Jürgen Dziuk
was bleibt ist Ferne
Richtungswechsel im Labyrinth
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Jürgen Dziuk
was bleibt ist Ferne
Gedichte
Herausgegeben von Axel Sanjosé und Richard Dove
Landpresse 2007
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Der von Axel Sanjosé und Richard Dove herausgegebene Lyrikband was bleibt ist Ferne versammelt Jürgen Dziuks Gedichte post mortem. 112 der rund 180 Gedichte, die Dziuk hinterlassen hat, sind im vorliegenden Band abgedruckt. Die Herausgeber haben bei der Auswahl den Schwerpunkt auf die späteren Texte gelegt.
Der Ton von Dziuks frühen Gedichten ist, nicht zuletzt durch die kleinere Auswahl, breit gestreut. Manche kommen noch sehr naiv daher, und so einigen kann man einen gewissen Kitsch nicht absprechen. Es ist aber auch eine andere Seite vorhanden, die frühe Gedichte von Autoren oft reizvoll macht - eine Unverfälschtheit, welche die kleinen Dinge direkt anspricht, ohne ihnen (sprachlich oder inhaltlich) betont Großes hinzuzufügen bzw. anzudichten: gejagt von Jahreszeiten / ein Stück Brot lang / Gast zu sein // nur der Aufbruch / gewinnt an Dauer (aus: Nomadenzeit). Hier gibt es keine Berührungsängste, sich durch klare und einfache Worte verständlich (und möglicherweise angreifbar) zu machen. Bei den besten von Dziuks frühen Gedichten ist dann auch tatsächlich keinerlei Angriffsfläche gegeben.
Die späteren Texte wirken in ihrer Gesamtheit zunehmend sicherer in der Rhythmik und tragen ihre gehaltvollen Inhalte oft in einer spielerischen Leichtigkeit vor. Auch erscheinen sie subtiler; der Dichter bleibt nun öfter Beobachter, ohne das Wahrgenommene im Übermaß zu kommentieren: der Korb trägt / schwer an den Früchten / geschlachtetes Obst / geronnener Saft // geschorene Wiesen / der schlafende Hirte / ist traumlos, die Wangen / vom Hut überdunkelt (aus: Opfervision).
Dziuk verzichtet auf eine gewollt intellektuelle Sprache, derer sich so mancher Dichter heutzutage gern bedient. Sein Sprachmaterial kommt mit dem Nötigsten aus, das er überzeugend zu melancholischen, kritischen oder grotesken Szenarien zusammenfügt. Angenehm ist die Kürze der Gedichte, ein jedes begnügt sich mit einer einzigen Buchseite. Dadurch wirkt Dziuks Lyrik trotz der Eindringlichkeit der verwendeten Worte und des Inhalts in aller Regel nicht überladen.
In einigen Texten gelingt ihm etwas ganz Erstaunliches. Gedanken und Eindrücke tauchen auf, werden verworfen, verändert oder weiterentwickelt, und bleiben dennoch Bestandteil des Gedichts, so dass dieses sich selbst in seinem Fluss korrigiert, nicht ausschließlich gerade Wege nimmt: kein Blatt fällt / und es ist doch Herbst / waren dort nicht eben / noch – nein, / die Weite ist leergefegt / schon seit Stunden / und der Abend wird diesmal / nicht ankommen (aus: Entdeckung IV). Dadurch überträgt sich eine Wahrnehmung auf den Leser, die voller Überraschungen ist. Statt eines auf dem anderen aufzubauen, wird man auf verschlungene Wege geschickt, denen man folgt wie den Gängen eines Labyrinths. Erstaunlicherweise gelangt man auf ihnen immer zum Ausgang.
was bleibt ist Ferne ist ein Buch für jedermann, weil es wie eine Pralinenmischung von allem etwas enthält: unterschiedliche Herangehensweisen an verschiedene für jeden nachvollziehbare Themen und Alltagssituationen. Es gibt Liebe, Stadt, Natur, Schweiß, Nachrichten, Ansichten, Schüler, Lehrer, Opfer, Täter, Hirten, Schafe. Die Rollen werden getauscht, sind nicht festgeschrieben. Überall ist die Veränderung gegenwärtig, und man ist immer mittendrin: zuhause aber / beim Auspacken / verliert das Erworbene / gewohnte Konturen (aus: normaler Morgeneinkauf). Nicht jede Praline wird jedem gleich gut schmecken, aber jeder wird hier satt. Eine weitere Einschränkung der ausgewählten Gedichte, könnte man meinen, wäre vielleicht nicht schlecht gewesen, um die Qualität des Buches durchgehend hoch zu halten. So finden sich auch gewöhnungsbedüftige Einzelfälle in dem Band, die wie sprachliche Fingerübungen wirken ( Einst stranzelte ein Knirch / verkropfelt und gelipsert: / Er hatte bulgewirch / ein Haslapf eingeschnipsert.). Doch stärkere Begrenzungen sind schwierig bei einem Werk, das die gesamte Bandbreite eines Autors widerspiegeln soll, und die Herausgeber wollten auch Dziuks gelegentlichen Hang zu Nonsens-Texten nicht außen vor lassen.
So ist hier eine Zusammenfassung gelungen, die alle sprachlichen Facetten und Entwicklungsebenen des Dichters auslotet und vor allem eines ist: unparteiisch. Was bleibt, ist Ferne, da sich die Herausgeber durch ihre breite Auswahl dankenswerterweise einer zu tiefgreifenden Bewertung der hinterlassenen Gedichte enthalten haben – einer Bewertung, wie sie stets nur dem Autor selbst vorbehalten bleiben sollte.
Myriam Keil 26.04.2007
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Myriam Keil
Lyrik
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