Paul Brodowsky, endlich mal jemand aus der Hildesheimer Schule, ist der Jüngste von ihnen und kann schon eine Reihe von Auszeichnungen und Veröffentlichungen vorweisen: Sein erster Band mit Kurzprosa erschien bereits 2002, auch bei Suhrkamp, sein erstes Theaterstück wurde 2006 bei den Münchener Kammerspielen aufgeführt, vor einem Jahr las er beim Bachmannpreis seine titelgebende Erzählung aus dem nun vorliegenden neuen Band. Und diese erste der insgesamt sechs Erzählungen weckt Hoffnung auf Geschichten, die mehr sind als emotionslos vorgetragene, nichtige Begebenheiten. Spannung erzeugt vor allem die Form, die Sprache, denn: Wo gibt es schon Sätze, die sich über eine ganze Seite erstrecken, wo verschwimmen die Zeitebenen so unvermittelt, dass man sich im Text verirrt, wo werden alle Sinne von Anfang an herausgefordert? Eine Fotografin, die langsam erblindet und ihren „Gesellen“ – den irritierten Ich-Erzähler – gewissermaßen missbraucht, um sich selbst zu inszenieren. Die hohen Erwartungen nach diesem gelungenen Einstieg werden jedoch weithin enttäuscht, da die folgenden Erzählungen nach demselben Muster gestrickt sind: Boy-meets-Girl-Plots, wie der Autor selbst sie nennt, exotische Schauplätze (Hanoi, Hongkong), viele Pfützen, bleiche Haut, Partys, Leuchtreklamen, seltsame Ereignisse. Wenig Originalität. Die anfängliche Dichte, der als künstlerisch wertvoll empfundene sprachliche Rhythmus wächst sich aus zu einer angestrengt anstrengenden Künstlichkeit. Die bloße Aneinanderreihung von sehr partizipien- und attributlastigen Beschreibungen versperrt den Weg zur Geschichte, wie z.B. bei der Erzählung Judith: „Nach einer Weile wird der Regen ruhiger, durch das jetzt wieder offene Fenster das Geräusch der Tropfen auf den sandigen Pflastersteinen im Hof, das Knistern des Regens auf den Blättern, die im leichteren Regen wieder singenden Amseln, die kurzen Rufe der Sperlinge ... Der schwarzgeregnete Erdweg, in den Pfützen spiegeln sich die glänzenden Bäume, das umgewehte Gras, eine zerbeulte Colaplastikflasche.“ Neben diesen natürlich-ornithologischen Ausführungen stehen kurz darauf schmachtreiche wie diese: „... Judiths Schultern, die Schulterblätter, ein Duft wie von Holunderblüten, die Sonne ist hinter dem Horizont weggetaucht, Judith rückt näher an Marten heran, sie schlägt nach den Mücken. Er fängt ihre Hand mitten im Schlag, hält sie fest, plötzlich küssen sie sich.“ Solche Passagen liegen letztendlich schwerer im Magen als zum Beispiel die durchaus versiert wirkenden musikwissenschaftlichen Zwischentöne in Zoltan und ich. Insgesamt sind die Erzählungen nicht so gefällig wie manch andere, hallen aber auch nicht nach. Vielleicht sind sie zu sehr aus dem Kopf geboren, vielleicht ist der Autor zu sehr auf die Sprache bedacht, ohne mit ihr zu spielen, vielleicht ist er einfach doch noch zu freundlich.
Daniela Rhinow 04.07.2007
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Daniela Rhinow
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