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Mooses Mentula
Nordlicht – Südlicht

Zwei Gesellschaften in einem Land
  Kritik
  Mooses Mentula
Nordlicht – Südlicht
Roman
Weidle Verlag
Bonn 2014. 264 Seiten


„Hör mal, du Südlicht, beantworte mir eine Frage! Wenn ein Mann allein im Wald ist, ohne dass Frauen in der Nähe sind, hat er dann trotzdem in allem Unrecht?“, fragt der offen­sicht­lich ange­trunkene Mann im ersten Satz des Romans Nordlicht – Südlicht den frisch in den Norden gezogenen Lehrer Jyri. Mit diesem Auftakt wird bereits der gesamte Konflikt der so unter­schied­lichen finni­schen Gesell­schaften des Nordens und Südens umrissen und anschließend auch direkt ausge­sprochen: „Antworte schon, ihr nehmt uns doch die Frauen weg!“

So simpel, wie diese Aussage anmutet, so tief­gründig arbeitet der Autor Mooses Mentula die see­li­schen Folgen für seine vier Prot­agonis­ten heraus. Die Schlüssel­figur ist der Lehrer Jyri, der durch sein Kommen das bereits auf wackligen Füßen stehende Gefüge einer Ehe voll­kommen ins Wanken bringt. Doch bevor er sich in sein Leben auf dem Land einfügen kann, muss er allerlei Ini­tia­tions­riten über sich ergehen lassen, bis die „echten Kerle“ aus dem Norden den Stadt­menschen aus dem Süden akzep­tieren. Doch der Wunsch, seinen Vater, der eben­falls Rentier­züchter war, zu finden, lässt ihn immer wieder auf die ihm fremde Männer­welt zugehen. Die Tra­dition des Rentier­züchtens, wie sie im Roman beschrie­ben wird, lebt in Finnland so nur noch im eisigen Norden.

In der Fremd­artigkeit dieses Lebens liegt auch die Faszi­nation für den Leser, da selbst vielen Finnen aus dem Süden das Leben der Rentier­züchter unbe­kannt ist. Ein Leben, das die meisten Frauen wiederum abschreckt und langweilt, da sie darin nur als Mutter, nicht als Frau mit aus­füllenden Aufgaben vor­kommen. Und so ist es keine Über­raschung, dass die ver­hei­ratete und frustrierte Marianne, die der Liebe zu Jouni wegen aus der Stadt in den Norden kam, sich nun in Jyri verliebt. Die „Prophe­zeihung“ des Roman­ein­gangs scheint erfüllt. Doch so einfach ist es nicht, wie der Leser durch die inneren Konflikte der Figuren erfährt, die einen Großteil der Span­nung des Buches aus­machen. Stets wird im Roman unter­schwellig ver­deutlicht, dass Ehen im harten Norden zum Schei­tern verurteilt sind. Manchmal sind es die Kinder, hier der Junge Lenne, die ihre Eltern noch ein paar Jahre länger zusammenhalten, letzt­lich aber geht die Frau in die Stadt, bleibt der Mann mit seiner Tradi­tion und den Rentieren zurück, oftmals auch mit dem Sohn, der sich in der Nach­folge des Vaters sieht. Marianne und Jouni kämpfen noch den inneren Kampf, der sich im Laufe des Buches ent­scheidet. Doch eines ist Marianne klar, wenn sie geht, dann ohne ihren Sohn.

Denn Lenne liebt das Leben mit den Rentieren, kann sich kein anderes vor­stellen und versteht die Sehn­süchte der Mutter nicht. Jeden Abend muss er seine Eltern streiten hören, was dazu führt, dass er in der Schule, bei seinem neuen Lehrer Jyri, mit allerlei Ungehorsam auffällt, wodurch der wiederum mit­bekommt, dass Marianne kurz vor der Trennung steht und schließ­lich zum mögli­chen Trennungs­grund wird.

Die Stärke des Romans liegt nicht unbedingt in der Handlung, sondern viel mehr in den aus­führ­lichen Beschrei­bungen des Seelen­lebens der Figuren Mentuas'. Mit viel Empa­thie erschließt er die Gedanken­welt des kleinen Lenne, voller Liebe ent­wickelt er die Szenen, die den Leser abwech­selnd zum Lachen und Weinen ver­leiten. Wenn Lenne, eines Nachts, als er seine Eltern erneut streiten hört, sein selbs­tgebas­teltes „Rentier-Mann“ Kostüm anzieht, weil er damit Dinge zu seinen Eltern sagen kann, die er als Lenne nicht kann, weiß man nicht, ob das niedlich oder traurig ist, extrem eindrücklich ist es in jedem Fall. „Hört auf zu streiten! Oben liegt ein kleiner Junge und kann nicht schlafen, weil ihr so laut streitet“, ruft der Rentier-Mann und ist so schnell ver­schwunden, wie er gekommen war.

All seine Beschreibungen zieht Mooses Mentula mit Sicherheit aus seiner Zeit, als er selbst mehrere Jahre als Lehrer in Lapp­land war. Seine Beobach­tungs­gabe ist stark, die Ent­wick­lung seiner Figuren kenntnis­reich und liebevoll. Es ist über­raschend, dass in der Welt der harten Männer, ausgerechnet der stets nach Motoröl rie­chende Vater Lennes die sensibelste der Figuren ist. Gebeutelt von finan­ziel­len Nöten ringt er sich jeden Tag aufs Neue seine letzten Kräfte ab, um seine Ehe zu retten, die er in die Brüche gehen sieht. Jouni nimmt sich seines Sohnes an, er ist es, der ein Gespür für dessen Sorgen hat, Jouni ist es, der versucht, die Liebe zu seiner Familie zu retten.

Mooses Mentuals Debütroman Nordlicht – Südlicht bringt dem Leser atmo­sphä­risch dicht, mit viel Lokal­kolorit und Kenntnis­reich­tum eine Welt nahe, die längst ver­gessen scheint. In unaufgeregtem, nüchternem Ton, bild­reich und mit cha­rakteris­tischen Figuren ist das Buch unbe­dingt lesens­wert. Der Gesamteindruck von den leben­dig ent­wickelten Szenen bis zum Sinn für ein Finnland, das selbst viele Finnen nicht mehr kennen, wird – wie stets im Bonner Weidle Verlag – unter­strichen durch die editori­sche Schön­heit des Buches.
Sophie Sumburane     10.03.2015    

 

 
Sophie Sumburane
Prosa