Tobias Sommer
zu viele Tragflächen
Überbevölkerter Luftraum
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Tobias Sommer
zu viele Tragflächen
Gedichte
Richmond Verlag 2007
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Bereits beim ersten Gedicht dieses Bandes habe ich ein Déjà-Vu. „ein Gedicht beginnt in den Windungen / einer Telefonzelle...“. Moment mal, irgendwoher kenne ich diesen Einstieg doch! Nach ein bisschen Recherche fällt mir das Gedicht „mississippi“ von Albert Ostermaier in die Hände: „Ein gedicht beginnt in der lobby / eines hotels...“ Aha, daher also! Doch schnell wird klar: Ein Abklatsch ist die Variante von Tobias Sommer nicht, im Gegenteil, ihm ist eine wunderbare Fortsetzung von Ostermaiers „mississippi“ gelungen.
Sein Gedicht orientiert sich am Puls der Zeit, es „speichert sich / auf Prepaidkarten überlebt / in fremden Portemonnaies wird in Taxis / durch die Nacht gefahren auf Rücksitze / gezeichnet Grafittiversuche / in meinen Noten / nie ein Name nie eine Nummer / die ich kenne“. Im Gegensatz zu Ostermaier erhält Sommer nicht die Abstraktheit des Beschreibens in der dritten Person aufrecht, sondern bezieht sich in sein Gedicht mit ein, wodurch eine glaubhafte Nähe erzeugt wird. In den letzten Zeilen dann der Ausblick auf das, was sich der Autor von einem Gedicht erhofft: „mit Glück landet es / in den Köpfen die den Morgen / ohne Geld beginnen“. Dem kann man nur zustimmen.
Ein weiteres Déjà-Vu erlebe ich nicht, während ich „zu viele Tragflächen“ lese, und nach diesem angenehmen Einstieg finde ich das beinahe schade. Doch Zeit, um enttäuscht zu sein, bleibt nicht. Tobias Sommers Sprache, die auch bei seiner Prosa sehr lyrisch und bildreich ist, ist wie geschaffen für Gedichte. Die von ihm verwendeten Bilder sind unverbraucht und lassen dem Leser Raum für eigene Deutungen, ohne unverständlich zu sein. An den meisten Stellen ergibt sich ein ideales Mischungsverhältnis von persönlichen Eindrücken und wertfreien Beobachtungen.
Das Buch gliedert sich in zwei Abschnitte, die konsequenterweise „Tragfläche I“ und „Tragfläche II“ heißen; nein, zu viele sind es nicht. Es finden sich Erinnerungen an die Kindheit: „und im Sandkasten eine Coladose / auf die man treten muss“ (aus „Spielplatz“), ebenso wie die Erkenntnis, dass die mit ihr einhergehende Unbeschwertheit nicht selbstverständlich ist: „zerrissen das Gleichgewicht der Wippe / der Sandkasten hat seine Begrenzung verloren / ist eins mit meinem Schulweg“ (aus „Empfangssuche“).
Das Zwischenmenschliche wird in all seinen Facetten ausgelotet, ist aber niemals belanglos: „war er nicht ein Poet / höre ich dich schwärmen / er ist gegangen als ich ihm / nicht mehr ähnlich sah / eine Frage und du antwortest: / der Spuk ist nicht weit und / du zu Hause“ (aus „von einer langen Reise“).
Mit „Fotolabor am Strand“ und „Kieselsteinfabrik“ hält das Buch außerdem zwei großartige Liebesgedichte bereit, die ich fast nicht als solche bezeichnen möchte, weil diese Begrifflichkeit den Anschein erwecken könnte, man habe es mit liebevollem Kitsch zu tun. Das ist nicht der Fall; auch hier bleibt der Autor ernsthaft und auf Tiefe bedacht, vermeidet es aber zugleich, die notwendige Intimität derartiger Gedichte durch eine zu starke Distanzierung zu umgehen.
Das Literaturhaus Salzburg bescheinigte Tobias Sommers Prosa bereits „eine unglaublich ausgereifte und poetische Sprache“. Durch den vorliegenden Lyrikband bestätigt sich, dass der Autor auch in anderen literarischen Gattungen mit diesem potentialträchtigen, jedoch auch voller Tücken steckenden poetischen Ton umzugehen vermag, ohne ein Opfer der „Verkitschung“ zu werden.
Myriam Keil 26.07.2007
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Myriam Keil
Lyrik
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