eigenen und eigenständigen Text veröffentlicht - Peter Handke. Die Anthologie gliedert sich in drei zeitlich bestimmte Teile: 1964 ..., 1982 ..., 1990 ... Dazwischen klafft eine Lücke. Zwischen 1972 und 1982 gab es angeblich keinen Pop. Die Revolutionäre von 1968 waren wohl angesichts der selbstverschuldeten Mündigkeit sprachlos geworden. Dass sich die erste Phase auf Amerikaner wie Kerouac, Ginsberg oder Burroughs bezieht, ist klar. Doch es geht ja ausschließlich um deutschsprachige Autoren. Rolf Dieter Brinkmann und Hubert Fichte sind natürlich dabei. Aber auch Namen, die man hier nicht vermuten würde. Neben dem schon erwähnten Handke auch H. C. Artmann und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Dann die wohl klassische Pop-Phase der Achtziger, die laut Thomas Meinecke bereits 1986 wieder vorbei war. Doch diesmal geht die Auswahl chronologisch weiter bis zum Ende des Jahrzehnts, an welches sich das folgende eigentlich nahtlos anschließen müsste, welches aber nicht nur wegen der Materialfülle ein separates Kapitel bekommt. Der politische Aufbruch schlägt sich indirekt wieder, auch wenn originäre Ost-Stimmen im Band praktisch nicht zu finden sind. Spürbarer ist eher die neue Club-Kultur mit Rave, House etc. Reinald Goetz ist der Szene unmittelbar verbunden, Hans Nieswandt gehört als Akteur selbst dazu. Bei anderen stampft zumindest der Rhythmus im Hintergrund. Das dritte, mit Abstand längste Kapitel, des Buches führt bis in die Gegenwart, soweit das bei einer recht aufwändig gemachten Printproduktion eben möglich ist. Das Gespräch der beiden Herausgeber mit Thomas Meinecke und Benjamin von Stuckrat-Barre und dem programmatischen Titel „Pop hat eine harte Tür“ setzt den vorläufigen Schlusspunkt. Am Ende bleiben dann doch die zwei eingangs erwähnten Fragen zurück. Auf die nach der Auswahl der Namen geben die Herausgeber eine einigermaßen schlüssige Erklärung: Wer im Feuilleton mal als Pop-Autor erwähnt wurde kam in Frage. Dann musste er aber noch zustimmen, sofern er noch am Leben ist, in der Anthologie unter diesem Titel vertreten zu sein. Manche waren es nicht. Christian Kracht, dessen Roman „Faserland“ als Schlüsseltext der neueren Pop-Literatur gilt, konnte mit dem Label nichts anfangen. Ebenso fehlen Kolumnisten wie Max Goldt, obwohl manche der vertretenen Autoren sich ausdrücklich auf ihn beziehen. Und auch ein Wladiminer Kaminer, der nun zweifellos populär ist, will entweder nichts von dem Begriff wissen oder er hat noch nie Drogen außer Alkohol zu sich genommen, was wohl auch ein Zugehörigkeitsmerkmal sein muss, nicht ausdrücklich benannt, doch immer wieder durchschimmernd. Die andere Frage aber, was denn nun wirklich Pop-Literatur ist, wird vielleicht im nächsten großen Auswahlband beantwortet, der vermutlich in rund zehn Jahren erscheint. Oder auch nicht.
Jens Kassner 20.08.2007
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Jens Kassner
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