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Ulf Stolterfoht
Ammengespräche

Apparatendialoge
  Kritik
  Ulf Stolterfoht
Ammengespräche
roughbooks 2010
82 Seiten, 7.50 €

Verlag Urs Engeler  externer Link



Ein Dichter setzt sich vor einen Apparat. Einen „Apparat […], der [s]einen eigenen Bemühungen in vielen Punkten weit voraus war.“ Mit dem Apparat kommt er ins Gespräch, in sieben Sitzun­gen chattet er mit einem Programm, das wiederum men­schen­gemacht ist, sich aus diversen Text­korpora speist. Die Protokolle dieser Dialoge liegen der Leser­schaft heute in Buchform vor, als Logbuch, als ebenso schlichte wie schmucke roughbooks-Ausgabe.

Das liest sich über­wie­gend komisch und absurd. Das Programm beherrscht die deutsche Grammatik gerade so viel und so wenig, dass die eigentlich zielgerichteten Fragen und Aussagen des Autors ent­weder in den Wahn­witz gezerrt werden oder aber eine überraschend kluge Replik erfahren. Es wird laufend besser, von Sitzung zu Sitzung: Der Autor lässt es sich, denn so ist er nun mal, nicht nehmen, sich auf die unwill­kürliche Spielerei einzu­lassen. Seinen Wissens­durst lässt er dabei nicht schleifen, verkleidet ihn aber in dialektische Stiche­leien und kostet es zusehends aus, dass die Aussagen ins Nirgendwo führen, vielleicht schon mit dem Gedanken, dass jeder Leser dieser Chatlogs irgendwann mit der Schwierig­keit konfron­tiert sein würde noch auseinanderzuhalten, wer da gerade spricht.

Das ist aber der Kunstgriff; „Sie sind der Publikum.“ – damit betritt der Apparat die Bühne und wird dann selbst nicht nur zunehmend involviert, sondern entwickelt sich vom Agens zum Patiens, bekrittelt dann wiede­rum den Autoren – das Frage-Antwort-Spiel kommt zum Vexierspiel, Subjekt und Objekt erfahren Ver­tau­schungen, Umstül­pungen und Neu­inter­pretationen oder gar: „Eigentlich so Objekt is ja auch nur Zeug.“ – richtig, und das Subjekt vielleicht auch? Kein Problem, das end­gültig gelöst wird, keine Frage, die zufriedenstellend beantwortet würde, von keinem der beiden Beteiligten.

Die poetologischen Fragen, die der Autor im Gespräch mit dem Apparat klären wollte, bleiben unbe­ant­wortet. Statt­dessen schälen sich noch weit mehr Fragen aus dem Textkorpus heraus, ver­selbst­ständigen sich bis zum nächsten abrupten Themen­wechsel. Der Autor begibt sich im Gespräch mit der Maschine in aleatorische Gefilde: Er reduziert sein Eingreifen auf ein Minimum, lässt dem Zufall freien Lauf und nimmt höchstens noch Teil an diesem Prozess, der als poeto­logischer Diskurs begonnen hat und als in jeder Hinsicht ambivalenter Dialog endet. Da gibt es keine grei­fende Definition für (Lyrik? Drama? Dialog? Essay? Ja, alles und: Nein, kaum etwas davon.), da versagen die Gespräche der beiden konkreten Aussagen und Ergebnisse und kreieren etwas viel besseres: Ausgangs­punkte, von denen weitergearbeitet werden kann.

Der kleine roughbooks-Band könnte Material für einen ganzen Schwall von Poetiken liefern, der Autor verspricht sich selbst Erkennt­nisse für eine neue, definitive Poetik. Dabei hat er selbst bewiesen, dass derjenige poetologische Ansatz, der nicht solipsistisch im Oberstübchen entwickelt, sondern in impul­siver, spontaner und kreativer Aus­einander­setzung verwirk­licht wird, gleich in guter Literatur endet, ohne Umwege über verschwurbelte Essays oder die Redun­danz selbst­reflexiver Lyrik nehmen zu müssen. Der Autor – er heißt Ulf Stolterfoht und ist eigentlich nicht der Autor – behauptet noch im Vorwort, welches besser ein Nachwort geworden wäre, man könnte keine Epiphanie gleichzeitig erzeugen und erfahren. Man muss ihm wider­sprechen, wie ihm die Amme – denn das ist der Apparat, von Peter Dittmer entworfen, vielleicht auch geschöpft, wenn man das sagen kann – ja vielleicht widersprechen würde. Die „Ammen­gespräche“ – denn so heißt das Büchlein – sind eine Epiphanie für sich, die nicht nur von Stolterfoht gleichzeitig erzeugt und erfahren wird, sondern welche auch selbst erzeugt und für den Leser eine Erfahrung sind, die er dringend gemacht haben sollte.

 

Kristoffer Cornils   31.0qqq.2011   

 

 
Kristoffer Cornils
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