Julia Dathe
Legende
Am Hofeingang sitzt immer der Alte in einem Campingstuhl und singt. Fuchs, Du hast die Gans gestohlen. Heißa Kathreinerle. Grün, ja grün. Den ganzen Tag bis zum Abend singt er. Er unterbricht sein Singen auch nicht, wenn ein Auto auf den Hof fährt.
Wenn seine Frau ihn schon nachmittags hereinholen will, weil sie meint, dass es Regen gäbe, scheucht sie davon und singt mit seinem alten Männerstimmchen, während er mit seiner Krücke im Himmel umherfuchtelt. Heyho, spann den Wagen an. Nur diese einzelne Zeile, die wiederholt er wieder und wieder. Das Heyho immer besonders laut.
An einem Tag, an dem es Regen geben wird, sitzt er dort nicht. Zuverlässig. Er hat das Wetter in den Knochen.
Er sang sein Heyho als ich vor zwei Wochen vorbei ging und ich antwortete: Sieh, der Wind treibt Regen übers Land. Er stockte kurz und sang noch lauter. Da setzte der Regen ein. Augenblicklich, in ganzer Wucht. 100% Wasser.
Wir entsetzten uns beide. Seine Augen quollen auf, dem Wasser entgegen. Ich drehte meine Augäpfel gen Himmel und erwartete einen göttlichen Blitz. Der aber blieb aus.
Später hat man mir erzählt, dass der Blitz ins nahe Autohaus eingeschlagen sei. Er soll schon früher als der Regen angekommen sein, mit den Mücken durch die Schwingtür hingeschlüpft, ein kleiner Blitz, vielleicht auch weniger göttlich dadurch. Die Amaturen der Autos sollen kurz aufgeleuchtet haben. Zum Schluss sei er in die Hand des Autoverkäufers gefahren. Seitdem lebt dieses Wetterphänomen in seiner Hand. Der Autoverkäufer zündet jetzt die Zigaretten mit einem Fingerschnippen an und hat dadurch etwas mehr Glück bei den Frauen. Der Job wurde ihm gekündigt, einfach so.
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Julia Dathe
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Lyrik
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