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Poesiealbum 304
Udo Tiffert
Aussaugende und überflutende Worte
Kritik |
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Udo Tiffert
Poesiealbum 304
28 Gedichte
Grafik:
Hans Georg Wagner
Porträt UT von Carlo Dernbach
Märkischer Verlag 2013
Poesiealbum 304
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Das Nest heißt tatsächlich Neusorge. Es liegt direkt an der Neiße, Polen ist in Sichtweite. Laut Wikipedia gibt es 154 Einwohner. Dass einer davon Udo Tiffert heißt, steht (noch) nicht in der Web-Enzyklopädie. Ist aber so. Bisher wird als bedeutende Persönlichkeit nur der 1799 geborene Historienmaler Adolf Zimmermann angegeben.
Es ist schon einige Jahre her, dass Tiffert das aufgeblasene Berlin satt hatte und zurück in die oberlausitzer oder niederschlesische – je nach Sichtweise – Heimat zog. Wer Neusorge braucht, braucht's eben. Udo Tiffert braucht.
Das merkt man schon an den ersten Gedichten des Heftchens Nummer 304 der ehrwürdigen Reihe Poesiealbum, die unterdessen vom Märkischen Verlag Wilhelmshorst verlegt wird. Es sind naturbeobachtende Miniaturen in Gedichtform, so knapp, dass man eines komplett zitieren kann:
käfer in der erde fügen morgen und übermorgen
zueinander, wind weht im kreis, wind weht
hautschuppen in die laubwipfel,
poren hören das tage entfernte meer ...
vögel hoch oben tragen mein haus
Natur? Na ja, wenn man den Menschen auch dazurechnet. Vor allem wenn es sich um einen Dichter handelt, ist das völlig legitim. Dichter? Na ja, manchmal schon, wie dieses Poesiealbum beweist. Schreiben ist meine Arbeit; Lyrik bleibt „heimliche Liebe“, Ruhepunkt und Erde. Da ist sie wieder, die Natur. Doch die Erde steht bei Neusorge eben manchmal auch unter Neißewasser:
Sandbank im Wald
die war vorm Hochwasser
noch nicht dort; Schiffe im Wald
benötigen neue Karten
Doch das Gute an der Flut ist eben, daß sie nichts bloßlegt wie die Ebbe. Udo Tiffert als Romantiker zu entdecken, mag für jene verwunderlich sein, die ihn nur von Slambühnen kennen. Zu denen reist er deutschlandweit ziemlich regelmäßig, auch wenn der 1963 in Niesky Geborene um einiges älter ist als der Durchschnitt der Kollegen in der Spokenword-Szene. Und er unterscheidet sich auch im Auftritt, im Auftreten von ihnen. Mit immer etwas heißerer Stimme erzählt er seine Geschichten ganz ruhig. So ruhig, dass man es fast schon wieder als einen Showeffekt ansehen kann. Zu lachen gibt es dann doch meistens etwas. Zumindest für denkbegabte Zuhörer, die nicht wegen billiger Witzchen zum Slam gekommen sind.
Das ist in den Gedichten des Anfang Januar erschienenen Poesiealbums anders. Seine „heimliche Liebe“ nimmt er ernst, sehr ernst. Und zweifelt zugleich: das wort ginge ja zu ertragen / wenn es nur lüge wäre, aber es saugt / das gute aus den menschen. Dieses Gedicht löst sich noch in einer Liebeserklärung glücklich auf. Andere bleiben ohne Happyend. Was nicht zwangsläufig eine Katastrophe sein muss. Es kann auch nur die Zeit verklickern wie bei den beiden Jungs an der alten Bahnrampe. Oder der Lokführer macht mitten in der Nacht auf offener Strecke Dienstschluss und die beiden verbliebenden Fahrgäste wählen unterschiedliche Arten, damit umzugehen.
Doch wer Udo Tifferts Texte kennt, weiß, dass er keine Angst hat vor großer Politik. Und so kann es selbst in seiner Lyrik jenseits beschaulicher Natur und provinzieller Behäbigkeit auch mal heftig werden. Ein Mann kämpft mit schlechtem Gewissen um einen Platz in einem der letzten Flugzeuge aus dem Krisengebiet. Andere sterben im Kampf statt auf Krebs oder Aids zu warten, werden von Würmern zerfressen. Und jene Neiße, die ihm immer wieder mal die Socken befeuchtet, lässt er in seiner privaten Geografie durch Schengen fließen.
Tiffert, im Hauptberuf Erzähler, verzichtet einerseits weitgehend auf Reime, andererseits auf die modische Beliebigkeit des Zeilenumbruchs. Auch wenn er manchmal, nicht durchweg, Verfahren wie die Kleinschreibung von Substantiven benutzt, ist die Sprache sehr sachlich. Wortspiele und Neologismen finden sich nicht. Das Poetische entsteht aus den Zusammenhängen und der Verdichtung, die Dichtung eben ausmacht. Und so sind seine Gedichte keine Storys plus Enjabement und auch keine gebrochenen Aphorismen.
Es hört sich ausgesprochen banal an zu behaupten, Udo Tifferts innerste Triebkraft für sein lyrisches Schaffen sei die Liebe. Das gilt ja für die Mehrheit aller Poeten, ohne dass damit eine Aussage über die Qualität getroffen ist. Aber wenn es doch nicht zu übersehen ist? Da geht es um die Liebe zu einem konkreten Menschen, trotz der Konsequenz liebe verschlampt den abwasch. Es geht um die Liebe zur Menschlichkeit im Ganzen, auch wenn der weltpolitische Abwasch vor Dreck und Blut starrt. Und nicht zuletzt ist es die Liebe zum unberechenbaren Friedensgrenzfluss Neiße und zu einem Nest mit dem gar nicht so netten Namen Neusorge.
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