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Peter Handke
Versuch über den Pilznarren
Peter Handkes letzter Versuch
Kritik |
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Peter Handke
Versuch über den Pilznarren
Suhrkamp Verlag 2013
217 S. | EUR 18,95
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Der österreichische Schriftsteller Peter Handke schreibt seine Werke nicht in der Hoffnung, möglichst häufig besprochen zu werden. Seine Texte finden ihre Leser nach fast 50-jähriger Karriere, ohne sie zu suchen, trotzdem taucht jede seiner neuen Veröffentlichungen in den Feuilletons auf, finden sich immer neue Rezipienten für seine oft als Selbstreflexionen angelegten Texte. Zu Recht, wie ich finde, denn Peter Handke ist längst mehr als ein Schriftsteller, seine Werke Lyrik und Prosa zugleich.
Nach seinen ersten großen Erfolgen in den späten 1960er Jahren mit Publikumsbeschimpfung und Die Angst des Tormanns beim Elfmeter verlängerte sich die Liste der ihm zugedachten Nominierungen und Auszeichnungen stetig. Er ist der wohl bekannteste österreichische Gegenwartsautor und vielen nicht zuletzt bekannt als der Mann, der durch seinen Reisebericht Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien im Jahr 1996 die Kriegsverbrechen der Serben – im Urteil der Kritik – verharmloste. Vor Kurzem erst, als die Verleihung des Ibsen-Preises an den Autor anstand, zeigte sich erneut, dass weniger seine schriftstellerische Arbeit als seine politische Haltung im Vordergrund steht. Als »Faschist« beschimpft, entschied er sich, nicht zum ersten Mal in seiner Karriere, das Preisgeld zu spenden.
Peter Handke polarisiert in seinen politischen Ansichten, doch seine Literatur zeigt, losgelöst von politischen Meinungen, dass er all die Auszeichnungen zurecht bekommen hat. Auch sein aktuelles Werk Versuch über den Pilznarren, erschienen bei Suhrkamp, zeugt von literarischer Meisterschaft.
Handke geht in dem fünften Band seiner Reihe der Versuche „querwaldein“ und fächert vor dem Leser eine märchenhafte Welt auf. In seinem zwischen Essay und Prosa oszillierenden Versuch über den Pilznarren haben wir es dabei weniger mit Pilzen zu tun als mit einem Selbstversuch. Auch wenn der Pilz zwischen sämtlichen Wörtern hervorlugt, immer wieder umkreist, als „andersbraun“ und „andersgelb“ beschrieben wird, obwohl er gepflückt, verspeist, verflucht und geliebt wird, ist er dennoch nur die Peripherie der Geschichte. Pilze stehen Handke für die Wildheit, denn, so erörtert er in seinem Text, Pilze könne man nicht zähmen, sie leben unsichtbar im Waldboden, ein weitverzweigtes Netz entfaltend. Als poetologisches Exempel für Widerstand sind Pilze in etlichen von Handkes Texten präsent – somit erscheint es als logische Folge, dass der Dichter mit ihm seine Reihe beschließt.
Im Jahr 1989 publizierte Handke seinen ersten Versuch – damals „über die Müdigkeit“. Der Auftakt einer Reihe lyrischer Essays, die er 2012 mit dem vierten Versuch über den stillen Ort (womit tatsächlich das Stille Örtchen gemeint ist) nach 21 Jahren wieder aufnimmt, um sie nur ein Jahr später endgültig zu beenden. Im Versuch über den Pilznarren steht jedoch nicht ein schweifendes Autoren-Ich im Vordergrund wie in den vorangegangenen Werken, sondern ein „Jugendfreund“ des Autors. Dieser Jugendfreund bleibt namenlos, weist jedoch unverkennbare Ähnlichkeiten mit dem Schreibenden auf, der seinen Freund offenbar so gut kennt, dass er beinahe durch die Augen dessen sehen kann. Der streift als Pilznarr durch die Wälder von Chaville bei Paris, wo auch Handke bis heute lebt. Chaville ist dem Handke-Leser bereits aus seinem erstmals autobiografische Themen aufgreifenden Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994) bekannt, als dessen Autor der allwissend anmutende Erzähler sich auch zu erkennen gibt.
Im Versuch über den Pilznarren ist es also kein Ich-Erzähler, der den Leser durch den Text führt, vielmehr spricht der Schriftsteller rückblickend vom Zeitpunkt, da er sich entschieden hat, die Geschichte aufzuschreiben, von seinem verschwundenen Jugendfreund, von dem er auffällig viel weiß. Der ist von Kindesbeinen an in den heimischen Wäldern in der Nähe eines Kärntener Dorfes – wo auch Handke geboren wurde – an das Sammeln von Pfifferlingen gewöhnt, wobei ihm das Gehen wichtiger erscheint als das Finden. Der Junge verkauft seine Pilze an die Slowenen, die nach dem Krieg den Pilzhandel betreiben, um sich Bücher erstehen zu können, ist aber noch weit davon entfernt, ein Pilznarr zu sein. Er geht seiner Ausbildung nach und wird – auch hier der Bezug zu Handke – Jurist. Als erfolgreicher Anwalt an internationalen Gerichtshöfen zieht er mit Frau und Kind nach Chaville. Pilze sammelt er zu diesem Zeitpunkt schon lange keine mehr, bis er in den „lichten Weiten“ der Laubwälder, zufällig, in der Nähe der Straße auf einen frischen, jungfräulich anmutenden Königspilz trifft – den Steinpilz. In diesem Moment, als der Jungendfreund des Pilzes „ansichtig wird“, findet die Transformation zum Pilznarren statt. Dem Erzähler fallen sämtliche Namen des Steinpilzes ein, die in diesem vielsprachigen Grenzgebiet kursieren, den Jugendfreund führt er durch seine bloße Gestalt zu seiner jugendlichen Leidenschaft zurück. Das Initiationserlebnis, „der erste Augenblick des Ansichtigwerdens“ ist ihm wichtiger als das Pflücken und Suchen, ein Leitmotiv, welches den Pilznarren eben auch schon in den Nadelwäldern seiner Kindheit begleitete. Doch dort hatte es nie Steinpilze gegeben – der Königspilz löst im Pilznarren etwas aus, das ihn der Welt völlig entrücken lässt. Er fängt an, Familie und Beruf zu vernachlässigen, streift unablässig durch die Wälder bei Paris und bietet Handke eine wunderbare Projektionsfläche für Selbstironie und autobiografische Spiegelungen.
Mal ist der Jugendfreund näher an der Person Handkes, wenn er ebenso das „Rauschen und Brausen der Bäume“ hört, ihn mythisch überhöhte Metaphern zur Selbstfindung verwenden lässt und ihn Sätze wie sie von Handke stammen könnten sprechen lässt: „Was habe ich doch für Glück gehabt, mein Leben lang! Und wie habe ich mich immer wieder getäuscht, einmal bitter, dann schön.“ Dann gibt es auch Phasen, in denen der Jugendfreund autobiografisch weiter vom Autor entfernt ist. In seiner Lust zum Formulieren aber, in der Verwendung seiner Sprache, ist er dicht beim Dichter Handke.
In der Steinpilzpassage wirft der Schreibende dem Jugendfreund gar vor, nun doch vom Steinpilz zu viel zu fabulieren, worauf der sogleich entgegnet, dass Handke bei einem „höchstwahrscheinlich einfach so dahergewehten Feigenblatt“ vom „Ereignis des ersten Feigenbaums psalmodiert“ habe. Mit dem wunderbaren Wörtchen „psalmodiert“ ironisiert Handke in Gestalt des Jugendfreunds seine eigene Sprache und Verliebtheit zum Beschreiben mit einer erfrischenden humorvollen Leichtigkeit. Es erscheint, als sei das Beschreiben und Formulieren für Handke die Hauptaufgabe des Textes, wenn er sich als belesener Waldgänger darstellt und in besonderen Satzkonstruktionen romantische und klassische Stilmittel der Landschaftsbeschreibung heranzieht und überhöht, die gleichzeitig wie eine Metaphorik der Verlassenheit erscheinen:
Die Wälder der Kindheitsgegend waren vor allem Nadelwälder, und überdies fast ausschließlich, bis auf die lichteren Lärcheninseln oben in den Berglagen, die Fichten, mit ihrem besonders dichten Nadelkleid, und diese Bäume wuchsen jeweils nah beieinander, die Äste und Zweige ineinander verzahnt und verflochten, und finster und finsterer wurde es beim Hineintauchen zwischen all dem Fichtengewirr, so daß mit der Zeit weder Einzelbäume noch ein ganzer Wald sinnfällig wurden, und am finstersten und ortlosesten war es dann im Waldinneren, das oft schon bald oder sogar gleich, nach ein paar Schritten weg von den Rändern, einen umfangen hielt: kein Durchblick mehr zwischen den Stämmen mit den in der Regel toten unteren Ästen hinaus in das eben noch ihn umgebende Freie, in das eben noch das weite Land bestrahlende Tageslicht, als Licht nur ein gleichbleibendes tiefes Dämmern, welches nirgends als Licht wirksam wurde, nicht bloß, kaum einen Hauch' in den (unsichtbaren) Wipfeln, sondern gar keiner, vom Vogelgesang vor ein paar Schritten zu schweigen.
Handke macht sich wiederum in der Gestalt des Schreibenden über die Obsessionen des Jugendfreunds lustig, die doch seine eigenen sind, und lässt ihn schließlich aus unerfindlichen Gründen verschwinden. Keiner weiß, was geschehen ist, der Erzähler macht sich an das Aufschreiben der Geschichte, die der Leser in dem Moment in den Händen hält, als der Pilznarr plötzlich, nach Jahren des Verschollenseins, wieder auftaucht. Scheinbar vom Narr-Sein geheilt, in gepflegtem Anzug, doch noch immer mit jener Verlassenheit in den Augenwinkeln, die einem Waldgänger eigen ist. Seine scheinbar souveräne Rückkehr nach dem völligen Abdriften erscheint dem Leser wie ein Angekommensein nach langen Wanderjahren, etwas, das Peter Handke heute zu sein scheint. Der Dichter als Wanderer, nicht nur in der Literatur ist angekommen und hat mit Versuch über den Pilznarren eine wunderbare, lyrische, humorvolle Selbstreflexion geschrieben, die den Leser durch Handkes verführerische Erzählweise mitnimmt.
Die beiden Freunde wandern am Ende des Buches zusammen durch die Wälder von Chaville. Es ist der Geburtstag des Pilznarren, sie wollen ihn mit einem Pilzmahl gebührend feiern. In Anlehnung an das Märchenhafte führt sie ihr Weg zum Heiligen Graal, in die Auberge du Saint Graal und es kommt, wie es im Märchen kommen muss: „Aber ist das am Ende nicht zu viel des Märchens? Mag sein: Im Märchen wurde er geheilt. In der Wirklichkeit aber... – Dazu sagt freilich die Eingebung oder was oder wer sonst: Das Märchenhafte, im Fall des Falles, ist das Allerwirklichste, das Notwendige.“
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