Lisa Fritsch
Das letzte Bad des Jean Paul Marat
„Sein Tod war noch wichtiger als sein Leben.“
Danton
Marat verbringt die letzten Tage seines Lebens immer wieder in der Badewanne. Er muss den schrecklichen Juckreiz lindern, der ihn seit Monaten quält. Als gelernter Mediziner weiß er, dass Zitrone im Badewasser die Entzündungen mildert. Der Oberkörper zeigt Kratzspuren und Blutflecken. Auf den Schenkeln kleben Pflaster. Ein selbst verordneter Heiltrank bringt ihm keine Linderung. Bis zur Brust im Wasser mit Essigwickel auf der Stirn sitzt er über das Schreibbrett gebeugt. Auf diesem Brett schreibt er die Artikel für sein Journal. Zum Wohl des Volkes ist auch Todbringendes darunter. Er schont sich nicht, trinkt viel schwarzen Kaffee.
Ich habe mich wieder blutig gekratzt. Simonne, mein Engel, du musst mich verbinden und die Stirnbinde wechseln. Das muss für heute reichen. Der Wächter der Revolution fühlt sich schwach. Was will die Revolution von mir? Ich trinke, esse und arbeite für sie. Dass ausgerechnet ich mein Leben in dieser Wanne, ich meine, in solcher Abgeschiedenheit verbringen muss, ist im Grunde lächerlich. Und was ist aus dieser Revolution geworden? Bis jetzt war ja alles nur ein elendes Theater, in dem die Guillotine und die Verurteilungen notwendig waren, die Revolution in Gang zu halten. Doch der Terror hilft anscheinend nichts. Jetzt werden die reich gewordenen Bürger immer reicher, sie spekulieren an den Börsen und geben Feste. Diese Pharisäer sieht man in der italienischen Komödie, man sieht sie in der Oper, im Varieté, in den Ballettschulen und natürlich auch in den Casinos. Was wollte ich schreiben? Haftbefehl für alle, die noch seidene Westen tragen! Aber je mehr Skandale enthüllt werden, desto mehr bin ich der Gefangene meiner Zeitung. Die Leser fragen mich, warum ich mich nicht für die zahlreichen Pariser Spielhäuser interessiere. Und dabei habe ich sechs Wochen lang dreihundert Spielhöllen ausfindig gemacht. Es gibt sie wohl nicht mehr. Ich konnte mich vergewissern, dass trotz der Razzien die Spielfreude unerschöpflich ist. Eine Legion von Spielern, deren Namen ich noch nicht kenne, starrt Nacht für Nacht mit gierigen Augen auf die Roulettetische. Manche dieser Casinos bezahlen sogar Schutzgelder an die Nationalgardisten. Bald bin ich darauf gekommen, dass in den geheimen Salons, die sich um das Palais-Égalité zentrieren, immer noch bedenkenlos das aristokratische Pharao gespielt wird. Einige dieser Dummköpfe benützen sogar parfümierte Taschentücher, die nach dem Duftwasser der Königin riechen. Nur, wer mit dem Elend vertraut ist, weiß, was diese Ungeheuerlichkeiten bedeuten. Für Spieler und Kurtisanen gibt es eben keine Revolution.
Texte aus: Wannen Wonnen. Sonderzahl Verlag.
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Lisa Fritsch
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