|
|
Christine Langer
Findelgesichter
Zurück zur Natur, immer weiter
Kritik |
|
Es gibt wohl nur wenige Lyrikerinnen und Lyriker im deutschsprachigen Raum, die sich so intensiv und gekonnt wie Christine Langer der Naturlyrik verschrieben haben. Nachdem vor drei Jahren ihr Gedichtband »Lichtrisse« erschien, legt sie nun mit »Findelgesichter« nach. Und es ist offensichtlich, dass die neuen Naturgedichte zu einem großen Teil noch dichter, noch einfühlsamer sind, dabei von einer Leichtigkeit und formalen Unangestrengtheit, die dem Leser ein poetisches Naturerlebnis erster Güte ermöglichen.
Auch in ihrem neuen Gedichtband unternimmt Christine Langer ausgedehnte Exkursionen in vielfältige Kulturlandschaften, die wir heute Natur zu nennen pflegen, ergründet deren Oberflächen ebenso wie die darunter zum Vorschein kommenden Geheimnisse. Ihr poetisches Interesse entzündet sich dabei an Landschaften und Wetterphänomenen, an Tieren und Früchten, am Auffälligen wie am Unscheinbaren, an allem eben, was die Natur zu bieten hat. Christine Langer ist eine ungemein neugierige Dichterin: Voller Empathie wagt sie den klaren, unverstellten Blick in die Natur, stutzt und staunt, wenn sich in spreizenden unmerklich geöffneten Zweigen Neues überbricht – und gewinnt so blinkende Muschelphantasien fürs Kinderauge.
Doch damit gibt sie sich noch lange nicht zufrieden. Der erste Blick auf die vermeintlichen Idyllen bohrt weiter und richtet sich auf das, was darunter liegt, auf die versteckte Unruhe im Unterholz, auf die eisigen Reifgespinste des Winters sowie die Faulstellen hitziger Hochsommertage. Langers Interesse gilt nicht dem Hochglanz romantischer Sonnenuntergänge, vielmehr dem Licht in den Pfützen, den im Schatten verborgenen Schätzen, den Goldkörnern im Schlamm. Durch das Beharren auf die Vielfältigkeit der Natur wird bei Langer selbst ein Misthaufen zum Weltwunder, das danach verlangt, in einem Gedicht verewigt zu werden: Weiße Halme neben goldnen bilden Muster Rätsel kleine Höhlen und Verstecke – und ganz oben auf dem Haufen setzt die Rabenkrähe einen Punkt ins Gedächtnis ins Gedicht.
Langer versucht stets, das Natürliche – und damit auch das Menschliche – im ambivalenten Rohzustand zu betrachten, um Himmel und Erde, Morgen und Abend, Lichtfunken und Schattenseiten zu Wahrzeichen und Stimmgabeln für ihre Gedichte zu machen. So wird die Natur in all ihren Facetten zum Spiegel, zum Abbild der eigenen Seele, zur Seelenlandschaft und damit zum Zentrum der poetischen Darstellung: Erde die aufbricht unter meinem Blick bekommt Regen-, Pfauen- oder Katzenaugen, die Natur schaut zurück, lässt Einblicke in ihre Unergründlichkeit zu und wird zu Gold das beim Anblick in dich übergeht wie ein flehendes Wort. Auf diese Weise vermögen Langers Gedichte Zärtliches und Brutales, Härte und Milde, Wut, Liebe und Trauer zu vereinen. Voraussetzung für diese innige und poetisch inspirierende Beziehung zur Natur ist Hingabe, denn Hinhören ist ein anderes Wort für Hineinwachsen. Christine Langer versucht der Natur so nah wie nur möglich zu sein, auf Füßen wie Tatzen so nah. Eine hautnahe Erfahrung, ein fast erotischer Akt der Verschmelzung, reine Poesie.
Ihr enges Verhältnis zur Natur muss eine Lyrikerin wie Christine Langer unweigerlich zur kritischen Betrachtung unserer postmodernen Lebensweise führen, zu den Auswüchsen der industriellen Zivilisation. Der Zyklus Abgaswolken enthält folgerichtig Gedichte, in denen die Natur hinter der Kultur verschwindet. An dieser Stelle des Gedichtbands schieben sich Häuser vor die Sonne als wären es Gedanken, Rauch fließt in die Wolken und über allem hängt ein Himmel in schwarzen Schichten. In dieser Welt muss sich ein lyrisches Ich, das sich ganz als Teil der Natur begreift, entwurzelt, heimatlos, ja weltfremd fühlen.
Diese Weltfremdheit ist vermutlich notwendige Bedingung für Langers poetische Kunst, dem Unsagbaren in der Natur lyrischen Ausdruck und Schönheit zu verleihen. Bei der Darstellung einer Welt jedoch, die sich von ländlichen in urbane Räume begibt – und damit ins Gebiet gesellschaftlicher Unsäglichkeiten – wirkt Langers sonst hochkonzentrierte Lyrik auf einmal prosaisch, kraftlos und weniger überzeugend. Im Industriegebiet scheint das lyrische Ich ängstlich und überfordert, die dichterische Weltfremdheit wird hier beinahe zur eskapistischen Methode: Anders als in ihren Naturgedichten entfernt sich Langer von ihren poetischen Erkenntnisobjekten, baut Distanz auf, so dass ihr Blick unscharf wird und ein wenig beliebig wirkt. Alles wird merkwürdig profan. Vergänglichkeit ist in diesen Gedichten schnöde Gebrechlichkeit, welche die Natur lediglich aus dem Zugabteil, verzerrt von dicken Brillengläsern und mit schmerzender Bandscheibe wahrnimmt. An dieser Stelle verlieren die Gedichte ihren souveränen Ton und die Selbstverständlichkeit, mit der sie ansonsten poetischen Mehrwert herstellen. Immerhin erzeugt diese Seite der Weltfremdheit Mitgefühl für wehrlose Geschöpfe, die sich gegen den (selbst)zerstörerischen Zugriff des Menschen nicht behaupten können, und formuliert Gedächtnismale für die gequälte Kreatur.
Vielleicht sind Christine Langers eher schwächere Gedichte ja der Preis für ihre großartige Naturlyrik, die im Kontrast erst Recht hervorsticht. Vielleicht kann sich nur über jene spezifische Weltfremdheit eine derart sensible Naturnähe ausbilden, diese Eindringlichkeit und zugleich Lockerheit in Betrachtung und Beschreibung, durch die der Leser an Langers erfahrungsgesättigten Exkursionen in Wald und Flur teilhaben darf. Und vielleicht findet die Dichterin nur auf diese Weise zu starken Bildern und Metaphern, zum feinen Spiel mit Rhythmus und eingestreuten Reimen, zu ihrem mal hymnisch hochgestimmten, mal elegisch gedimmten Tonfall. Aber eigentlich würde dem Buch nichts fehlen, wenn es auf die etwas weltfern anmutenden Gedichte verzichtet hätte. Denn wer möchte mit Christine Langer schon die Rasenkultur einer Fußballweltmeisterschaft ironisch erkunden, wo er mit ihr doch viel nachhaltiger in die Poesie einer mückenumflirrten oder auch schneebedeckten Wiese vordringen kann?
Christine Langer im Poetenladen
Weitere Kritik zu Findelgesicher von Lorenz Mueller
|
|
|
Peter Kapp
Lyrik
Prosa
Bericht
|
|