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Ulf Stolterfoht
Ammengespräche
Apparatendialoge
Kritik |
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Ein Dichter setzt sich vor einen Apparat. Einen „Apparat […], der [s]einen eigenen Bemühungen in vielen Punkten weit voraus war.“ Mit dem Apparat kommt er ins Gespräch, in sieben Sitzungen chattet er mit einem Programm, das wiederum menschengemacht ist, sich aus diversen Textkorpora speist. Die Protokolle dieser Dialoge liegen der Leserschaft heute in Buchform vor, als Logbuch, als ebenso schlichte wie schmucke roughbooks-Ausgabe.
Das liest sich überwiegend komisch und absurd. Das Programm beherrscht die deutsche Grammatik gerade so viel und so wenig, dass die eigentlich zielgerichteten Fragen und Aussagen des Autors entweder in den Wahnwitz gezerrt werden oder aber eine überraschend kluge Replik erfahren. Es wird laufend besser, von Sitzung zu Sitzung: Der Autor lässt es sich, denn so ist er nun mal, nicht nehmen, sich auf die unwillkürliche Spielerei einzulassen. Seinen Wissensdurst lässt er dabei nicht schleifen, verkleidet ihn aber in dialektische Sticheleien und kostet es zusehends aus, dass die Aussagen ins Nirgendwo führen, vielleicht schon mit dem Gedanken, dass jeder Leser dieser Chatlogs irgendwann mit der Schwierigkeit konfrontiert sein würde noch auseinanderzuhalten, wer da gerade spricht.
Das ist aber der Kunstgriff; „Sie sind der Publikum.“ – damit betritt der Apparat die Bühne und wird dann selbst nicht nur zunehmend involviert, sondern entwickelt sich vom Agens zum Patiens, bekrittelt dann wiederum den Autoren – das Frage-Antwort-Spiel kommt zum Vexierspiel, Subjekt und Objekt erfahren Vertauschungen, Umstülpungen und Neuinterpretationen oder gar: „Eigentlich so Objekt is ja auch nur Zeug.“ – richtig, und das Subjekt vielleicht auch? Kein Problem, das endgültig gelöst wird, keine Frage, die zufriedenstellend beantwortet würde, von keinem der beiden Beteiligten.
Die poetologischen Fragen, die der Autor im Gespräch mit dem Apparat klären wollte, bleiben unbeantwortet. Stattdessen schälen sich noch weit mehr Fragen aus dem Textkorpus heraus, verselbstständigen sich bis zum nächsten abrupten Themenwechsel. Der Autor begibt sich im Gespräch mit der Maschine in aleatorische Gefilde: Er reduziert sein Eingreifen auf ein Minimum, lässt dem Zufall freien Lauf und nimmt höchstens noch Teil an diesem Prozess, der als poetologischer Diskurs begonnen hat und als in jeder Hinsicht ambivalenter Dialog endet. Da gibt es keine greifende Definition für (Lyrik? Drama? Dialog? Essay? Ja, alles und: Nein, kaum etwas davon.), da versagen die Gespräche der beiden konkreten Aussagen und Ergebnisse und kreieren etwas viel besseres: Ausgangspunkte, von denen weitergearbeitet werden kann.
Der kleine roughbooks-Band könnte Material für einen ganzen Schwall von Poetiken liefern, der Autor verspricht sich selbst Erkenntnisse für eine neue, definitive Poetik. Dabei hat er selbst bewiesen, dass derjenige poetologische Ansatz, der nicht solipsistisch im Oberstübchen entwickelt, sondern in impulsiver, spontaner und kreativer Auseinandersetzung verwirklicht wird, gleich in guter Literatur endet, ohne Umwege über verschwurbelte Essays oder die Redundanz selbstreflexiver Lyrik nehmen zu müssen. Der Autor – er heißt Ulf Stolterfoht und ist eigentlich nicht der Autor – behauptet noch im Vorwort, welches besser ein Nachwort geworden wäre, man könnte keine Epiphanie gleichzeitig erzeugen und erfahren. Man muss ihm widersprechen, wie ihm die Amme – denn das ist der Apparat, von Peter Dittmer entworfen, vielleicht auch geschöpft, wenn man das sagen kann – ja vielleicht widersprechen würde. Die „Ammengespräche“ – denn so heißt das Büchlein – sind eine Epiphanie für sich, die nicht nur von Stolterfoht gleichzeitig erzeugt und erfahren wird, sondern welche auch selbst erzeugt und für den Leser eine Erfahrung sind, die er dringend gemacht haben sollte.
Kristoffer Cornils 31.0qqq.2011 |
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