Die wortgetreue Übersetzung des Originaltitels lautet „Mit Teerseife gurgeln“, doch der deutsche Verleger favorisierte „Zirkuszone“, weil ihm ersteres offensichtlich zu fremd klang. Eigentlich müsste der Roman heißen: „Die fantastischen Abenteuer des Ilja Heimdaheimkindes, der auszog, die Tschechen das Fürchten zu lehren“, vielleicht mit dem Untertitel: „Ilja im Heimdaheim, Ilja als schleichende Ratte, Ilja als verlorener Panzerlenker.“ Dann wüsste der Leser, worauf er sich einließe, ohne den noch längeren Klappentext lesen zu müssen. Topols Roman strotzt nur so vor Ereignissen und Szenarien, die sich zunächst überschaubar entfalten und dann plötzlich überschlagen. Mord und Totschlag, übliches Knabengebaren, militärische Manöver und immer wieder die Frage: „Was ist wirklich geschehen, damals in der jungen Tschechoslowakei?“ Ausgangspunkt der Reise ist das böhmische Städtchen Siřem, wo Ilja, der Held, zusammen mit seinem behinderten Bruder Bobo und anderen, vorwiegend fremdländischen Jungen in einem Kinderheim lebt. Sie werden von Schwestern „in schwarzen Gewändern und weißen Häubchen“ nach bestem Wissen und Gewissen unterrichtet, versorgt und getröstet, aber – natürlich – auch bestraft, zum Beispiel mit Teerseifegurgeln für Lügen. Verschwörerisch überlegen die Älteren, ob sie lieber zur Fremdenlegion gehen oder zu den Kommunisten übertreten sollen. Topol gelingt die Darstellung des verwaisten Knabenkollektivs so gut, dass er von ehemaligen Heimkindern dazu beglückwünscht und gefragt wurde, in welchem Heim er aufgewachsen sei. Die Entscheidung, wohin der Weg der „Geächteten“ schließlich führen soll, wird den Jungen abgenommen, als eines unverhofften Tages Kommandant Vyžlata mit seinem Gefolge in das relative Chaos einbricht und die „Rabaukenkolonie“ für das Leben in der neuen Zeit rüsten will. Dabei entpuppt Ilja sich als Meister der Sabotage, schleicht sich gekonnt an feindliche Wachen an und kartographiert bei seinen Touren die nähere Umgebung. Doch ehe sich die Jungen versehen, herrscht tatsächlich Krieg auf eigenem Terrain. Die Gruppe wird zersprengt, Blitze, Feuer, Rauch – die Panzer der Russen nähern sich wie „Monster, eines dem anderen auf den Fersen“. Die neue Ära wird genauso abrupt eingeleitet wie die vorherige. Ohne zu zögern schwingt sich Ilja auf einen der Panzer, (s)ein Vater nimmt ihn in den Arm und bietet Schutz. Der Junge bewährt sich als ortskundiger Dolmetscher und passt sich an, um zu überleben. Topol ermüdet den Leser – vielleicht noch mehr die Leserin – mit seinen kriegerischen Schilderungen. Es gelingt ihm nicht, einen Spannungsbogen aufzubauen und auch die Durchsetzung des Szenarios mit einer grotesken Zirkusgeschichte trägt wenig zur Unterhaltung bei: Der DDR-Zirkus Hygea solle mit Hilfe des Zwergengenossen Dago von tschechischen Banditen befreit werden. „Trümmerteile“ dieser verhinderten Künstler (Menschen, Tiere, Sensationen!) säumen den Weg der Kriegführenden: Giraffenköpfe, Kunstreiterinnen, Kamele. Wenn der Autor mindestens genauso viel Enthusiasmus auf die sprachliche Ausgestaltung verwendet hätte, wären die Längen und anstrengenden Kuriositäten sicherlich leichter zu verkraften gewesen. „Vor Freude konnte ich nicht einschlafen. Aber dann schlief ich ein und schlief durch bis zum nächsten Morgen.“ Jáchym Topol hat ein egoistisches Buch geschrieben, historische Ereignisse kühn mit seinen Phantasien zu einem eigenen Kunstwerk gestaltet. Reizvoll ist der Roman wohl in erster Linie für jene, die Wahrheit von Fiktion trennen wollen und können oder knabenhafte Abenteuergeschichten schätzen.
Daniela Rhinow 07.07.2007
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Daniela Rhinow
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